Neue Liebe zur Heimat

Von SPOX
Franck Ribery gelangen in der laufenden Saison zwei Tore und vier Assists
© Getty

Das Champions-League-Spiel in Lille (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) wird für Bayerns Franck Ribery zur Reise in die Vergangenheit. Im OSC-Internat begann die Karriere des Superstars - doch um ein Haar hätte sie dort bereits ein frühes Ende gefunden.

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Geduldig lässt sich Franck Ribery bei seiner Ankunft in Lille mit seinen Landsleuten fotografieren, schreibt Autogramme und hält den ein oder anderen Plausch. "Es ist schön wieder hier im Norden zu sein", sagt Ribery lächelnd vor der bedeutsamen Champions-League-Partie gegen den OSC Lille (20.30 Uhr im LIVE-TICKER).

Schön war es für den 29-Jährigen dort aber gewiss nicht immer. Ribery, 90 Autominuten von Lille in Boulogne-sur-Mer aufgewachsen, startete seine fußballerische Ausbildung im Alter von dreizehn Jahren im Internat des OSC. Doch der Junge aus der Arbeiterstadt eckte von Beginn an an.

Als Kind ständig wegen seines durch einen Unfall vernarbten Gesichts provoziert, eignete Ribery ("Ich war ein Kämpfer") sich im Laufe der Zeit eine harte Schale an, scheute keinen Konflikt und war schnell als Rüpel verschrien. Wo Ärger war, da war nicht selten auch Ribery.

Ribery spielt für 150 Euro im Monat

Nicht einmal sein großes fußballerisches Talent bewahrt ihn drei Jahre später vor den Konsequenzen: Mit 16 schmeißt ihn Lille wegen miserabler Schulnoten und - wie Ribery heute behauptet - seiner zu geringen Körpergröße von der Akademie. "Es gab nur einmal ein Problem, ich habe einen Schüler geschubst, der hat sich den Ellenbogen gebrochen. Die Direktoren haben viel Falsches gesagt, Lügen verbreitet", so der Franzose.

Es zieht ihn im Jahr 2000 zurück zu seinem Heimatklub Boulogne-sur-Mer, mit dem er bei einem Monatsgehalt von 150 Euro in die dritte Liga aufsteigt.

Zu wenig für Ribery, der sein Glück daraufhin im Süden beim Drittligisten Ales versucht. Doch auch dieses Intermezzo scheitert. Der Klub hat kein Geld, Ribery verliert sein Gehalt, seine Wohnung und steht erneut vor dem Nichts. Und wieder landet der damals 20-Jährige in seiner Heimatstadt. Dort ist der Traum vom Profifußball zunächst ganz weit weg.

Ribery hält sich als Straßenarbeiter auf öffentlichen Baustellen monatelang über Wasser und spielt nebenher weiter für Boulogne-sur-Mer. "An der Seite meines Vaters zu arbeiten war eine Lehre für mich. Ich habe angefangen, ernsthaft zu schuften", sagt Ribery.

"Der Islam hat mir geholfen"

"Er war der Prototyp eines Kerls, der nichts weiter tut, als in den Straßen rumzuhängen, unfähig auch nur ein Formular für die Sozialversicherung auszufüllen", sagte Spieleragent John Bico über Ribery, der 2003 schließlich zum Drittligisten Stade Brest wechselt.

Abgesichert von seinem ersten ordentlichen Gehalt und mit dem Rückhalt seiner Frau Wahiba, durch die er zum Islam fand, gewinnt Riberys Leben erstmals an Ordnung und Stabilität. "Der Islam hat mir geholfen, in schwierigen Momenten die innere Ruhe zu finden", so Ribery.

Der beidfüßige Tempodribbler ist schnell Stammspieler, liefert eine Torvorlage nach der anderen und macht sich national einen Namen. Endlich schreitet die Karriere des jungen Franzosen voran, bis sich 2004 mit dem FC Metz ein Zweitligist meldet, der Ribery seinen ersten Profivertrag anbietet.

Ribery fasst auch in der 2. Liga schnell Fuß, doch die Verwicklung in eine Discoprügelei fürt schließlich zum Zerwürfnis mit der Führungsetage des Klubs: Ribery muss gehen.

Kurzes Gastspiel in Istanbul

Für 2,5 Millionen Euro wechselt er in die Türkei zu Galatasaray, wo er nach holprigem Anfang innerhalb von vier Monaten zum Publikumsliebling wird. Seine spektakuläre Spielweise und seine drei Scorerpunkte im Pokalfinale gegen Erzfeind Fener sichern ihm den Platz in den Fan-Herzen.

Das Kapitel Istanbul ist nach einem halben Jahr jedoch bereits wieder beendet. In Riberys Version seien vier Monate lang keine Gehaltszahlungen geflossen, was einen jahrelangen juristischen Streit und die schnelle Trennung vom Klub nach sich zog: Am Ende bekommt der Franzose Recht und Gala geht leer aus.

Zidane: "Er stellt sich keine Fragen"

Ribery landet umgehend wieder in Frankreich, diesmal bei Olympique Marseille, wo ihn sein ehemaliger Metz-Coah Jean Fernandez mit offenen Armen empfängt und aus ihm kurz darauf einen Nationalspieler formt.

"Er handelt aus seinem Gefühl heraus, er stellt sich keine Fragen und er ist gut", sagt Zinedine Zidane vor Riberys Debüt in der Equipe Tricolore. Riberys überragende Leistungen verhelfen ihm 2006 schließlich zum Sprung auf den WM-Zug nach Deutschland.

Keine Liebe in Frankreich

Es war einer der wenigen Höhepunkte, die Ribery mit der Nationalelf erlebte. Eine schwache EM 2008, eine katastrophale WM 2010 und eine durchschnittliche EM 2012 sollten folgen.

In der französischen Öffentlichkeit sind vor allem die Bilder aus Südafrika hängengeblieben, als das Team Trainer Raymond Domenech nicht mehr folgen wollte und sein Training boykottierte. Ribery galt als einer der Anführer.

Dazu kam die ebenfalls öffentlich breitgetretene Prostituierten-Affäre. Ribery wurde in seinem Heimatland sehr negativ gesehen, noch Anfang 2011 wollte ihn ein Großteil der Franzosen dauerhaft aus der Nationalelf verbannen. Ribery fühlte sich nicht mehr richtig wohl in seiner Heimat, "es war immer komisch, wenn ich nach Frankreich zurückgekehrt bin".

Bayern "wie eine Familie" für Ribery

Dieses Mal in seiner Karriere scheiterte er aber nicht an seinen Problemen. Vor allem weil er vom FC Bayern und besonders von Uli Hoeneß bedingungslos unterstützt wurde. Die Bayern seien der "perfekte Klub" und "wie eine Familie" für ihn, sagte Ribery am Montag auf der Pressekonferenz.

Für den Rückhalt will er sich mit Leistung revanchieren. Denn auch in München wurde er nicht immer unkritisch gesehen. In entscheidenden Momenten tauche er zu oft ab, lautete ein Vorwurf. Dass er weder im Champions-League-Halbfinale in Madrid noch im Finale gegen Chelsea beim Elfmeterschießen auf dem Platz stand, weil er wegen leichten Blessuren seine Auswechslung forcierte, kam bei Teilen der Fans ebenfalls nicht gut an.

Ribery "in der Form seines Lebens"

Spätestens seit seiner starken Leistung beim 1:1 der französischen Nationalmannschaft in Madrid gegen Spanien hat er sich mit seinen Landsleuten versöhnt. In München wird er von der Masse ohnehin geliebt, was fehlt ist der Titel in der Champions League.

Den will er sich, dem Verein und den Fans schenken. Aktuell befinde er sich "in der Form seines Lebens", wie Jupp Heynckes erklärte. Gegen Hoffenheim traf er doppelt, in Düsseldorf spielte er die komplette Defensivabteilung schwindelig und lieferte drei Assists. Dazu arbeitet er konsequent mit nach hinten und stellt sich in den Dienst der Mannschaft.

In Lille brennt Ribery darauf, diese Form vor den Augen seiner angereisten Freunde und Familie im Grand Stade Lille Metropole zu bestätigen: "Ich kann es kaum erwarten, dort einzulaufen."

Der Empfang dürfte ein anderer werden, als im März in Marseille, wo er noch gnadenlos aufgepfiffen und beschimpft worden war. Ribery hat seinen Frieden mit der Heimat gemacht. "Franck ruht jetzt in sich", sagt Heynckes.

Franck Ribery im Steckbrief