Ein Sieg für Nadiya

Von Für SPOX in Lyon: Florian Bogner
Van Gaal, Hoeneß und Rummenigge (v.l.n.r.) beim Bankett des FC Bayern in Lyon
© Getty

Der FC Bayern zieht dank eines rauschenden 3:0-Sieges über Olympique Lyon ins Champions-League-Finale ein - und wähnt sich trotz der Sperre für Franck Ribery längst noch nicht am Ziel. In Frankreich präsentierte sich die van-Gaal-Elf fast schon beängstigend gut. Dennoch mahnt der Trainer vor verfrühter Euphorie. Präsident Uli Hoeneß widmete den Sieg Anatolij Tymoschtschuk und dessen Frau.

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Es ist gerade mal eineinhalb Jahre her, da echauffierte sich Karl-Heinz Rummenigge derart über die finanzielle Ungerechtigkeit im europäischen Fußball, dass ihm folgender Beisatz entfuhr: "Unter diesen Bedingungen sage ich voraus, dass es in den nächsten zehn Jahren international keinen Gewinner aus der Bundesliga geben wird."

Nun, der Sportsfreund Rummenigge wird sich spätestens seit Dienstagabend wünschen, dass er nicht recht behält, denn das würde ja bedeuten, dass seine Bayern das Finale in Madrid am 22. Mai verlieren. Nach neun Jahren Abstinenz steht der FC Bayern wieder im Champions-League-Finale - und das so unerwartet wie noch nie.

"Es ist unglaublich, vor allem mit dieser jungen Mannschaft. Uns hatte vor der Saison international kaum jemand auf dem Zettel", sagte der ansonsten stets besonnene Torhüter Jörg Butt nach der Partie, beinahe schon euphorisch. "Das ist eine unglaubliche Leistung - und das gleich in der ersten Saison nach der großen Umstellung", fügte Philipp Lahm hinzu. "Einfach sensationell." Auf den Tag genau ein Jahr zuvor hatte der Bayern-Vorstand Jürgen Klinsmann entlassen.

Nerlinger tiefenentspannt

Der FCB hatte in dieser Champions-League-Saison facettenreiche Siege eingefahren. Es gab Siege des Willens (Haifa, Turin), Siege der Leidenschaft (Manchester) und auch Siege mit ein bisschen Glück (Florenz) - diesmal war es ein Sieg der Klasse.

Lyon war in 180 Minuten ein ohnmächtiger Gegner, stets des Balles beraubt oder nahe am Ballverlust und gegen das perfekte Passspiel der Bayern immerfort zum Laufen gezwungen. Selbst im Rückspiel, als alles von einem Sturmlauf der Lyonnais ausging, hatte der FCB die Sache zu jeder Zeit im Griff und spielte sein Pensum nahe an der Perfektion herunter.

"Ich hatte einen sehr ruhigen Abend auf der Bank und dachte keine Sekunde daran, dass es schief gehen könnte", lobte Sportdirektor Christian Nerlinger das Team und sprach von einer "eindrucksvollen Leistung auf europäischem Spitzenniveau".

Martin Demichelis erklärte, man wäre in beiden Spielen einfach besser als Lyon gewesen. "In München sogar in Unterzahl. Hoffentlich können wir ähnlich auch im Finale auftreten", so der Innenverteidiger.

"Können noch alles verlieren"

Mit dem Sieg in Lyon stellten die Bayern einen Rekord ein - den des höchsten Auswärtssieges in einem Champions-League-Halbfinale. Bislang war ein 3:0 nur Ajax Amsterdam in der Saison 1995/96 bei Panathinaikos Athen gelungen. Der Trainer damals: Louis van Gaal.

Dem wurde auch nach dem Sieg in Lyon die "Hauptschuld" am Finaleinzug angelastet. "Man sieht eine deutliche Entwicklung in der Mannschaft, eine Handschrift. Wir haben erneut in einem Auswärtsspiel hohen Ballbesitz gehabt, den Gegner laufen lassen, das Spiel dominiert. Es ist die Handschrift des Trainers", sagte Nerlinger.

Für Philipp Lahm war es dagegen "nur eine Frage der Zeit", bis sich unter van Gaal Erfolg einstellt. Durstig nach Titeln fügte der Rechtsverteidiger hinzu: "Wir haben noch einen langen Weg vor uns, sind noch nicht am Ende. Ich glaube, dass wir sogar noch besser spielen können."

In dieselbe Kerbe schlug auch van Gaal - sichtlich bewegt aufgrund des großen Erfolgs, aber dennoch fokussiert. "Wir leisten Unglaubliches. Aber wenn wir jetzt alles verlieren, spricht niemand mehr über den FC Bayern", mahnte er.

Altintop als Beispiel des Zusammenhalts

Dennoch: Seine Bayern waren gegen Lyon fast schon beängstigend gut. Augenscheinlich war vor allem die Routine, mit denen die drei U-21-Youngster Thomas Müller, Holger Badstuber und Diego Contento zu Werke gingen und wie unaufgeregt die Mannschaft auf die Ausfälle der Stammspieler Franck Ribery, der von der UEFA auch fürs Finale gesperrt wurde, und Martin Demichelis reagierte - ihre Plätze nahmen einfach andere Spieler ein.

"Wenn man eine funktionierende Mannschaft hat, ist es nicht so schwierig, auf verschiedenen Positionen zu spielen", sagte Hamit Altintop, diesmal für Ribery im linken Mittelfeld eingesetzt und gleich Vorbereiter von Olic' zweitem Streich. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass alle Spieler im Kader gebraucht werden, meinte der Türke.

"Wir sind nicht nur abhängig von ein, zwei Spielern. Nicht wie Manchester von Wayne Rooney oder Barcelona von Lionel Messi. Wir sind ausgeglichener besetzt. Und deshalb stehen wir im Finale", sagte Altintop.

"Es sind ja nicht nur die elf Spieler auf dem Platz, sondern der es ist der ganze Kader, der täglich akribisch an dem System arbeitet und dafür trainiert", meinte Lahm. "Jeder weiß, wo er einsetzbar ist." Am Beispiel von Altintop habe man gesehen, dass er sofort wusste, was er zu tun hatte.

Olic: Dauerläufer mit Killerinstinkt

Über alldem schwebte Ivica Olic an diesem Abend. Der Stürmer hatte mit seinen drei Toren freilich maßgeblichen Anteil am Sieg und bekannte nachher mit einem breiten Grinsen, soeben den perfekten Tag verlebt zu haben.

"Wenn er die Chance sieht, ein Tor zu machen oder nur an den Ball zu kommen, dann gibt er alles. Dafür kommt er nach dem Spiel zwar auf der Felge daher, aber er ist ein unglaublich willensstarker Typ", lobte Thomas Müller den Dauerläufer mit Killerinstinkt. Holger Badstuber sagte nach dem Spiel: "Wir wissen ja, was der Ivica für ein Tier ist. Wenn er da vorne rumrackert, steckt er die anderen an. So einen Typ braucht man in der Mannschaft. Der ist für uns Gold wert."

Olic selbst gab das Lob brav zurück: "Ohne die Leistung der Mannschaft hätte ich nicht solche Tore gemacht." Und van Gaal meinte mit einem Augenzwinkern: "Er steht dem gegnerischen Tor ja auch am nächsten. Es ist also normal, dass er ein Tor macht."

Gedanken bei Tymoschtschuk

Rummenigge machte indes der hohe Anteil von eigenen Nachwuchskräften in der Halbfinal-Startelf besonders stolz. "Es wird immer behauptet, dass der FC Bayern dank seiner finanziellen Situation über die Spielerqualität verfügt. Damit gilt es mal wieder aufzuräumen", belehrte er die Anwesenden des Mitternachtsbanketts. "Wir hatten sechs Spieler aus unserer Nachwuchsabteilung auf dem Platz und darauf sind wir besonders stolz."

Den FC Bayern zeichne in dieser Saison laut Rummenigge besonders aus, "dass er eine große Familie ist, die sehr eng zusammen gestanden ist. In erster Linie natürlich in den Phasen, als es nicht so gut lief. Da hat sie Geduld bewiesen und ist durch den Erfolg wieder in die Spur zurückgekehrt."

Insofern sei der Finaleinzug eine verdiente Angelegenheit gewesen. "Und ich sage jetzt, dass es diese Mannschaft auch verdient, die Champions League zu gewinnen", sagte Rummenigge unter tosendem Applaus der anwesenden Gäste.

Die einzig schlechte Nachricht an diesem Abend kam indes aus der Heimat: Uli Hoeneß gab bekannt, dass Anatolij Tymoschtschuk nicht etwa wegen eines Magen-Darm-Infektes in München geblieben war, sondern weil seiner im sechsten Monat schwangeren Frau Nadiya in der Nacht zum Montag die Fruchtblase geplatzt war.

In welchem Zustand Frau und die Zwillinge sind, war am Mittwochmorgen unklar. "Beide Kinder sind gefährdet", meinte Hoeneß am Abend. Und: "Wir hoffen alle von hier, dass es ihm gut geht. Wir haben ihm und seiner Frau den Sieg gewidmet."

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