Identifikationsfigur auf Zeit

Von Andreas Lehner
Julian Draxler steht bei Schalke 04 im Fokus
© getty

Julian Draxler ist das neue Gesicht von Schalke 04 und der Spieler im Fokus im Champions-League-Achtelfinale gegen Galatasaray (20.30 Uhr im LIVE-TICKER). Sein Potenzial scheint grenzenlos, sein Selbstverständnis wächst. Für den Klub ist Draxler ein Geschenk, aber wie lange können sich die Fans daran erfreuen?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Stollenschuhe klimpern auf dem Kabinengang der Arena. Julian Draxler biegt um die Ecke und bereitet sich auf das anstehende Interview vor. Er zupft sich sein königsblaues, langärmliges Sport-Unterhemd zurecht - sein Trikot hatte er zuvor der Kurve geschenkt - und verschränkt die Hände hinter dem Rücken.

Ziemlich korrekt steht der Schalker Jungstar nun da, um sich zum Derby-Sieg über Borussia Dortmund zu befragen lassen. Durchtrainiert, aber fast schüchtern wirkt seine Körperhaltung. Doch dann das: "Besser geht's nicht. Der Tag war perfekt", sprudelt es nach seinem ersten Sieg gegen den BVB aus ihm heraus. "Ich glaube, diese Geschichte passt ganz gut zu meiner Karriere im Moment. Wenn, dann richtig..."

Beeindruckender Auftritt

Die Karrierekurve des Schalker Juwels hat in den letzten Wochen noch einmal einen deutlichen Knick nach oben gemacht. Doppelpack gegen den VfL Wolfsburg, sein 100. Pflichtspiel als jüngster Profi in der Geschichte und jetzt das Tor zum 1:0 gegen den BVB.

Der Treffer war ein Beleg für einen Teil seiner herausragenden Anlagen: Kurzer, entschlossener Sprint in den richtigen Raum, perfekte Direktabnahme der flachen Hereingabe, Einschlag neben dem linken Pfosten. "Sein Auftritt war sehr, sehr beeindruckend", fand Trainer Jens Keller.

Sein Jubel, ein Signal. Nach dem Tor tanzte er vor der Nordkurve, er brüllte, er trommelte mit seiner Hand aufs Schalker Wappen. Seit 2001 spielt Draxler für den FC Schalke 04. Er ist das Gesicht des Vereins, die neue Identifikationsfigur und der Hoffnungsträger.

Neuers Nachfolger träumt vom Ausland

Draxler ist der Spieler, der die Lücke schließen kann, die Manuel Neuer nach seinem Wechsel zum FC Bayern hinterlassen hat und die Kapitän Benedikt Höwedes nicht alleine füllen kann. Draxler ist ein Spieler mit scheinbar grenzenlosem Potenzial, ein Spieler für die Großklubs der Branche. Und damit auf Dauer zu gut für Schalke?

"Ich bin kein Heuchler, der große Reden schwingt. So nach dem Motto: Ich bleibe mein Leben lang auf Schalke. Das kann ich nicht, weil ich nicht weiß, wie sich meine Karriere und der Verein weiter entwickeln werden", sagte er Anfang des Jahres der "Recklinghäuser Zeitung".

Vorgänger Neuer hat sich für den Weg nach München und gegen seinen Klub Schalke entschieden, um dauerhaft um Titel mitzuspielen, national wie international. Draxler hat sich zwar ein anderes Beispiel ausgesucht, um seinen Karriereplan zu beschreiben, die Richtung scheint dennoch die gleiche.

"Ich möchte einen Weg wie Mesut Özil einschlagen. Der hat auch bei Schalke begonnen und spielt jetzt bei Real Madrid", sagte er vor einiger Zeit dem "Kicker".

Interessenten gibt es in ganz Europa. Das Ausland und vor allem Spanien sind Draxlers Traum, bis 2016 steht er allerdings noch bei Schalke unter Vertrag. Die Fans sollten sich aber schon mal bewusst werden, dass sie ihren "Jule" nicht auf ewig in Königsblau erleben werden.

Selbstbewusst, aber nicht überheblich

Nach dem Duschen. Draxler, jetzt in Turnschuhen und Trainingsanzug, muss die Geschichte seines Spiels noch einmal erzählen. Wieder spricht er vom Adrenalin, überbordender Freude und dem großen Moment Derby-Sieg. Seine neue Frisur kommt nach dem Föhnen noch deutlicher hervor. Oben lang, seitlich kurz, so wie man das heute trägt. "Das ist ein Kampfschnitt fürs Derby", sagt Draxler.

"Ich bin ab und zu frech und provozierend", schreibt Draxler auf seiner Homepage über seine negativen Charaktereigenschaften. "Ich bin ehrlich, direkt, zielstrebig und selbstbewusst", schreibt Draxler auf seiner Homepage über seine positiven Charaktereigenschaften.

Mit dieser Einstellung hat Draxler auch immer die Diskussion um seine Lieblingsposition geführt. Auf der Zehn fühlt er sich am wohlsten und seit dem Abschied von Lewis Holtby zu Tottenham Hotspur ist er dort auch gesetzt. Dass er im Zentrum seine Stärken besser einbringen kann und für die Mannschaft wertvoller ist, zeigt er aktuell Spiel für Spiel.

Die Gefahren des schnellen Aufstiegs hat Draxler laut eigener Aussage auch schon erfahren. Ein Hang zu Arroganz oder Überheblichkeit ist bei ihm aber nicht auszumachen. Die Frisur ist nach wie vor das einzig leicht extravagante Detail, das er sich leistet. "Wenn ich mal großkotzig werden sollte, dann hauen meine Mutter und mein Vater sofort dazwischen."

Ein Bierchen auf den Derby-Sieg

Ein gesundes Selbstverständnis hat sich Draxler zugelegt, das auch nötig ist, um im Profibereich ganz nach oben zu kommen. Als er vor der EM 2012 überraschend in den vorläufigen Kader von Joachim Löw rutschte, vor dem Turnier aber wieder gestrichen wurde, bezeichnete er eine zukünftige Nominierung für die U 21 als "kleinen Rückschritt".

Diesem Stadium scheint er mittlerweile auch entwachsen. Wenn Löw am Donnerstag seinen Kader für die WM-Qualifikationsspiele gegen Kasachstan bekannt gibt, wird Draxler mit großer Sicherheit dabei sein. Es wird ohnehin spannend zu sehen sein, wie Löw das fantastische Angebot im offensiven Mittelfeld in Zukunft managen wird.

Zuvor will er mit Schalke gegen Galatasaray ins Champions-League-Viertelfinale einziehen und so die perfekte Woche abschließen. Den Derby-Sieg wollte er noch mit einem Bierchen feiern und genießen. "Aber natürlich wissen wir, dass wir am Dienstag gegen Galatasaray spielen und fit sein müssen."

Julian Draxler im Steckbrief