Nächste Chance für das Projekt Pep

Von Stefan Rommel
Pep Guardiola geht mit dem FC Bayern in die zweite Champions-League-Saison
© getty

140 Tage nach der schlimmsten Niederlage in seiner Europapokalgeschichte unternimmt der FC Bayern München einen neuen Anlauf in der Champions League. Für Trainer Pep Guardiola wird diese Saison in der Königsklasse eine ganz besondere - weil der Erfolg seines Projekts in München unweigerlich mit dem in Europa verbunden ist.

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In der Stunde seiner größten Niederlage hat Pep Guardiola Größe und Stil bewiesen. Die erste Heimniederlage des FC Bayern überhaupt gegen Real Madrid, die schlimmste in all den Jahrzehnten im Europapokal, der zerplatzte Traum vom Triple bei seiner Premieren-Saison in München: Das alles brachte dieser Abend Ende April.

Das 0:4 gegen Real und das damit verbundene Aus im Champions-League-Halbfinale bedeuteten einen tiefen Einschnitt in einer bis dahin fantastischen Saison. Die Bayern hatten die früheste Meisterschaft der Bundesligageschichte gefeiert, standen im Pokalfinale und damit nur ein paar Schritte davon entfernt, die Erfolge der unglaublichen Vor-Saison zu wiederholen.

Pep Guardiola war im Sommer angetreten, um bei den Bayern eine Ära zu prägen, wie er das beim FC Barcelona geschafften hat. Bis 2016 ist Guardiolas Vertrag in München datiert, womit automatisch auch klar definiert ist, dass bis dahin vor allen Dingen ein Titel wieder nach München wandern muss: Die Champions-League-Trophäe.

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Falsche Einschätzung der Niederlage

Nach der Demontage gegen Real wurden die Diskussionen befeuert, Guardiolas Team habe sich in seinen endlosen Ballstafetten selbst ertränkt, das Ballbesitzspiel übertrieben und dabei die Essenz des Fußballs übersehen: Tore zu schießen und welche zu verhindern. Genau das Gegenteil war jedoch der Fall.

Bis dahin war der Katalane sich und seinen Ideen treu geblieben. Auch wenn die Ergebnisse allmählich immer weniger imposant wurden. Die beiden Viertelfinalspiele gegen Manchester United waren schon von anderer Couleur. Die Bayern waren auch da haushoch überlegen, erzielten aber nicht die Treffer, die dem klaren Spielverlauf angemessen gewesen wären.

Das Hinspiel in Madrid war dann so etwas wie ein kleines Schockerlebnis für viele, wohl auch Guardiola. Der Trainer sah im Santiago Bernabeu "eines der besten Spiele unter meiner Regie", er sah am Ende aber auch ein 0:1 aus Sicht der Bayern.

Abkehr von der eigenen Identität

Die darauffolgenden Debatten über den Sinn der Guardiola-Doktrin bestimmten die wenigen Tage bis zum Rückspiel - wo sich der Trainer dann auf einige schwerwiegende Umstellungen einließ und von "acht, neun Spielern" in die Taktik einreden ließ.

Guardiola gab das Machtzentrum im Mittelfeld preis, er zog Philipp Lahm zurück in die Viererkette, verzichtete stattdessen auf Javi Martinez und damit auf einen zusätzlichen Mittelfeldspieler. Dafür verstärkte er die Angriffsreihe. Und er handelte nicht schnell genug, als sich seine Mannschaft nach dem frühen Rückstand auf die Hektik und Scharmützel von Real einließ, anstatt weiter konsequent ihren Stil zu spielen.

"Das war ein Riesenfehler des Trainers. Der Trainer hat das nicht gut gemacht", sagte Guardiola nach dem Spiel auf der Pressekonferenz. Gegenüber dem Journalisten Marti Perarnau, der Guardiola in seinem ersten Jahr in München so nah begleiten durfte wie sonst niemand und der die Erlebnisse in seinem Buch "Herr Guardiola" niederschrieb, wurde Pep in seiner Wortwahl noch drastischer. "Ich habe mich geirrt, Mann. Ich habe mich total geirrt. Das ist eine große Scheiße. Die größte Scheiße, die ich als Trainer je gemacht habe."

In der Champions League hätten die Bayern "aufs Maul gekriegt", sagt Guardiola. Da rückten dann automatisch die nationalen Erfolge mit der Meisterschaft und dem Sieg im Pokalendspiel gegen Borussia Dortmund in den Hintergrund. Dieser stolzen Saison haftet der Makel der Madrid-Spiele an.

Improvisieren bis zur Winterpause

Die Voraussetzungen vor Guardiolas zweiter Saison in München waren nicht die besten. Die Bayern haben mit vielen Verletzungen zu kämpfen und die Ankündigung des Trainers, dass die Nachwehen der Weltmeisterschaft noch länger zu spüren sein werden und der Start holprig werden könnte, erweisen sich als richtig.

Guardiola hatte kaum Zeit, seine Mannschaft im Detail weiterzuentwickeln. Nach dem Real-Desaster stellte er die Kompatibilität seiner Spieler mit seiner Idee und umgekehrt in Frage. "Wir müssen uns Gedanken machen, ob das mit diesen Spieler das beste Rezept ist", sagte Guardiola damals unter dem Eindruck der heftigen Niederlage, während Karl-Heinz Rummenigge davor warnte, "jetzt bloß nicht die Nerven zu verlieren!"

Mit der Zeit kam bei allen Beteiligten auch wieder die nötige Distanz. Guardiola hat die Bayern in der abgelaufenen Sommerpause nicht ein zweites Mal neu erfinden müssen, er hat auch den Kader nicht komplett umgekrempelt - wenngleich in der Weggang von Toni Kroos immer noch schmerzt. Er hat sein Team zumindest für die erste Saisonhälfte bis zur Winterpause auf eine Dreierkette in der Abwehr eingeschworen, was mit dem "gesparten" Abwehrspieler die Dominanz im Mittelfeld wieder deutlich verstärkt und den gewünschten Spielaufbau durchs Zentrum erleichtert.

So dürfte es trotz aller Probleme, die die Bayern derzeit noch begleiten, in der Gruppenphase der Champions League keine größeren Probleme geben. So richtig beginnt die Saison für die Bayern ja ohnehin erst in der Rückrunde, wenn es in der Königsklasse in die K.o.-Phase geht.

Lahm ist zuversichtlich

"So viele Baustellen hatten wir nicht", sagt Kapitän Lahm im "Kicker" und deutet die enorme Stärke des Kaders an. "Wir haben Qualität geholt und uns auf Positionen, auf denen wir Hilfe brauchten, verstärkt."

Der 30-Jährige ist überzeugt davon, dass die Bayern im zweiten Jahr des Trainers trotz einiger Anpassungen in personeller und spieltaktischer Hinsicht noch besser werden. "Nach dem Triple-Gewinn haben wir uns wieder weiterentwickelt. Da dachte mancher, die Mannschaft werde in ein Loch fallen. Stattdessen zogen wir noch mehr Selbstvertrauen daraus."

Die Diskussionen um den Zukauf einiger Wunschspieler des Trainers, die in den letzten Wochen nicht von allen Seiten gutgeheißen wurden, betrachtet Lahm ganz gelassen. Er vertraut dabei voll und ganz auf Pep Guardiola. "Es wäre schlimm, wenn die Handschrift eines Trainers nicht zu lesen wäre. Und es wäre fatal, wenn der Trainer keine Handschrift hätte. Dann wäre er kein Toptrainer. Gott sei Dank hat unser Trainer eigene Ideen, die unsere Spielweise prägen."

Guardiola auf dem Prüfstand

Wie sehr sich die Bayern auf internationalem Top-Niveau verändert haben, dürfte gleich die Auftaktpartie gegen Manchester City (ab 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) zeigen. Der englische Meister ist "eine gefährliche Mannschaft, die deutlich besser sein wird als in der vergangenen Saison", wie es Jerome Boateng formuliert.

Für die Bayern und ihren Trainer ist ein guter Start in die neue Spielzeit der Königsklasse ganz besonders wichtig. Denn noch steht als letzte Erinnerung an die Champions League das 0:4 gegen Real Madrid. Und für Pep Guardiola steht und fällt sein Projekt in München mit den Erfolgen in der Königsklasse.

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