Warum san mia mia?

Pep Guardiola ist seit dem Sommer 2013 Trainer des FC Bayern München
© getty

Pep Guardiola hat Gefallen daran gefunden, seine Mannschaft mit immer neuen Systemen und taktischen Manövern auf Trab zu halten. Damit erfüllt der Spanier erneut die Pionierrolle der Trainerzunft. Trotzdem erntet er dafür Kritik und Zweifel. Für den FC Bayern bedeutet die Arbeit Guardiolas einen Paradigmenwechsel.

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Es lag natürlich an den Ohren der Zuhörer. Aber kurz musste man sich die Frage stellen, wer denn diese "Jessica Moska" eigentlich ist, von der Pep Guardiola da sprach. Im Zusammenhang der obligatorischen Pressekonferenz vor dem abschließenden Champions-League-Spiel der Gruppenphase war aber schnell klar, dass es sich um ZSKA Moskau handelte - den Gegner des FC Bayern am Mittwochabend in der Allianz Arena (20.45 Uhr im LIVE-TICKER).

Auch wenn Guardiola mit der für deutsche Ohren etwas ungewohnten Aussprache überraschte, dürfte es die einzige Ungereimtheit in Bezug auf den russischen Meister sein. Es ist kein Geheimnis, dass der Trainer des FC Bayern ein akribischer Arbeiter ist und sich im Vorfeld der Partien in stundenlangem Videostudium den Gegner vor- und ihn dann auseinandernimmt.

Er sucht nach Schwachstellen und entwirft einen Plan, wie seine Mannschaft diese am besten ausnutzen kann. "Fußball ist eine Idee", sagt Guardiola. Aber am Ende liege es an den Spielern, diese auf dem Platz auch mit Leben zu erfüllen.

Nur ein Problem mit Experten und Reportern

Guardiola macht das, wofür ein Trainer eigentlich angestellt und bezahlt wird. Analysieren, vorbereiten, anweisen. Doch genau dafür hat sich der Spanier vor allem nach dem Sieg gegen Bayer Leverkusen Kritik gefallen lassen müssen. Ein taktischer Fehlgriff sei die Grundordnung in der ersten Halbzeit mit Robert Lewandowski und Thomas Müller auf den Außenbahnen und Mario Götze als hängende Spitze im Zentrum gewesen.

"Pep probiert viele Dinge aus, kann den Fußball aber auch nicht neu erfinden", sagte "Sky"-Experte Lothar Mattäus. Sein Kollege Didi Hamann meinte: "Du bringst die Mannschaft durcheinander. Das geht nur gut, solange Bayern gewinnt."

Guardiola lobte das Spiel seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit dagegen als "überragend". Sein Plan habe funktioniert. "Er hat taktisch auf die Qualität des Gegners reagiert", konkretisierte Sammer. "Wenn mein Trainer nicht eine andere Idee gehabt hätte und anders hätte spielen lassen, als wir immer spielen - dann hätte er mit mir ein Problem gehabt", so Sammer. "Jetzt hat er nur mit euch Reportern ein Problem."

Egal, ob Paderborn oder Madrid

Um diese Diskrepanz der Bewertung zu verstehen, muss man sich die Protagonisten anschauen. Hamann und Matthäus haben beide für den FC Bayern gespielt und Erfolge gefeiert. Sie kennen den Klub, sie kennen seine Geschichte, sie kennen die Ansprüche. Aber sie kennen den alten FC Bayern, in dem das Mia san Mia oft die einzige taktische Finesse war.

Auf der anderen Seite stehen Guardiola und Sammer. Sie stehen für den neuen FC Bayern, der gerade dabei ist, sich auf der Basis alter Werte neu zu erfinden.

Mia san Mia hieß früher: Wir sind der FC Bayern, wir fahren hin und gewinnen, der Gegner ist uns egal. Aber die Gleichung beste Spieler gleich maximaler Erfolg geht im modernen Fußball nicht mehr so einfach auf. Also muss auch der FC Bayern darauf bedacht sein, so wenig undefinierte Parameter in seiner Gleichung zu lassen wie möglich. Und dazu gehört auch die fachgerechte Analyse des Gegners. Egal, ob der Gegner SC Paderborn oder Real Madrid heißt.

Fortschritte im Gegenpressing

"Selbstherrlichkeit und Arroganz" hat Sammer als mögliche Stolpersteine ausgemacht. "Und die Haltung, dass wir keine Veränderungen mehr benötigen und es keine Entwicklung mehr gibt." Der Glaube an die eigene Stärke ist also nicht mehr das Leitmotiv der neuen Mia-san-Mia-Bayern.

Guardiola hat das Spiel der Münchner ohne Zweifel weiterentwickelt. Aber er hat nicht, wie von vielen Experten prophezeit, ein zweites Barcelona errichtet.

Die Bayern haben zwar wieder mehr Ballbesitz als unter Jupp Heynckes, den größten Fortschritt haben sie aber im Gegenpressing, im schnellen Ballerobern und in ihrer taktischen Flexibilität gemacht.

Respekt von Kollegen

Es klingt schon irgendwie bizarr, dass sich Guardiola für seine von Spiel zu Spiel angepassten taktischen Überlegungen rechtfertigen muss. Zumal ihm letzte Saison noch ein fehlender Plan B attestiert wurde. Der FC Bayern richtet sich nach dem Gegner? Das ist für viele noch immer ein Fehler im System und ein Zeichen von Schwäche.

Der ehemalige Mainzer Trainer Thomas Tuchel hat dagegen schon vor einem Jahr festgestellt: "Die Bayern sind inzwischen so flexibel, dass man auf alles gefasst sein muss. Und es kommt etwas hinzu: Sie nehmen sich unter Guardiola auch mal die Freiheit, auf den Gegner zu reagieren. Bisher haben sie meist aus dem Gefühl der Stärke heraus gesagt: Wir ziehen unser Spiel durch. Daraus konnte auch mal eine gewisse Trägheit entstehen. Bei Guardiola ist das anders - weil er in der Lage ist, das Spiel spontan zu verändern."

DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth hat im SPOX-Interview eben diese Variabilität als Ziel des modernen Coachings ausgegeben.

Die Frage nach dem Warum

Die Spieler haben die ständigen Veränderungen angenommen. Auffällig offensiv wurde gar die Arbeit das Trainerteams nach dem grandiosen 7:1 über den AS Rom gelobt. Aber auch das Spiel gegen Leverkusen hinterließ keine Fragezeichen über den Köpfen der Spieler.

Dass Guardiola so oft und einschneidend wechselt, hängt natürlich auch mit den vielen Verletzten zusammen. Vor allem seit den Ausfällen von David Alaba und Philipp Lahm ist Guardiola dazu gezwungen, seinem Team eine neue Struktur zu verleihen. Immerhin wurde nach der Verletzung von Thiago das Spiel der Bayern erneut seines Herzstücks beraubt.

Guardiola wird also weitermachen. Bis zur Winterpause, in der Winterpause und danach. So sieht er seine Aufgabe. Sein verlängerter Arm auf dem Spielfeld bei Barca, Xavi, hat einmal gesagt: "Pep hat uns einen Vorteil verschafft, weil wir durch ihn den Grund einer jeden Aktion kennen. Das Warum!"

Bei Bayern heißt das: Warum san mia mia?

Der Schlüssel zu allem sei immer die Frage, wo sich Überzahlsituationen ergeben, um woanders Räume zu schaffen. "Pep sagt uns vor jedem Spiel: Heute wird die Überzahl hier sein, oder da, oder dort", sagte Xavi. "Und er trifft den Nagel eigentlich immer total auf den Kopf." Das bestätigen auch die Spieler in München und das dürfte auch gegen "Jessica Moska" so sein.

Der Kader des FC Bayern

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