Midlife Crisis

Henrikh Mkhitaryan schoss in dieser Saison bislang nur ein Tor für den BVB
© getty

Henrikh Mkhitaryan macht beim BVB (Di. 20.45 Uhr gegen Juventus im LIVE-TICKER) eine rätselhafte Entwicklung durch. Die Leistungen des teuersten Einkaufs der Vereinsgeschichte von Borussia Dortmund haben sich auf überschaubarem Niveau eingependelt. Wird der Armenier den Kampf mit dem eigenen Ich gewinnen?

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Auch wenn Jürgen Klopp zu Recht darauf hinweist, bei Borussia Dortmund gäbe es weiterhin viel zu tun, so stimmt jedenfalls die Richtung wieder: nach drei Bundesligasiegen in Folge steht man nicht mehr auf einem Abstiegsplatz.

Bei allen fünf Dortmunder Rückrundenspielen hörte Henrikh Mkhitaryan den Anpfiff immer auf der Bank. Nach einem zum Ende der Hinrunde erlittenen Muskelbündelriss stieg der Armenier erst Ende Januar wieder ins Mannschaftstraining ein. Klopp wechselte Mkhitaryan jedes Mal ein, drei Mal davon war er auch die erste Option des Coachs.

Dass ein spielfiter Mkhitaryan draußen sitzt, gab es in den eineinhalb Jahren, die Dortmunds teuerster Einkauf aller Zeiten (27,5 Millionen Euro Ablöse) nun schon in Westfalen spielt, nur selten. Das ist derzeit auch der Tatsache geschuldet, dass sich mehr Alternativen bieten und sich mittlerweile eine erste Elf herauskristallisierte, die in ihrer Zusammenstellung stark verbessert gegenüber der Vorrunde auftritt. Die Köpfe der Spieler werden freier, ein Mehr an Dynamik und eine Prise der "alten" Selbstverständlichkeit stecken wieder im Spiel der Borussen.

Mkhitaryans rätselhafte Entwicklung

Bislang stand Mkhitaryan nach Verletzungen immer relativ schnell wieder in der Startformation. Das ist jetzt nicht der Fall, der Stammplatz ist erst einmal futsch. Stellt man dem 26-Jährigen auf dieser Basis ein Zwischenfazit aus, stößt man vor allem auf eine rätselhafte Entwicklung, die Mkhitaryan in seiner Zeit in Deutschland durchmacht.

Seine Leistungskurve kam in den letzten Monaten analog zur jeweiligen Ursache seiner Blessuren an einem Tiefpunkt an. Im Sommer 2013, als er frisch zum BVB stieß, verletzte er sich in Luzern nach einem erzielten Treffer - Syndesmosebandanriss. Der Bänderriss in der Fußwurzel, den er sich im vergangenen September beim Spiel in Mainz zuzog, resultierte aus einem geblockten Schussversuch, der letztlich unglücklich an der Latte hängen blieb.

Diese Partie beim FSV, als die Borussia einen Sieg zur Tabellenführung benötigte, markiert in der Rückschau den Beginn der seit vielen Jahren größten Dortmunder Krise. Sie ist zugleich Mkhitaryans Fall in eine fußballerische Midlife Crisis. Als er sich nach ausschließlich schwachen Darbietungen im Dezember in Berlin seine letzte Verletzung zuzog, passierte dies bei einem enorm verunglückten Distanzschuss.

Fast nur Licht oder Schatten

Mkhitaryans Auftritte in der aktuellen Spielzeit lassen nur schwer erahnen, wie lange es noch dauern wird, bis er in Dortmund vollständig ankommt. Bei keinem anderen Spieler im BVB-Kader kann so häufig der Konjunktiv bemüht werden: Mkhitaryan könnte so viel besser spielen, er wäre eigentlich der ideale Spieler für Klopp, es müsste doch jetzt endlich bald der Knoten platzen.

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Da aber all dies nicht nachhaltig eintrat und er Ende des Vorjahres zusehends unter dem Druck der sportlichen Lage verkrampfte, bleibt Mkhitaryans wirkliches Können in einem diffusen Licht zurück. Während er besonders in der Rückrunde der Vorsaison mehrere starke Partien aus dem Halbraum des linken Mittelfelds kommend abriss, hat nun die Häufigkeit seiner verschieden gearteten Fehler seinen Ruf längst ins Negative gezogen.

Mkhitaryan scheint keinen Graubereich in seinem Spiel zu kennen, er bietet fast nur Licht oder Schatten. Dieses Phänomen kam zuletzt aber nur noch eindimensional daher, denn Licht war schon lange nicht mehr. Mkhitaryan ging mit seinen Kollegen in der Hinrunde unter. Doch einer, der so viel Geld gekostet hat und gut verdient, steht selbst in einer Phase des Kollektivversagens eher am Pranger als andere.

Probleme mit dem Druck

Die unerwartete Entwicklung in Dortmund erfasste auch Mkhitaryan mit voller Wucht - und sie hemmt ihn. Mkhitaryan spielte in dieser Saison unglaublich viele Fehlpässe, verrannte sich kopflos in gegnerischen Formationen, traf falsche Entscheidungen oder schoss kläglich aufs Tor. Es ist die Unerklärlichkeit solcher häufig wiederholten Aktionen, die beim Beobachter beinahe Mitleid erwecken und die Skepsis an seiner Person größer werden ließ.

Diese Entwicklung ist Gift für den intelligenten wie hoch sensiblen armenischen Nationalspieler. Bei Mkhitaryan hat man das Gefühl, er setze sich unter permanenten Druck, es immer und überall allen Recht machen zu müssen - und übersieht dabei, dass er sich auf diese Weise selbst die größte Baustelle ins Haus holt.

Probleme mit dem Druck, sowohl von innen, als auch von außen, offenbarte Mkhitaryan bereits Ende der vergangenen Saison. Das neue Leistungsniveau der Bundesliga, die Bürde der hohen Ablösesumme, die Erwartungshaltung an den vermeintlichen Mario-Götze-Nachfolger - all dies habe ihn damals enorm beschäftigt, sagte er in einem Interview mit der "Welt".

Konstanz und Zielstrebigkeit fehlen

Man kann sich ausmalen, wie sehr es an ihm nagen dürfte, dass er als unfähiger Unglücksrabe zum Sinnbild des Dortmunder Absturzes gemacht wurde. Mkhitaryan helfen vor allem persönliche Erfolgserlebnisse, um nicht weiter im sportlich-psychischen Negativstrudel hängen zu bleiben, während seine Teamkollegen dank der Siege zuletzt Schritt für Schritt daraus entkommen.

Nimmt man nur die letzten vier Wochen, dann ist das Ende von Mkhitaryans Midlife Crisis vage zu erkennen und auch nicht extrem weit entfernt. Es spricht für ihn, dass er auf dem Weg zur Gesundung zuletzt wieder großen Willen ausstrahlte, sich nicht entmutigen ließ und auch keine Verantwortung scheute.

Der erwähnte Konjunktiv ist bei Mkhitaryan durchaus angebracht. Sein Potenzial wird selbst bei seinen schwachen Auftritten augenscheinlich. Die Spielintelligenz, die (Handlungs-)Schnelligkeit, der Blick für Räume - all dies blitzt immer wieder auf. Konstanz und Zielstrebigkeit ist das, was ihm fehlt. Und die Uhr tickt.

Kampf mit dem eigenen Ich

Er muss sich jetzt vor allem selbst beweisen, dass er aus dem tiefen Loch gestärkt hervorkommen und die Verkrampfung vollständig lösen kann. Sonst läuft er Gefahr, dass ihm der Makel, nur dann zu glänzen, wenn auch das Kollektiv glänzt, länger anhaftet als es gesund wäre.

Mkhitaryan ist zwar charakterlich so gepolt, dass er dazu auch die Rückendeckung der Gemeinschaft benötigt. Es ist aber in erster Linie ein Kampf mit dem eigenen Ich, den er auszufechten hat. Findet er die Balance in seinem Spiel wieder, kann er mit seinen strategischen Fähigkeiten wie mehrfach angedeutet ein integraler Bestandteil des Dortmunder Fußballs sein. Ein Mkhitaryan in Top-Form und mit Selbstvertrauen dürfte immer einen Platz in der ersten Elf finden.

Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er sich an die Bestätigung erinnert, die er dafür bereits im Vorjahr bekommen hat. Damals brillierte Mkhitaryan und schoss zwei Tore zum Auswärtssieg in Frankfurt. Danach sagte Klopp: "Wir hätten noch viel mehr für ihn bezahlt, so sehr wollten wir ihn."

Henrikh Mkhitaryan im Steckbrief

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