"Aktionismus von außen"

Von Interview: Haruka Gruber / Stefan Rommel
Zlatan Ibrahimovic (M.) war der Königstransfer von PSG in diesem Sommer
© Getty

Borussia Dortmund auf Augenhöhe mit Europas Giganten: Jürgen Klinsmann erwartet Großes von Jürgen Klopps Team und zieht eine ungewöhnliche Parallele zum FC Barcelona und deren Dürrephase. Beim Milliarden-Projekt Paris Saint-Germain ist der Fußball-Experte skeptisch. Der US-Nationaltrainer und Hyundai-Markenbotschafter über die anstehende Champions-League-Saison (Di., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER).

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SPOX: Wie üblich gehen Barca, Real Madrid, Bayern, Manchester United und Chelsea als Topfavoriten in die Champions-League-Saison. Gibt es aber einen Klub aus der Verfolgergruppe, den sie besonders auf dem Zettel haben?

Jürgen Klinsmann: Natürlich ist der englische Meister Manchester City oder der deutsche Meister Borussia Dortmund richtig ernst zu nehmen und durchaus in der Lage, überraschend die Champions League zu gewinnen. Ich schätze Manchester City zum Beispiel stärker ein als Chelsea. In der Champions League kommt es darauf an, dass man zu bestimmten Terminen in Topform ist. Keine Mannschaft kann über zwölf Monate konstant in Top-Verfassung sein. Aber man muss sich seine Schwächephasen in Momenten nehmen, in denen keine entscheidenden Champions-League-Spiele anstehen.

SPOX: In der letzten Saison hat der zyprische Vertreter APOEL Nikosia mit dem Viertelfinal-Einzug für die Sensation schlechthin gesorgt. Gibt es einen ähnlich kleinen Klub, dem Sie dieses Jahr Ähnliches zutrauen?

Klinsmann: Ich glaube kaum, dass dies in diesem Jahr wiederholbar sein wird. Wenn ich die Gruppen anschaue, sehe ich keine, in denen ein Außenseiter realistische Chancen hat. Alleine in der Gruppe von Dortmund spielen der englische, der spanische und der deutsche Meister.

SPOX: Erwarten Sie in dieser Saison eine Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse? Spanische und italienische Vereine geben für Neuzugänge wesentlich weniger aus als früher, Deutschland und vor allem Paris investieren deutlich mehr.

Klinsmann: Machtverhältnisse verändern sich nur über mehrere Jahre hinweg. Wenn in diesem Jahr Paris die Champions League gewinnen sollte, wäre dies zwar eine Überraschung - aber es gäbe deshalb noch keine neuen Machtverhältnisse im europäischen Fußball. Es geht ja nicht nur um den Sieg. Die spanischen Teams stehen seit Jahren in den Halbfinals - da dauert es eine Weile, bis neue Machtverhältnisse entstehen.

SPOX: Wie verfolgen Sie das Projekt PSG? Sehen Sie darin eine große Chance für den stagnierenden französischen Fußball? Oder befürchten Sie eine Wiederholung des Falls "FC Malaga", das vor einem Jahr ähnlich ambitioniert gestartet war und vom Ruin bedroht ist?

Klinsmann: Ich verfolge das mit großem Interesse. Ich sehe es als Chance - aber auch als Risiko. Eine dauerhaft erfolgreiche Lösung im Fußball kam bisher immer aus dem Verein heraus. Siehe Barcelona. Aktionismus von außen wie jetzt in Paris oder früher in Malaga haben bisher noch nicht dauerhaft zum Erfolg geführt.

SPOX: Real Madrid wird sich vor allem auf die Champions League konzentrieren. Letzte Saison gab es das Aus gegen die Bayern, dennoch wurde die Mannschaft bisher nicht so verstärkt wie in der Vergangenheit. Könnte das womöglich der richtige Weg sein, um Kontinuität zu gewährleisten?

Klinsmann: Jose Mourinho weiß sehr genau, was er macht. Er hatte mit seiner Mannschaft in der vergangenen Saison die spanische Meisterschaft gewonnen und das Halbfinale der Champions League erreicht. Aber diese Mannschaft besitzt noch weiteres Potenzial. Deshalb hat er die Mannschaft im Stamm gehalten und sehr zielgerichtet verstärkt, zuletzt mit Luka Modric. Wer das Programm der spanischen Teams kennt, weiß, dass man gezielt immer wieder frische Spieler braucht - und das hat Mourinho sehr gut umgesetzt.

SPOX: Chelsea ermauerte sich im Vorjahr den Champions-League-Titel. Spielte dabei vor allem Fortune eine Rolle? Oder ist ein solcher Erfolg mit einer sehr ausgeprägten Defensivausrichtung wiederholbar?

Klinsmann: Um den Champions-League-Titel zu gewinnen, braucht man natürlich auch Glück. Es gibt keine Spielausrichtung, die den Sieg garantiert. Es hat schon immer Mannschaften gegeben, die mit einer Defensivausrichtung Titel gewonnen haben - und das wird es auch weiterhin geben. Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem, dass man nach einem Misserfolg nicht die komplette Ausrichtung ändert, sondern an einer Philosophie festhält, die unabhängig ist von einem einzelnen Erfolg.

SPOX: Bei den Bayern stellte sich genau diese Grundsatzfrage - und sich in der Spitze und in der Breite verstärkt. War das nötig?

Klinsmann: Ich denke schon. Gegen Ende der Saison war die Personaldecke doch arg dünn.

SPOX: Wie geht der eizelne Spieler wie Bastian Schweinsteiger emotional an einen Wettbewerb heran, der einem die schmerzhafteste Niederlage der Karriere zugefügt hat?

Klinsmann: Man muss das als neue Chance angehen, sonst wird es ganz schwierig auf diesem Niveau. Ich bin mir sicher, dass dies bei den Bayern nach 1999 und 2001 auch diesesmal der Fall sein wird. Die Spieler werden den Titel wieder mit Macht anstreben. Und spätestens wenn das erste Spiel gegen Valencia angepfiffen wird, rückt das verlorene Finale wieder ein Stück nach hinten.

SPOX: Sie äußerten sich bereits sehr optimistisch über Dortmund. Ist der BVB so weit, seine internationale Naivität abzulegen?

Klinsmann: Ich würde das nicht als Naivität bezeichnen, sondern als mangelnde Erfahrung. Eine Champions League hat einen ganz anderen Charakter als die Bundesliga. Es gibt eben nur diese sechs Gruppenspiele und wenn man da von Anfang an den anderen hinterherrennt, ist es schwierig. Vor allem, wenn einem die Erfahrung fehlt. Aber die Dortmunder Gruppe ist so spektakulär und ausgeglichen - da ist alles möglich.

SPOX: Wäre das Überstehen der Gruppenphase angesichts der beiden letzten Jahre mit dem frühes Aus in der Europa League und der Champions League schon ein Erfolg - oder muss man beim deutschen Meister nicht doch andere Maßstäbe ansetzen?

Klinsmann: Keine Frage: In dieser Gruppe ist schon das Weiterkommen ein Erfolg. Das wird auch Manchester City so sehen und ich bin mir sicher, dass selbst Real Madrid Respekt haben wird. Diese Gruppe hat für mich eher den Charakter eines Halbfinals als einer Gruppenphase.

SPOX: Muss Jürgen Klopp seine Art des Fußballs für die Champions League modifizieren? Vielleicht kühler, nüchterner, dreckiger?

Klinsmann: Nein, bloß nicht. Aber das weiß Jürgen Klopp genau. Sollte er den Charakter seines Spiels verändern, würde er vielleicht der Mannschaft die Stärke nehmen - und hätte dennoch keine Garantie auf einen Erfolg. Barcelona hat auch jahrelang keinen internationalen Titel geholt - und trotzdem die Linie beibehalten.

SPOX: Was erwarten Sie von Marco Reus bei dessen internationaler Premieren-Saison?

Klinsmann: Man sollte nichts erwarten, sondern man kann darauf hoffen. Marco Reus ist ein brillanter Spieler. Schnell, wendig und mit einem sehr guten Abschluss. Die Champions League bietet ihm die Möglichkeit, die nächste Stufe seiner Karriere zu erreichen. Dafür gibt es keine Grantie - aber es ist eine gute Gelegenheit.

SPOX: Der dritte deutsche Starter, der FC Schalke 04, verlor im Sommer mit Raul den "Mister Europacup". Wird ihn Schalke vermissen?

Klinsmann: Er fehlt vor allem als herausragende Persönlichkeit. Mir gefallen die Spanier mit ihrer professionellen Einstellung, ihrer Achtung vor dem Verein und ihrem Auftreten. Raul ist zudem ein eleganter Spieler, dem man gerne zusieht. Natürlich wird er der Mannschaft fehlen mit seiner Erfahrung und mit seinem Auftreten. Aber das ist so im Fußball: Es nützt nichts, in der Vergangenheit zu leben. Raul war ein großartiger Spieler - aber es wird bei Schalke weitergehen.

SPOX: Gleich zwei der drei Bundesliga-Trainer wissen, wie man international triumphiert: Schalkes Huub Stevens mit dem Schalker UEFA-Cup-Sieg 1997 sowie Bayerns Jupp Heynckes mit Real Madrids Champions-League-Sieg 1998. Spielt das eine Rolle?

Klinsmann: Eine solche Erfahrung ist zumindest kein Nachteil. Ob es zum Titelgewinn gereicht hat oder nicht, ist dabei zweitrangig. Aber wer schon einmal in einem solchen oder einem ähnlichen Endspiel stand, hat natürlich Vorteile, weil er weiß, was auf einen vor allem außerhalb des Spielfeldes zukommt.

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