Zuzeln um 9 mit Anatolij

Von Für SPOX in der Allianz Arena: Fatih Demireli
In der Erlebniswelt des FC Bayern München steht der CL-Pott schon - samt Logo im Hintergrund
© getty

Der FC Bayern hat weltweit zum sogenannten Open Media Day eingeladen. Journalisten aus aller Welt durften den Klub zwei Wochen vor dem Champions-League-Finale hautnah erleben. Mit dabei: Wurst lutschende Japaner, Anatolij Tymoschtschuk aus Pappe und Borat. Eine SPOX-Reportage.

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Der Kollege wirkte ein wenig unbeholfen, schon seit einigen Minuten. Er agierte hartnäckig, aber eben vor allem hoffnungslos überfordert. Vielleicht wirkte er auch gerade deswegen so sympathisch. Der Oberlippenbart, die wuselige Haarpracht und das gräuliche Outfit erinnerten an Sascha Baron Cohens Figur Borat.

Auch unser Kollege war wie der Kino-Kasache etwas tollpatschig in seiner Bewegungsapparatur, als er versuchte ein Foto zu schießen. Man mochte es ihm nicht verdenken. Jeder, der schon mal versucht hat, ein Foto von sich selbst zu machen, weiß wovon die Rede ist. Mal ist der Finger dazwischen, dann der Winkel schlecht, mal sieht man nur die Augenbraue, dann nur das Kinn.

Dieser Kollege hatte noch das Problem, dass seine Ausrüstung nicht unbedingt optimal war. Seine blaue Digitalkamera wurde wahrscheinlich hergestellt, als irgendwann mal zweifacher Zoom als Weltneuheit vorgestellt wurde. Dann klemmte auch noch der Auslöserknopf. Vielleicht war das kleine silberne Ding einfach auch nur durchgedrückt nach den unzähligen Versuchen.

Bayern-Profis als Pappfiguren

Nun hatte der Kollege, der Kollege heißt, weil weder Name noch sonstige Personalien bekannt sind, ja nicht nur die Idee, sich selbst zu fotografieren, mit Anatolij Tymoschtschuk als Beiwerk. Anatolij war etwas steif. Das lag weder am fortgeschrittenen Alter, noch am harten Training von Jupp Heynckes. Nicht der Mensch Tymoschtschuk war anwesend, sondern nur eine Version aus Pappe.

Eine von 26 Pappfiguren, die in der "FC Bayern Erlebniswelt", dem Museum des Triple-Jägers, ausgestellt sind. 26 Bayern-Profis, 26 Pappfiguren in Lebensgröße.

Den echten Anatolij hatte der Kollege zwei Stunden vorher interviewt, im Anschluss an eine Trainingseinheit des FC Bayern in der Münchener Allianz Arena. Als alle Bayern-Profis im Kabinentrakt verschwanden, blieb Tymoschtschuk mit Pierre-Emile Hojbjerg noch auf dem Platz, um noch ein bisschen weiterzubolzen. Tymoschtschuk haute jeden Fernschuss - ausnahmslos jeden - über oder neben das Tor. In Folge dessen ging er lieber ins Flanken über.

"Ich Flanke, du Kopf"

"So und jetzt: ich Flanke, du Kopf", schrie Tymoschtschuk über den halben Platz zu Hojbjerg, um dann den Ball geschmeidig hinters Tor zu flanken. Hojbjerg ist noch viel zu anständig, um sich zu beschweren, wenn er keinen einzigen brauchbaren Ball bekommt. Und Tymoschtschuk ist in der Mannschaft des FC Bayern viel zu beliebt, um ihn schief anzuschauen, nur weil er ein paar Bälle ins Jenseits schaufelt.

Nach der x-ten miesen Flanke hatte Tymoschtschuk dann aber genug und marschierte Richtung Kabine, als er von unserem Kollegen abgefangen wurde. Kurzes Interview. Fünf Minuten. Zwischendurch holte Mr. Kollege einen Zettel heraus, legte ihn auf die Ablagefläche. Ein Autogramm?

Wahrscheinlich vergaß der Journalist in der Hast noch schnell ein Foto mit dem Interviewpartner zu schießen und musste sich dann mit seinem Pappfreund begnügen. "Can you make a Foto?", fragte er anfangs freundlich. Wahrscheinlich war er mit dem Ergebnis nicht zufrieden, sodass man ihn 15 Minuten später beim Selbstporträtieren beobachten konnte.

Flut an Journalisten in der Arena

Der Kollege, mutmaßlich aus dem russischen Raum, war einer von 190 Journalisten, die für den Open Media Day in München akkreditiert waren. Medienvertreter aus 18 Ländern kamen auf Einladung des FC Bayern in die Allianz Arena, um die letztmögliche, internationale Medienaktivität vor dem Champions-League-Finale am 25. Mai in London zu nutzen.

So viele Journalisten waren noch nie in der Münchener Arena, wenn kein Fußballspiel stattfand. Der FC Bayern legt großen Wert auf seine Medienarbeit. Deswegen wurde der Tag auch penibel vorbereitet. Sport-Vorstand Matthias Sammer kam eigens ins Stadion, um die Journalisten willkommen zu heißen und nachzufragen, ob auch alles passt.

Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick im SPOX-Interview

Wie es sich als guter Gastgeber gehört, wurde reichlich spendiert. Zum bayrischen Frühstück Weißwürste und Brezen. Kollektives Zuzeln (bayrisch für saugen) um 9 Uhr morgens. Sozusagen die Wurst aus der Haut mit Zunge und Zähnen lutschen. Der eine oder andere Vertreter aus Japan hatte noch etwas Probleme mit der Handhabe. Geschickter verhielten sich die US-Abgesandten, wobei sie nicht alle namenssicher waren. "Another Böckwöörst?", fragte einer seinen Kollegen.

Schrecksekunde bei Schweinsteiger

Bock-, Weiß-, oder whatever-Würste waren der Renner schlechthin. Selbst das Training der Bayern war nicht für jedermann interessant. Als sie sich dann doch an die frische Luft wagten, hatte Tymoschtschuk bereits begonnen, das Tor konsequent zu verfehlen. Getroffen hat der Ukrainer nur einmal: Bastian Schweinsteiger am Knöchel. Der Vizekapitän blieb liegen. Gespannte Blicke, bis Schweini offenbar schmerzfrei wieder stehen konnte.

Den Medienvertretern war gestattet, das Training über die volle Distanz zu begutachten. Keine Selbstverständlichkeit, zumal Trainer heutzutage taktische Einheiten lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhalten und grundsätzlich in Ruhe arbeiten wollen. Das taktische Element blieb diesmal etwas kurz, auch wenn beim Spielchen Zehn gegen Zehn eine Startformation zu erkennen war.

Die mit den grauen Leibchen, das waren die Kandidaten für London. Die ohne Leibchen stellten das sehr erfolgreiche Rotationspersonal der vergangenen Wochen dar. Tymoschtschuk, Luiz Gustavo, Diego Contento, aber auch Mario Gomez zählten dazu. Letzterer schoss immerhin ein schönes Tor - nach Fehler von Grauleibchen-Abwehrchef Dante.

"In Polen sind alle für Dortmund"

Diese Beobachtung konnte der eine oder andere Journalist nicht machen. Da war dieser Reporter von "TV Polska", den Öffentlich-Rechtlichen Polens. Der gute Mann mit dem etwas zu groß geratenen Jacket und der Yordan-Lechkov-Gedächtnis-Halbglatze war ein überaus gefragter Mann. Fast jede deutsche TV-Station wollte mit dem TVP-Mann über das Finale reden. Und natürlich über Robert Lewandowski. "Ich bin ja Bayern-Fan, aber in Polen sind sie alle für Dortmund", berichtete er.

Der Pole wurde reihum interviewt, sagte immer artig zu, wenn der Nächste mit dem Mikrofon ankam. Als er endlich fertig war, pfiff Jupp Heynckes das Training ab. Einheit verpasst. Ihm ging es genauso wie seinem Kollegen von "Nippon TV" aus Japan. Extravagante Frisur, knallblaues Jacket, dessen Farbton an eine einstige Uniform Christoph Daums erinnerte und auch ansonsten eine modische Erscheinung. Das Äußere rundete der Name des Kollegen ab: Wenn man so aussieht, kann man tatsächlich nur Takashi Suzuki heißen.

Da dieser aufgrund einer vitabedingten Vergangenheit in Österreich ganz gut Deutsch sprechen konnte, war Freund Takashi zur Jagd freigegeben. "Wie sieht man in Japan dieses Duell?" "Wie findet man den FC Bayern?" Ach ja: "Guckt ihr euch das Spiel überhaupt an?"

"Five minutes for SPOX?"

Als das Training zu Ende war, ging die Reise wieder zurück in das Innere der Arena. Auf dem Weg zum Pressekonferenzraum lief Bayerns früherer Stürmer Alan McInally vorbei. Der Schotte ist TV-Experte in Großbritannien und "immer noch ein großer Bayern-Fan". Schon während des Trainings sah er auf dem Platz vorbei, umarmte seinen Ex-Trainer Jupp Heynckes, hielt einen Smalltalk mit Bastian Schweinsteiger.

"Mr. McInally, five minutes for SPOX?"

"Yeah, of course! Auf Deutsch oder in Englisch?"

Und schon erzählte er in einem verblüffend guten Deutsch seine Sichtweisen, wurde aber immer wieder unterbrochen, weil er selbst gleich interviewen musste: Bayerns Franck Ribery, der mal kurz vorbeischaute und dann wieder verschwand.

Danke Mr. McInally, aber das Programm des FC Bayern war zeitlich straff. Zwei Stunden Pressekonferenz standen an. Erst Jupp Heynckes, der kein einziges Mal den Namen Pep Guardiola hören musste, dann die Kapitäne Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger und zum Finale noch das Duo Arjen Robben/Thomas Müller.

"Nein Thomas, du bist jetzt nicht dran"

Letzterer platzte schon herein, als sich gerade Lahm und Schweinsteiger auf dem Podest bequem machten. "Nein Thomas, du bist jetzt nicht dran, später mit dem Arjen", informierte Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick seinen vorschnellen Schützling. Ein gut gespielter böser Blick, wilde Handbewegungen und ein "ich bin stinksauer, ey" - und weg war der Müller.

Als Robben gerade darüber sprach, dass er fit sei und noch viele Jahre vor sich habe, fiel ihm Müller ins Wort: "Viele Rückrunden, Arjen." Gelächter. Ebenso, als Robben einen englischen Journalisten darauf hinwies, dass auch Müller auf Englisch antworten könne. Wer an diesem Tag vom FC Bayern nicht genug hatte, begleitete final Hasan Salihamidzic in die Erlebniswelt.

Pokale, Trikots, Wimpel, Trophäen, sprechende Legenden auf Videoleinwänden - die Historie des FC Bayern pochte in diesen Räumen. Wer nicht gerade bei Salihamidzic stand, zog sich über 100 Jahre FC Bayern bis ins Detail rein. Nur einer stand etwas abwesend. Bei einer Pappfigur, die er umarmte und gleichzeitig ein Foto schießen wollte. Und siehe da: Irgendwann machte er ein zufriedenes Gesicht - und ging von dannen.

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