Die letzten Mohikaner

Von Adrian Bohrdt
Mourinho, Lampard und Terry gewannen zusammen zwei Meisterschaften und den FA Cup
© getty

Der FC Chelsea hat im Saisonfinale neben der Chance auf den Meistertitel auch in der Champions League noch alle Möglichkeiten; die Blues treffen im Halbfinale auf das Überraschungsteam von Atletico Madrid (20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Dabei hat Chelsea einen Vorteil auf seiner Seite: die Erfahrung. Trainer Jose Mourinho baut auf eine Achse, die ihm schon vor Jahren zu Titeln verhalf.

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Im Fußball kann man vieles mit Geld kaufen, und der FC Chelsea hat das seitdem Roman Abramowitsch den Klub übernahm eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ob teure Stars oder hohe Ablösesummen für Trainer, der Geldbeutel war nicht das Problem der Londoner. Mindestens eine Sache aber hat Chelsea aus eigener Kraft und über die Jahre hinweg aufgebaut und profitiert jetzt davon: Die Erfahrung.

Dennoch wäre die Champions-League-Saison der Blues beinahe vorzeitig zu Ende gegangen. Eine vor allem offensiv unerfahrene Startelf unterlag bei Paris Saint-Germain im Viertelfinal-Hinspiel mit 1:3 und strahlte nicht gerade im Überfluss Torgefahr aus. Im Rückspiel baute Mourinho unter anderem auf Frank Lampard und Samuel Eto'o, und die durchschnittlich zwei Jahre ältere Startelf machte mit dem 2:0-Sieg das Halbfinale perfekt.

"Chelsea gibt nie auf, oder?", strahlte Andre Schürrle, Torschütze des 1:0, anschließend und brachte den Unterschied zum Hinspiel auf den Punkt: "Wir haben einen tollen Charakter. Das sieht man. Spieler wie John Terry und Frank Lampard haben vorher zur Mannschaft gesprochen und uns klar gemacht, dass wir es schaffen können. Das war großartig."

Keine Sonderbehandlung für die Routiniers

Tatsächlich baut Mourinho in seiner zweiten Amtszeit bei Chelsea auf erfahrene Spieler, die ihm bereits zwischen 2004 und 2007 zu mehreren Titeln mit den Londonern verhalfen. Kapitän John Terry erlebt im Alter von 33 Jahren eines seiner besten Jahre, Lampard (35) gibt dem Mittelfeld in wichtigen Spielen nach wie vor Struktur und stand in allen zehn Champions-League-Spielen auf dem Platz (acht Mal in der Startelf).

Dazu kommen Torhüter Petr Cech (31) und Samuel Eto'o, mit dem Mourinho bei Inter vor vier Jahren alles gewann - zusammen bringen die vier Säulen die Erfahrung von 376 CL-Spielen mit. Dennoch hatte Mourinho vor der Saison gleich bei seiner ersten PK nach der Rückkehr zu den Blues klargestellt, dass es keine Vorzugsbehandlung für die Routiniers geben werde.

"Natürlich sind noch einige Jungs aus meiner Zeit hier, was schön ist. Aber es ist wichtig klar zu stellen, dass es für sie keine besonderen Privilegien gibt. Sie wissen das schon, denn sie kennen meine Natur. Sie haben keinen Vorteil gegenüber den anderen Spielern", betonte der 51-Jährige damals

Mou: Unsicher wegen Terry

Vor allem Terry war vor der Saison eine der Baustellen, die dem Portugiesen Bauchschmerzen bereitete. Der Haudegen, der mit Mourinho so manche Fußball-Schlacht geschlagen hatte, war zuvor unter Rafa Benitez zunehmend zum Nebendarsteller degradiert worden.

"Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte", gab Mourinho zuletzt zu: "Das habe ich ihm auch gesagt. Ich habe ihm gesagt, dass ich verstehen will, was passiert ist. Manche Spieler verlieren ihre Form, ihre Leistungsfähigkeit oder ihre Ausdauer. Ich wollte feststellen, ob das der Fall ist. So sind wir dann in die Vorbereitung gegangen. In meinen ersten beiden Jahren hier war er fantastisch, und jetzt spielt er wieder eine tolle Saison. Ich hatte nicht erwartet, dass er der beste englische Innenverteidiger sein würde."

Dabei hat der 33-Jährige noch nicht ausgelernt. Vor zwei Jahren überzeugte Terry Andre Villas-Boas noch davon, dass er wegen seiner fehlenden Spritzigkeit tiefer stehen müsste, doch Mourinho verordnete genau das Gegenteil: "John weiß, dass es funktioniert, wenn das ganze Team Pressing spielt. Es geht darum, dass die Verteidiger beobachten, was vor ihnen passiert. Wenn die Stürmer den Gegner unter Druck setzen, hat es die Abwehr leichter und kann einige Meter höher stehen."

Der Mentor und der Lehrmeister

Und so hat Terry einen großen Anteil daran, dass Chelsea die mit Abstand beste Defensive der Premier League stellt. Die Blues haben zehn Tore weniger kassiert, als die hier Zweitplatzierten Manchester City und Everton. Dass die Londoner außerdem die drittbeste Offensive stellen (66 Treffer) ist auch ein Verdienst von Frank Lampard. Der Mittelfeldmann war in der Liga an neun, in der Königsklasse an drei Treffern direkt beteiligt.

Darüber hinaus fungiert der Nationalspieler auch als Mentor für die jungen Teamkollegen, gerade im offensiven Mittelfeld. "Es gibt für Eden Hazard und all die anderen kein besseres, professionelleres Vorbild als Frank Lampard", wird Mourinho nicht müde zu betonen. Doch auch für Lampard selbst ist es etwas Besonderes, mit seinem alten Lehrmeister nochmals wiedervereint zu sein.

Bei einer Gala zu Jahresbeginn enthüllte der 35-Jährige, dass sich Mourinho auch während dessen Zeit bei Inter Mailand um ihn kümmerte, als seine Mutter gestorben war: "Er hat mich jeden Tag angerufen. Jeden einzelnen Tag. Er ist der loyalste und fürsorglichste Trainer, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Er ist nicht nur ein großer Trainer, sondern auch ein großer Mann."

Eto'o und der Alterskonflikt

Bei Eto'o geht die Erfahrung so weit, dass mittlerweile öffentlich über sein Alter spekuliert wird. "Das Problem ist, dass Chelsea ein Stürmer fehlt. Ich habe mit Eto'o einen einzigen, und der ist 32 Jahre alt. Vielleicht 35", gab Mourinho in einem unbedachten Moment unbewusst vor laufender Kamera zu Protokoll. Prompt trat eine angebliche Ex-Freunden des Kameruners auf den Plan: "Samuel ist nicht 35, er ist 39. Er wurde 1974 geboren."

Doch Eto'o, der in dieser Saison schon fünf CL-Torbeteiligungen auf dem Konto hat, nahm es gelassen. Im nächsten Spiel erzielte er das 1:0 gegen Tottenham, "humpelte" zur Eckfahne und nutzte diese als Gehhilfe. "Der beste Weg, eine solche Situation zu meistern, ist, mit Humor ranzugehen", freute sich Mourinho.

Wie wichtig der Stürmer für Chelsea in diesem Jahr ist, zeigte sich spätestens in Paris. Eto'o war angeschlagen und konnte nicht spielen, Mourinho klagte anschließend über seine Stürmer und betonte, Eto'o, auch wenn dieser noch nicht ganz fit sei, im Rückspiel aufstellen zu wollen. Immerhin sei der Kameruner einer der wenigen Spieler, mit dem er bei zwei verschiedenen Klubs zusammenarbeiten wollte.

Letzte Chance für die alte Garde

Klar ist aber auch, dass es für die alte Garde in dieser Besetzung die letzte Chance auf den großen Wurf ist. Die Verträge von Eto'o, Lampard und Terry laufen im Sommer aus, Cech bekommt durch die erwartete Rückkehr von Thibaut Courtois von Halbfinal-Gegner Atletico zusätzliche Konkurrenz. Während es Lampard wohl in die USA zieht, dürfte Eto'o einen Topstürmer, eventuell Atleticos Diego Costa, vor die Nase gesetzt bekommen.

Allerdings scheint es, dass Mourinho, gestützt von altbekannten Kräften, in seinem ersten Jahr nach der Rückkehr zu Chelsea die richtige Mischung zwischen Erfahrung und Jugend gefunden hat. "Man hätte auch sagen können, dass wir ein Projekt für die Zukunft machen und nur junge Spieler einsetzen, die noch zehn Jahre lang spielen können", so Mourinho.

Doch man habe sich anders entschieden: "Wir haben uns von Anfang an darauf festgelegt, dass der beste Weg, um die anderen Jungs zu entwickeln, darin liegt, einen Kern aus diesen erfahrenen Spielern zu haben. Sie sind wichtig für die Entwicklung des Teams. Diese älteren Spieler haben in der Champions League schon alles erlebt."

Bislang ist die Rechnung aufgegangen. Chelsea profitiert von der Erfahrung seiner Routiniers und ist einen Schritt davon entfernt, zum zweiten Mal in drei Jahren ins Champions-League-Finale einzuziehen. "Unser Trainer war sehr erfolgreich, und wir haben den Pokal auch gewonnen", bringt es Terry auf den Punkt: "Wir haben auch Enttäuschungen erlebt. Das lässt einen weiterkämpfen und weiter daran glauben."

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