Don Jupp, der Erlöser

Von Tim Noller
Jupp Heynckes (2.v.l.) feiert mit Real "La Septima", den siebten Sieg im Landesmeistercup
© getty

Der Kracher am 3. Spieltag der Gruppenphase lautet ohne Frage: Real Madrid gegen Juventus Turin (20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Erinnerungen an 1998 werden wach. Real Madrid hatte über 30 Jahre lang auf den Titel in der Königsklasse gewartet. Jupp Heynckes übernahm und führte die Königlichen prompt ins Finale. Gegen Juve war man aber nur Außenseiter...

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Freudestrahlend schreitet er aufs Spielfeld. Nach dem großen Triumph im Finale der Champions League umarmt er seine Spieler herzlich und beglückwünscht sie zum 2:1-Erfolg über Borussia Dortmund.

Am Ende kann sich Jupp Heynckes auch nicht dagegen erwehren, von seinem Team gefeiert und in die Lüfte katapultiert zu werden. Zu groß ist die Euphorie nach dem geglückten Gewinn der Königsklasse im Mai 2013. Es ist die Krönung seiner Karriere - seiner zweiten.

Heynckes kommt für Capello

Eine Zeitreise zurück in den Juli des Jahres 1997. Präsident Lorenzo Sanz holt den damals 52-jährigen Jupp Heynckes als Ersatz für Fabio Capello zu Real Madrid, obwohl der Italiener gerade die Meisterschaft gewonnen hat.

Doch Capello wird eine zu defensive Spielweise vorgeworfen, die gefällt weder den Medien noch dem Präsidenten. Spektakel muss her. Heynckes hatte gerade erst den CD Teneriffa überraschend auf Rang neun der Primera Division geführt und sich in Spanien einen guten Ruf erworben.

Madrid lechzt nach "La Septima", dem siebten Titel im Europapokal der Landesmeister bzw. der Champions League, so wie es heute nach "La Decima" jagt. Seit 1966 ging Real in diesem Wettbewerb leer aus, der Titel sollte mit aller Gewalt her.

In der Saison 1995/1996 qualifizierten sich die Königlichen wegen des sechsten Platzes nicht mal mehr für den UEFA-Cup. Eine Schmach für das weiße Ballett, die Capello aber umgehend korrigierte. Dennoch musste er gleich wieder gehen.

Juventus klarer Favorit im Finale

Neben Heynckes kommen auch einige neue Spieler, darunter Fernando Morientes, Christian Karembeu und Aitor Karanka. Aus den schon vorhandenen Jungstars Raul und Clarence Seedorf sowie den Erfahrenen Manuel Sanchis, Fernando Hierro und dem deutschen Torhüter Bodo Illgner formt Heynckes eine schlagkräftige Truppe, die souverän bis ins Finale marschiert.

Auf dem Weg ins Endspiel schaltet Madrid auch Bayer Leverkusen im Viertelfinale und Borussia Dortmund im Halbfinale aus. Das Hinspiel gegen den BVB ging als "Torfall von Madrid" in die Geschichte ein.

Trotzdem wird Real im Finale am 20. Mai 1998 gegen Juventus Turin als Außenseiter geführt. Die Italiener stehen zum dritten Mal in Folge im Endspiel (1996 Sieg über Ajax, 1997 Niederlage gegen den BVB).

"Jeder glaubte, dass Juve das Spiel locker gewinnen würde", erinnert sich Real-Stürmer Predrag Mijatovic, der in der 66. Minute das entscheidende Tor schießen sollte. Real spielte keine gute Saison unter Heynckes. Rang vier in der Liga und Aus im Pokal gegen einen Drittligisten.

Mijatovic schlägt eiskalt zu

"Dieses Spiel war vielleicht das wichtigste in der Geschichte von Real Madrid", sagt der damalige Kapitän Manuel Sanchis rückblickend. "Das heißt nicht, dass die anderen acht Titel nicht wichtig waren. Aber der Klub hatte 32 Jahre gewartet. In dieser Zeit wuchs der Hunger bei den Fans, den Spielern und im Klub immer mehr. Wir fieberten dem Tag des Finals ungemein entgegen. Der Druck war enorm."

Juventus kommt auch besser in die Partie, geht aber leichtfertig mit seinen Chancen um. Real arrangiert sich im Laufe des Spiels besser mit den Italienern und schlägt durch Mijatovic eiskalt zu. Real rettet den Vorsprung über die Zeit und schnappt sich "La Septima".

Mijatovic und Heynckes hatten es geschafft und den wichtigsten Fußballklub der Welt von seiner 32-jährigen Wartezeit erlöst.

Eine Ohrfeige für Heilsbringer Heynckes

Wie 2013 in Wembley die Bayern-Spieler werfen ihn auch die Real-Profis in die Luft, der Klub aber wirft ihn raus. "Ich kann nicht zulassen, dass ein Spiel und ein Tor, die Zukunft von Real Madrid verändern", sagte Präsident Sanz. "Wenn wir den Titel nicht gewonnen hätten, wäre das eine der schlechtesten Saisons in der Geschichte gewesen. Heynckes hatte viel Druck von außen und konnte damit nicht umgehen."

Ein vernichtendes Urteil für einen Trainer, der dem Verein endlich den größten seiner Wünsche erfüllt hatte. "Wenn ich dem Präsidenten in der Vorbereitung gesagt hätte, dass wir die Champions League gewinnen, hätte er meinen Vertrag um fünf Jahre verlängert", sagte Heynckes.

Ihm habe es an jeglicher Unterstützung vom Vorstand gemangelt. Die letzten Monate habe er unter Bedingungen gearbeitet, "die kein anderer Trainer der Welt ausgehalten hätte. Aber ich habe das dank meiner Erfahrung geschafft."

Bitteres Fazit

Auch Manuel Sanchis stellt Heynckes' Leistung in den Vordergrund. Er habe die Mannschaft taktisch und mental perfekt auf das Finale vorbereitet. "Es war ein schwieriges Jahr. Aber er hat uns so eingestellt, dass wir unsere schwachen Auftritte in der Liga vergessen und in Europa unsere beste Leistung bringen konnten."

Seit dem Triumph von Amsterdam hat Real die Champions League nur zwei weitere Male gewonnen, aber 15 Trainer verschlissen.

Knapp zehn Jahre nach seiner Entlassung zog Heynckes in einem Interview mit der "Welt" ein Fazit über seine Zeit bei Real, das auch heute noch Gültigkeit hat: "In Madrid spielt es keine Rolle, ob du einen Titel geholt hast oder nicht. Das Wichtigste als Trainer bei Real ist, von den Verantwortlichen einen gewissen Kredit zu bekommen und die Fäden dann so zu ziehen, dass du immer eloquent zu allen Seiten bist. Da sind die Medien inbegriffen, da sie einige Entscheidungen stark beeinflussen."

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