Juninhos Thronfolger bei Olympique Lyon

Von Pascal Jochem
Miralem Pjanic spielt seit 2008 für Olympique Lyon
© Getty

Acht Jahre lang prägte Freistoßkünstler Juninho das Spiel des französischen Serienmeisters Olympique Lyon. Seit Saisonbeginn ist seine Ära beendet, ganz Frankreich fahndete nach seinem Nachfolger. Der 19-Jährige Miralem Pjanic ist auf dem besten Weg, in seine Fußstapfen zu treten.

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Alles Flehen der Fans hatte nichts genutzt. Auch mit minutenlangen Sprechchören konnten die Olympique-Anhänger ihren "König von Lyon", wie sie auf den mitgebrachten Plakaten schluchzten, nicht zum Bleiben bewegen.

Zum Abschied schenkte ihnen ihr geliebter Spielmacher im letzten Heimspiel zumindest noch einen Treffer, seinen 100. für den Klub. Doch in der 80. Minute war Schluss, Juninho verließ unter Standing Ovations den Platz. Längst war klar, was drei Tage später offiziell verkündet wurde. König Juninho verlässt Olympique Lyon, nach acht Jahren Regentschaft in Frankreich zieht es ihn in die Wüste.

Legendäre 8 auf dem Rücken von Pjanic

Immer wieder hatte der Brasilianer in Interviews angedeutet, dass er nach strapaziösen Jahren auf höchstem europäischen Niveau ausgelaugt sei. "Ich glaube, es ist Zeit, zu gehen und jüngeren Spielern eine Chance zu geben", sagte Juninho damals. Der mittlerweile 35-Jährige lässt seine Karriere nun in Katar beim Al Gharafa Sports Club ausklingen.

Zu Beginn der Saison hielten sich hartnäckig Gerüchte um ein Comeback des ehemaligen Kapitäns - nach und nach sind diese verstummt. Das dürfte auch an Miralem Pjanic liegen. Ein junger Bosnier, der sich anschickt, nach dem Weggang Juninhos in dessen riesige Fußstapfen zu treten.

Seinen Segen hat er bereits. Die Nummer 8, seit jeher getragen vom großen Anführer "Juni", der mit OL die Ligue 1 nach Belieben diktierte und sieben Meistertitel in Serie gewinnen konnte, prangt nun auf dem schmächtigen Rücken von Pjanic. Und wie es sich gehört, hatte der 19-Jährige vorher artig bei Juninho um Erlaubnis gefragt.

Der hatte nichts dagegen, ganz im Gegenteil: "Er sprach mir Mut zu und sagte, ich solle mich nicht unter Druck setzen lassen", verriet Pjanic der französischen Sportzeitung "L'Equipe". Ein Ritterschlag, Pjanic war fortan als Thronfolger auserkoren.

Eine Investition in die Zukunft

Dabei hatte der junge Mittelfeldspieler, der seine Kindheit nach der Flucht vor dem Bosnien-Krieg hauptsächlich in Luxemburg verbrachte, keinen leichten Start in Lyon. An seinem außergewöhnlichen Talent bestand nie ein Zweifel.

In seiner neuen luxemburgischen Heimat spielte er bereits mit 13 die 16-Jährigen schwindelig. Früh wechselte er nach Frankreich ins Ausbildungs-Internat des FC Metz. Dort debütierte er mit 17 Jahren in der Ligue 1 und brachte es in 32 Einsätzen auf vier Tore, was auch die französischen Spitzenklubs beeindruckte.

2008 sicherte sich Lyon für eine Ablösesumme von 7,5 Millionen Euro die Dienste des Ausnahmetalents. Angesichts des alternden Regisseurs Juninho eine Investition in die Zukunft. Doch in seiner ersten Saison kam Pjanic, der sich immer wieder mit leichten Verletzungen herum plagte, nur auf enttäuschende fünf Starteinsätze. Und da die Position hinter den Spitzen für Juninho reserviert war, durfte der damals gerade erst 18-Jährige nur auf den ungeliebten Außenpositionen ran. Überzeugen konnte er dort nie.

Aber nicht Medien, Fans oder Vereinsführung, am meisten setzte Pjanic selbst sich unter Druck: "Er kam nach der Saison zu mir und erzählte, wie unzufrieden er mit sich sei. Ich habe ihm gesagt, dass wir mit seiner Entwicklung zufrieden sind und ihm weiter Zeit geben", erzählte Lyons Coach Claude Puel in der "L'Equipe". Wie viele Jugendtrainer zuvor, kann auch Puel das Bild des ungemein ehrgeizigen, lernwilligen Pjanic nur bestätigen. Wie rasant sich aber die Entwicklung des jungen Bosniers dann tatsächlich vollzog, dürfte auch ihn überrascht haben.

Große Auftritte auf europäischer Bühne

Es klingt paradox, doch als mit dem Weggang von Altstar Juninho die Last auf Pjanic' Schultern unendlich groß wurde, blühte er in Lyon richtig auf. Überraschend schnell reifte er in der laufenden Saison zu einem Stammspieler heran und übernahm Verantwortung auf dem Platz.

Spätestens seit dem Champions-League-Vorrundenspiel gegen den ungarischen Vertreter Debrecen haben auch die treuesten Juninho-Anhänger Pjanic endgültig ins Herz geschlossen. Aus 20 Metern zirkelte er einen Freistoß aus halblinker Position gefühlvoll in den Winkel. Keines dieser 40-Meter-Geschosse, die die alte Nummer 8 regelmäßig im gegnerischen Kasten versenkt hatte, dafür aber nicht weniger schön.

Ob tödliche Pässe oder präzise Freistöße - Pjanic beherrscht im Prinzip alles, was einen modernen Spielgestalter auszeichnet. Die französischen Medien schwärmen von seiner brillanten Ballbehandlung und exzellenten Spielübersicht. Und besonders auf der großen europäischen Bühne stellt Pjanic in dieser Spielzeit seine Klasse unter Beweis. In der Königsklasse hat "Mire", wie er von seinen Mitspielern gerufen wird, schon drei Mal getroffen - und damit häufiger als etwa Lionel Messi (FC Barcelona/2), Wesley Sneijder (Inter Mailand/1) oder Kaka (Real Madrid/1).

OL-Trainer Puel ist bewusst, welches Juwel er in den eigenen Reihen hat: "Er ist erst 19, aber schon unheimlich weit für sein Alter. Er hat diese besondere Spielintelligenz und die Technik, um sie auf dem Platz umzusetzen", wird Puel in der "L'Equipe" zitiert. "Das einzige, was ihm fehlt, sind Muskeln". Womit er nicht unrecht hat. An seiner Physis muss Pjanic in der Tat noch arbeiten.

"Seit meiner Kindheit träume ich von Real"

Sicherlich mit ein Grund, warum er bescheiden bleibt und immer wieder die Leistung seiner Mitspieler in den Vordergrund stellt. Und auch der König ist in seinen Aussagen allgegenwärtig: "Ich freue mich, dass ich jetzt häufiger auf dem Platz stehe und der Mannschaft helfen kann. Aber ich muss noch viel verbessern. Ich muss versuchen, das Spiel an mich zu reißen - so wie 'Juni' es getan hat. Er hat hier Unglaubliches erreicht. Er ist ein Vorbild für mich."

Pjanic, der neben den Wolfsburgern Misimovic und Dzeko als heimlicher Star der bosnischen Nationalelf gilt, wird mittlerweile mit etlichen europäischen Topklubs in Verbindung gebracht. Die üblichen Verdächtigen um Inter Mailand, Arsenal und Manchester City sollen angeblich schon ihre Fühler ausgestreckt haben. Auch vom Interesse des großen FC Barcelona war in den französischen Medien die Rede.

Pjanic' Lieblingsverein ist aber dessen großer Erzrivale Real Madrid: "Seit meiner Kindheit träume ich von Real. Noch aber bin ich weit davon entfernt, für dieses große Team aufzulaufen." Im Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League stand er zum ersten Mal in seiner Karriere als Gegner der Königlichen auf dem Platz.

Gemeinsam mit dem umtriebigen Jean Makoun zog er im Mittelfeld die Fäden und zeigte eine starke Partie. Lyon gewann knapp mit 1:0, das Rückspiel im Bernabeu stellt für Pjanic eine erneute Bewährungsprobe dar. Und Mire kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Denn der König von Lyon, seit jeher in solchen Ko-Spielen gefragt, ist schließlich nicht mehr da. Und wird wahrscheinlich auch nicht mehr zurückkehren. Was vor allem an Miralem Pjanic liegen dürfte.

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