Die schönste Nase Europas

Von Für SPOX in Lyon: Florian Bogner
Ein Mann mit einer Vision: Bayern Münchens Trainer Louis Van Gaal
© Getty

Wer Louis van Gaal dieser Tage nach seinen Zielen mit dem FC Bayern fragt, bekommt als Antwort: Habe ich damals schon alles gesagt. Der Bayern-Coach verweist oft auf seine viel zitierte Antrittsrede im Juli 2009 - und misst sich an den eigenen Vorgaben.

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Es ist noch nicht lange her, da wurde Louis van Gaal in Holland nicht mehr ganz für voll genommen. Als Bondscoach hatte er die niederländische Nationalmannschaft 2002 zum ersten Mal seit 20 Jahren an einer Weltmeisterschaft vorbei manövriert und dann drei Jahre später einen eher possierlich anmutenden AZ Alkmaar übernommen.

Van Gaal zählte zu der Zeit zum alten Eisen in Holland - zu der Kategorie von Trainern, die immer ein bisschen zu sehr von sich überzeugt sind und immer ein bisschen zu wenig Erfolg mit der aktuellen Mannschaft vorzuweisen haben.

Eine Witzfigur namens van Gaal

Sein Verhältnis zur niederländischen Presse war damals gelinde gesagt schwierig und wurde untergraben von Witzbolden, die sich zur Aufgabe machten, die zugegeben etwas krumme Nase des Trainers in den Sucher zu nehmen und vornehmlich dann auf den Auslöser zu drücken, wenn selbiger an seinem Riechorgan kratzte. Eine Witzfigur eben.

Es gibt da diese eine Szene, auf "YouTube" festgehalten, in der der Trainer einem Kameramann dessen Arbeitsgerät wegen eben dieses Schabernacks rüde aus der Hand schlägt. Und es gibt da die andere Situation, in der van Gaal einen Reporter anherrscht: "Mach' verdammt noch mal keine Fotos von mir, wenn ich meine Nase berühre."

Van Gaal war es damals leid, nur Bilder von sich in den Zeitungen zu sehen, auf denen er sich mit offenem Mund und etwas spärlichem Gesichtsausdruck an der Nase rieb. Und dann wurde er mit dem Provinzklub niederländischer Meister.

Der FCB als Vorbild des FCB

Manchmal bekommt man noch mal eine Chance. Genau genommen, ist das hier die Geschichte eines Fachmannes, der sich nicht damit abfinden wollte, als Witzfigur verspottet zu werden. Wo er doch schon 14 Jahre zuvor mit einer Pennälertruppe den bedeutendsten Klubwettbewerb der Welt gewonnen hatte.

Es ist die Geschichte eines selbstbewussten Mannes, der ein Jahr nach der Episode mit dem Kameramann nach einem Torerfolg eines von ihm eingewechselten Stürmers wie selbstverständlich auf seine Nase deutet und leicht krude sagt: "Habe ich nicht eine schöne Nase?"

Es ist die Geschichte von Louis van Gaal, der bereits bei einer Antritts-Pressekonferenz all die Dinge preisgab, die er mit seiner neuen Mannschaft vor hatte: Sie zu einem Ebenbild des FC Barcelona zu machen, der besten Vereinsmannschaft der Welt. Nur hörte ihm damals keiner so genau zu.

Van Gaal gebrauchte am 1. Juli 2009, als er erstmals an der Säbener Straße vorstellig wurde, wirklich diesen Vergleich. "Unser Vorbild muss der FC Barcelona sein", sagte er damals. "Sie haben gute Fußballspieler, wie wir. Aber sie arbeiten wie ein Team, jeder Spieler hat immer an das Team gedacht. Das ist der Grund ihres Erfolgs. Ich bin davon überzeugt, dass wir das auch machen können."

Irgendwie durchgekommen

Seine Vision wird dieser Tage wieder häufiger zitiert. Damals sagte er: "Wir müssen ein Team formen, das dauert. Das ist nicht in einem Monat zu schaffen, sondern braucht eher zwei Jahre. Ich hoffe, Sie vertrauen mir." Beim FC Bayern war man kurzzeitig geneigt, ihm nicht so lange Zeit zu geben. Im November stand er vor dem Aus. Das 4:1 von Turin sollte seine sportliche Wiederauferstehung werden.

"Ich bin ein Kommunikator, das werden die Spieler schnell merken, weil ich ihnen meine Philosophie beibringen werde", so van Gaal im letzten Sommer. "Um diese Philosophie umzusetzen, brauchen wir viele Trainingsstunden, die wir leider nicht haben. Ich wäre froh, wenn wir die ersten zwei Monate gut durchkommen."

Sie sind durchgekommen, irgendwie. Zwei Monate, das erste halbe Jahr, fast eine ganze Saison. Manchmal entscheiden nur 90 Minuten über die Arbeit eines Trainers. Van Gaal hat in dieser Spielzeit ein paar solcher Spiele gehabt, an deren Ende immer ein glücklicher Bayern-Trainer stand, mit erhobener Faust. Seine Mannschaft hat Ende April immer noch die Chance auf drei Titel.

Das Umfeld passt - auch dank van Gaal

"Ich kann sagen, dass ich vom ganzheitlichen Prinzip ausgehen werde. Ich sehe den Spieler nicht nur als einen Spieler, der den Ball von A nach B schießt, sondern auch wie einen Menschen, der durch sein Umfeld beeinflusst wird", sagte van Gaal dereinst auf seiner ersten PK. Und: "Das Umfeld beeinflusst dann auch den Schuss." Diesen Satz kramte er unlängst auch wieder im Zusammenhang mit der Affäre um Franck Ribery heraus. Riberys Privatleben ist auf dem Platz kein Thema.

Es ist wirklich erstaunlich, welch Umfeld van Gaal in der kurzen Zeit beim FC Bayern geschaffen hat. Der Trainer gibt die Richtung vor - und seine Spieler folgen ihm. Wenn van Gaal einer infrage stellt, dann ist das van Gaal selbst. Die Spieler, auch die, die nicht spielen, ordnen sich unter. Eine Situation, die man beim FC Bayern seit Jahrzehnten nicht mehr hatte. "Wir müssen zusammen ein Team formen", sagte er vor zehn Monaten - das hat er bereits geschafft.

"Es ist manchmal schwierig mit mir, aber ich nehme für mich in Anspruch, stets ehrlich zu sein", ist einer seiner Sätze, die schon sein Wirken in Holland geprägt haben. Van Gaal ist mit seinen Entscheidungen manchmal unpopulär, aber er kann sie seinen Spielern stets glaubhaft machen, ihnen den Sinn dahinter erklären. Manchmal geht er etwas inflationär mit dem Wort "unglaublich" um, dennoch schafft er es stets, seine Spieler am Boden zu halten.

Als Arjen Robben letzte Woche seine Auswechslung gegen Lyon nicht einsehen und erbost am Trainer vorbei stapfen wollte, zog ihn van Gaal inmitten von tobenden 66.000 Robben-Jüngern an die Brust und nahm ihn ins Gebet. So nicht, Junge! Robben verstand und bekannte hinterher, er habe da vielleicht überreagiert.

180 Minuten Arroganz

"Die Kultur von Bayern München passt gut zu mir. Das bayerische Lebensgefühl passt mir wie ein warmer Mantel. Mir san mir! Wir sind wir! Und ich bin ich: Selbstbewusst, arrogant, dominant und ehrlich, arbeitsam, innovativ, aber auch warm und familiär. Deshalb glaube ich, dass ich hierher passe."

Van Gaals Rede aus dem letzten Sommer hallt dieser Tage deutlich nach. Als Saisonziel hatte er damals ausgegeben, in Liga und Pokal "hart um den Titel zu streiten", in der Champions League wollte er "unter die letzten Acht" kommen. "Nicht nur dieses Jahr, sondern über mehrere Jahre, und vielleicht am Ende der 'Periode van Gaal' die Champions League zu gewinnen."

Van Gaal hat den Pott mit den großen Ohren nun schon in seinem ersten Jahr beim FC Bayern vor Augen. Es fehlen lediglich 180 Minuten voller Selbstbewusstsein, Arroganz und Dominanz. Dass der Holländer das richtige Näschen hat, um einen Champions-League-Sieger zu trainieren, hat er bereits bewiesen.

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