Werders Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Von Thomas Jahn
Glücklos oder harmlos? Marko Arnautovic vergab zuletzt viele hochkarätige Gelegenheiten
© Getty

Pokal-Aus und Liga-Frust: Ein Sieg gegen Twente Enschede (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) könnte für die düstere Stimmung bei Werder Bremen wie ein Anti-Depressivum wirken - und zudem die internationale Existenz sichern.

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Wirft man einen Blick in die Gesichter von Werder-Coach Thomas Schaaf und Geschäftsführer Klaus Allofs, braucht es wenig zusätzlicher Worte, um eines zu erkennen: Die fetten Bremer Jahre sind vorerst vorbei. Im Pokal ausgeschieden, in der Liga nach der Schlappe gegen Nürnberg im Niemandsland gestrandet - Bremens Gemütszustand erscheint grauer denn je. Nun klammert sich Bremen an den letzten Strohhalm - die Champions League.

Doch der ist ziemlich dünn: Nach zwei mageren Pünktchen aus den ersten drei Begegnungen lautet das Motto gegen Twente Enschede (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) zwangsläufig "siegen oder fliegen". "Es geht für uns um Europa! Darum, ob wir auf dieser Reise im nächsten Jahr noch dabei sind - oder ob wir diese Chance vergeben", sagte Coach Thomas Schaaf auf der Pressekonferenz am Montag.

Bei einem Punktverlust könnte Werder diese Ambitionen wohl endgültig begraben - und damit auch die Hoffnung auf den so dringend benötigten Stimmungsumschwung. "Es ist fast schon unsere letzte Chance", sagt Aaron Hunt. Die Saison könnte schon vor der Winterpause mit dem Stempel "gebraucht" versehen werden, es droht der Absturz in die sportliche Bedeutungslosigkeit.

Dünnhäutigkeit statt Diskretion

Zwar war in Bremen auch in den letzten Spielzeiten nicht immer nur Partylaune angesagt, doch eine Katerstimmung, wie sie derzeit beim Nordklub herrscht, ist neu. Neu ist ebenfalls, dass die Konflikte im Klub vermehrt öffentlich ausgetragen werden.

Jüngste Beispiele: Der Zwist zwischen Tim Wiese und Aaron Hunt, das Scharmützel von Schaaf und Marin beim Nürnberg-Spiel oder die vehemente Kritik an Neuzugang Mikael Silvestere. Klaus Allofs hatte den Franzosen nach schwachen Leistungen via "Bild"-Zeitung in die Mangel genommen: "Mikael hat fehlerhaft gespielt, da muss er mit den Pfiffen leben." Die nordische Diskretion wurde vorübergehend ad acta gelegt, die Stimmung scheint beim für Besonnenheit bekannten Werder ungewohnt angespannt. Es brennt an zu vielen Fronten.

Auch Kapitän Torsten Frings versuchte zuletzt, das Team - insbesondere den zuletzt unglücklich agierenden Marko Arnautovic - auch auf dem medialen Wege wachzurütteln. "Manche kapieren nicht, was es heißt, für Werder zu spielen. Da wird nicht alles abgerufen. Keiner macht sich einen Kopf darüber, was wir an Chancen liegen lassen", zitiert die "Bild" den Ex-Nationalspieler.

Konstant inkonstant

Dabei spielt Werder in dieser Saison beileibe keinen miserablen Fußball, verliert seine Spiele - wie beim DFB-Pokal-Aus in München - zum Teil unglücklich. Auch die lange Absenz von Abwehrstabilisator Naldo tut sicherlich ihr Übriges.

Doch da, wo man in den letzten Jahren nach einer Führung konsequent weiter anrannte, Gegner zum Teil zerlegte, da scheint sich in diesem Jahr eine Blockade gebildet zu haben. "Wir haben jetzt zwei Mal hintereinander nach einer frühen Führung die Maschine abgeschaltet. Das darf nicht wieder passieren. Wir müssen das zweite oder dritte Tor nachlegen, um Ruhe reinzubekommen", fordert Claudio Pizarro.

Werder schafft es nicht, die Konzentration kontinuierlich hochzuhalten. Die zweifellos vorhandenen Qualitäten des Teams werden nur unregelmäßig auf den Platz gebracht und so scheint vor jeder Bremer Partie von Debakel bis Kantersieg alles möglich zu sein. Sowohl im Sturm als auch in der Defensive ist die unberechenbare Tagesform einzelner Akteure der Faktor X für den Ausgang des Spiels, die mannschaftstaktische Komponente rückt vermehrt in den Hintergrund.

"Unabhängig von der Formation ist es entscheidend, dass jeder Spieler seine Leistung erreicht. Da sollen die Spieler weniger über Taktik nachdenken, sondern darüber, was als Spieler meine Aufgabe ist und wie ich die bestmöglich ausfülle", fordert Coach Schaaf folglich als Konsequenz. Man muss kein Seher sein, um zu erkennen, dass Werder vor dem Endspiel gegen Enschede viel mit sich selbst und weniger mit dem Gegner beschäftigt ist.

Twente schnuppert Höhenluft

Doch dieser Gegner hat es derzeit durchaus in sich. Enschede holte am vergangenen Spieltag die Zehn-Tore-Truppe vom PSV Eindhoven durch einen 1:0-Erfolg zurück auf den Boden der Tatsachen. Mit dem keineswegs revolutionären, aber dennoch äußerst effektiven Fußball, steht die Mannschaft von Trainer Michel Preud'homme inzwischen an der Tabellenspitze der Erendivisie. Die Mechanismen greifen, die Chemie im Team stimmt.

Folglich ist die Stimmung bei den Niederländern deutlich gelöster als beim Bremer Rivalen - auch wenn man selbst dringend Königsklassen-Punkte benötigt, um weiterhin in Europa vertreten zu bleiben.

"Enschede ist ein guter Gegner mit sehr viel Selbstvertrauen", sagte Thomas Schaaf auf der Spieltags-PK und fügte gleich an: "Wichtig ist aber, dass wir zu unserem Spiel finden, und das durchbringen." Sollte das nicht gelingen, droht Werder erstmals das Verpassen des Königsklassen-Minimalziels: das Erreichen der Europa League. Gleichzeitig winkt eine triste Saison, die früh als verkorkst abgehakt werden kann. Eine schwere Prüfung für Schaafs Mannen.

CL: Enschede ist Werders Endspielgegner