Zurück zur Gänsehaut

Von Kevin Niekamp
Die Anfield Road gehört zu den stimmungsvollsten Stadien der Welt
© getty

Der FC Liverpool ist nach einigen Jahren Abstinenz wieder zurück in der Königsklasse. In den Blütejahren um den spektakulären Titelgewinn in Istanbul 2005 gehörten die Gänsehautmomente an der Anfield Road zum Inventar des Europapokals. Der Start in der Liga war überschaubar, gegen Real (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) wollen die Reds wieder ein Zeichen setzen.

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Wenn nach 19.30 Uhr englischer Ortszeit das Stadion in Liverpool zu weiten Teilen gefüllt ist, die Flutlichter am Tribünendach flimmern und über ihnen ein leicht nebliger Dunst aufsteigt, fängt das Kribbeln an. Spätestens wenn es aus den Lautsprecher "When you walk ..." dröhnt, der Gesang der Zuschauer lauter ist als die Boxen an den Decken und im Anschluss die Champions-League-Hymne gespielt wird, hat es selbst die coolsten Typen gepackt. Anfield at his best.

Die magischste Nacht der jüngeren Europapokalgeschichte des FC Liverpool fand zwar nicht in an der heimischen Anfield Road Liverpool L4 0TH statt, doch die Nacht von Istanbul im Jahr 2005 werden nicht nur die Fans des AC Milan und des FC Liverpool niemals vergessen. Eine irre Aufholjagd nach einem 3:0-Pausenrückstand, der im fünften Champions-League-Sieg für die Engländer endete. Ein Sieg des Willens - und ein Sieg wie gemalt für das Motto des Klubs: You will never walk alone.

Seit diesem 25. Mai erreichten die Reds zwar zwei Jahre später noch einmal das Finale, wieder gegen den AC Milan, doch was die Erfolge in Europa angeht, wurde es danach sehr ruhig.

Nachdem Rafa Benitez im Jahr 2010 nur auf dem siebten Platz landete und entlassen wurde, folgten drei weitere Jahre ohne Teilnahme am lukrativsten europäischen Wettbewerb. Auch Liverpool-Legende Kenny Daglish schaffte es nicht, an die ruhmreichen Zeiten anzuknüpfen, sodass die Verantwortlichen 2012 mit Brendan Rodgers den Umbruch einleiteten.

Ein System, ähnlich wie es in Dortmund praktiziert wurde, mit jungen Spielern und Tempofußball, sollte an der Anfield Road etabliert werden. Bereits im zweiten Jahr unter Rodgers waren erste Erfolge zu verzeichnen und so kehrten die Reds als Zweiter der abgelaufenen Premier League Saison in die Königsklasse zurück.

152 Tore in 38 Spielen

Der furiose Offensivfußball und die anfällige Defensive sorgten in der abgelaufenen Spielzeit für Spektakel, wilde Ergebnisse - und brachten den Reds auf der Insel und auf dem europäischen Festland einige Sympathien. Nicht wenige hätten allein dem einzigen Spieler, der 2005 wie heute ein fester Bestandteil der Mannschaft ist, den Titel gewünscht: Steven Gerrard. Wortwörtliche Ausrutscher gegen Chelsea und Cyrstal Palace ließen den Traum für Steve G. und die Fans allerdings spät zerplatzen.

Am Ende waren es die 50 Gegentore und nicht die 102 eigenen Treffer, die den Reds im Bezug auf den Titel das Genick brachen. Eine Tatsache, die bei den Transferplanungen im Sommer ausgebessert werden sollte.

Der Abgang des besten Torschützen Luis Suarez hinterließ jedoch in der Offensive eine größere Lücke, die von mehreren Spielern aufgefangen werden sollte. Die Rückkehr zur vierfachen Belastung zwang die Verantwortlichen zu Investitionen in die Tiefe des Kaders. Dieser war, aufgrund der fehlenden Millionen aus dem europäischen Wettbewerb, in den vergangenen Jahren geschrumpft.

Die getätigten Transfers sind dabei vor allem für die Zukunft gedacht. Abgesehen von Rickie Lambert war keiner der Neuzugänge Lazar Markovic, Emre Can, Alberto Moreno, Dejan Lovren, Adam Lallana und Mario Balotelli älter als 26 Jahre.

Viele Neue - viele Probleme

Die Integration der Neuen in das System verlief bislang mit unterschiedlichem Erfolg. Lovren und Moreno gehören zum Stammpersonal, konnten der Defensive aber noch nicht die gewünscht Sicherheit verleihen. In der laufenden Runde ist es gerade einmal ein Spiel, das Liverpool mit einem clean sheet beendete. Insgesamt waren es nur vier weiße Westen in den letzten 22 Premier-League-Spielen.

13 Punkte aus acht Spielen in der laufenden Saison mit drei Niederlagen und einem Torverhältnis von 13:12 sind nicht der Anspruch des Vizemeisters. Wieder drückt der Schuh hinten.

Dies merkte Brendan Rodgers nach dem Basel-Spiel deutlich an: "Wir haben schon etwas mitgenommen aus dieser Niederlage. Wir haben die Ecke schlecht verteidigt und das nicht zum ersten Mal."

Hinten zu viel, vorne nicht genug

Das große Problem stellt jedoch das Prunkstück der letzten Saison, die Offensive dar. Die trifft derzeit nicht mehr öfter, als hinten kassiert wird. Das rettete die Reds in vielen Spielen in der letzten Saison.

Raheem Sterling kämpft mit dem Hype um seine Person und den Nachwehen der WM. Die bisher gespielten 943 Minuten von möglichen 990 machten dem Youngster während der EM-Qualifiaktion der Engländer zu schaffen. Dazu fiel mit Daniel Sturridge der nächste Shooting-Star der vergangenen Saison aus. Dass diese Auszeit in eine Phase mit sieben Spielen in drei Wochen fiel, machte es nicht unbedingt einfacher.

Der zu Beginn verletzte Lallana kommt dafür langsam in Tritt und deutete ebenso wie Markovic an, was in Zukunft von ihm zu erwarten ist. Über mehr als Ansätze kommen die beiden neuen Offensivspieler aber derzeit noch nicht hinaus.

Hoffnung auf Balotelli

Allen voran Mario Balotelli konnte die in ihn gesetzten Erwartungen bislang nicht erfüllen. Gerade einmal ein einziges Tor sprang in neun Spielen für den italienischen Neuzugang raus. Die Pause im Spiel gegen West Brom sowie die Nicht-Nominierung für die Nationalmannschaft gaben dem Stürmer Zeit, sich weiter einzugewöhnen. "Mario ist ein Typ, der die perfekten Zuspiele braucht, die bekommt er bei uns von Gerrard. Beide gehören zu den besten ihrer Zunft", so Rodgers nach dem West-Brom Spiel.

Der Start in die aktuelle Saison verlief mehr als holprig und auch die ersten beiden Spiele gegen Basel und Ludogorets in der Champions League zeigten die Probleme auf, an denen Brendan Rodgers und sein Team in diesem Jahr arbeiten müssen, um nicht wieder eine längere Periode ohne Königsklasse zu erleben.

Die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive ist eines der Hauptprobleme. Gnadenloser Offensivfußball ist mit der zusätzlichen Belastung in der Form des vergangenen Jahres nicht mehr möglich. Die Regenerationsphasen aus der vergangenen Saison werden bei einem Überwintern in einem der europäischen Wettbewerbe bis mindestens Mitte Februar kürzer.

Die letzten beiden Auftritte gegen West Brom und bei den Queens Park Rangers trösteten ergebnistechnisch über die schwachen Spiele Mitte September mit nur einem Sieg aus vier Spielen und dem in der Champions League gegen Ludogorets in letzter Minute hinweg, verschleiern aber nicht die übergeordneten Probleme.

Chance gegen die Größten

West Ham reichte schon ein früher Doppelpack für einen Sieg gegen die Reds. "West Ham spielte von Anfang an mit großem Aufwand gegen den Ball, setzte uns unter Druck und wir hatten keine Möglichkeit uns davon zu befreien. Ehe wir das überhaupt wussten, stand es schon 2:0. Von da an wurde es natürlich sehr schwer", so Rodgers nach der Pleite.

Es gibt sicherlich einfachere Gegner als den aktuellen Champions-League-Sieger, aber gegen Real bietet sich nun die Chance, einen durchwachsenen Saisonstart zu korrigieren. Den Einzelspieler dafür, wie Luis Suarez, haben die Reds derzeit nicht. Aber gerade in der jetzigen Situation wird der Satz der auf ewig mit dem Klub verbunden ist zur Lösung des Problems: You will never walk alone.

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