Verschwendet Mourinho seine besten Jahre?

SID
Jose Mourinho wurde 2005 und 2006 englischer Meister mit dem FC Chelsea
© Getty

In regelmäßigen Abständen diskutieren SPOX, Experten und Prominente das aktuelle Fußball-Geschehen. Beim Champions-League-Achtelfinale zwischen Inter Mailand und dem FC Chelsea steht ein Mann im Vordergrund: Jose Mourino. In London war er The Special One, in Mailand ist er das enfant terrible der Seitenlinie. Passt Mourinho überhaupt nach Italien? Gast-Kommentatoren sind die SPOX-Korrespondenten Rafael Honigstein und Oliver Birkner.

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Inter ist Mourinhos lukrativer Zwischenstopp

von Rafael Honigstein (SPOX-Korrespondent England)

Mourinho und Inter, das war aus Sicht des Portugiesen von Anfang an eine Zweckgemeinschaft, keine leidenschaftliche Beziehung. Natürlich reizte ihn die sportliche Herausforderung, nach Meisterschaften in Portugal und England auch die Serie A zu gewinnen. Man merkt an seinen Aussagen, wie er stolz darauf ist.

Und doch drängt sich der Eindruck auf, dass ihm der italienische Fußball nach 18 Monaten schon wieder eine Nummer zu klein erscheint. Inter hat keine ebenbürtigen Gegner, Mourinho keinen anderen Spitzencoach, mit dem er sich reiben kann. Da es nach seiner Doktrin aber Widerstände geben muss - nur sie schweißen das Team zu einer Einheit zusammen - bricht er lauter lächerliche Auseinandersetzungen mit Schiedsrichtern, Journalisten und Präsidenten vom Zaun.

Inter, das deutet er unentwegt an, ist für ihn nur ein lukrativer Zwischenstopp. Der Portugiese, man hat es schon fast vergessen, wäre nach seiner Demission beim FC Chelsea um ein Haar der englische Nationaltrainer geworden, doch sein unentwegter Flirt mit der Premier League ist nach meiner Einschätzung in erster Linie für das spanische Publikum bestimmt: Real Madrid oder Barcelona zu trainieren, wo er einst als Übersetzer arbeitete, ist sein größter Traum. Er verschwendet also seine Zeit nicht in Italien, er wartet nur ab.

Jose Mourinho ist übrigens 47. Bis auf Pep Guardiola, der in Barcelona mit dem Burn-Out-Syndrom kämpft und vor kurzem fast alles hingeschmissen hätte, ist er mit Abstand der jüngste Spitzentrainer. Seine besten Jahre kommen also noch. Wenn er sich ein bisschen beruhigt hat.

Calcio und Mourinho haben voneinander gelernt

von Oliver Birkner (SPOX-Korrespondent Italien)

Die Liaison zwischen Jose Mourinho und Italien schien perfekt. Der Taktik-Meister im Erfinderland großartig funktionaler Fußballstrategeme. Der Mann, der laut Everton-Coach David Moyes "den Trainerjob sexy gemacht hat" im Land der "bella figura". Der Mann, den manische Erfolgssucht tagtäglich vorantreibt, im Land, wo das Ergebnis Vorrang besitzt, nicht auf welche Weise es zustande kommt.

In England hat er den Fußball vorangebracht, sagte Mourinhos Alter Ego Sir Alex Ferguson, beide Könige der "mind games". Auch in Italien haben der Calcio und Mou voneinander gelernt. Der Portugiese hielt der Serie A oft ihr verzerrtes Spiegelbild vor, en passant stellte er fest, dass es von der italienischen Schule noch einige taktische Kniffe zu lernen gab.

Mittlerweile haben sich Mou und Italien auseinandergelebt. Nicht weil sie so verschieden sind, wie der "Corriere della Sera" kommentierte, sondern weil sie sich in ihrer Wesenseinheit rein gar nicht unterscheiden. Mourinho assimilierte sich beachtlich schnell an die neue Umgebung, und redet den Calcio, in der der gesprochene und nicht gespielte Fußball Priorität besitzt, einfach gegen die Wand. Und in der alltäglichen Hysterie der Serie A schlüpft er eben bisweilen in die Rolle des Hysterikers.

Dass der Egomane in seinem wöchentlich kompromisslosen Konfrontationskurs auf einem gefährlich schmalen Grat wandert, ist unvermeidbar. Er hat diesen öffentlichen Mourinho selbst kreiert. Auf den privaten Mou singen die Spieler wegen dessen Loyalität, Fairness und Fachverstand Lobeshymnen - ob in Barcelona, Porto, bei Chelsea oder Inter Mailand. Diese Dualität wird er in Zukunft nicht modifizieren. Denn jegliches Hilfsmittel ist recht, auf das Leitmotiv hinzuarbeiten, das ihn im Geiste mit Sir Alex Ferguson verbindet: "Als Zweiter bist du ein Niemand."

Mourinho muss Italien verlassen

von Thomas Gaber (SPOX)

Sportlich hat Jose Mourinho mit 47 Jahren als Trainer schon sehr viel erreicht: 14 Titel in den letzten acht Jahren, Meister in drei verschiedenen Ländern. Er gewann 2004 die Champions League mit dem FC Porto und beendete Chelseas Elend mit dem ersten Meistertitel nach 50 Jahren.

Er hat keinem seiner Teams den schönsten Fußball beigebracht, aber er hatte mit allen Erfolg. Erfolg macht besessen und mitunter ein wenig arrogant. In dieser Beziehung unterscheidet sich Mourinho nicht von anderen Menschen. Als Chelsea-Trainer nahm er den medialen Druck von der Mannschaft, indem er mit jedem, der seinen Weg kreuzte, eine kleine Privatfehde aufzog. Über Arsene Wegners Gunners zu lästern, hat ihm in drei Jahren London am meisten Spaß gemacht.

Seit 18 Monaten arbeitet Mourinho in Mailand. Er ist seinen Prinzipien treu geblieben. Meutereien gegen Schiedsrichter und Journalisten sind alltäglich. In der Serie A findet Mourinho keinen adäquaten Streithammel, nun muss halt Ex-Milan-Coach und jetziger Chelsea-Coach Carlo Ancelotti dran glauben. Mancheiner mag Mourinhos Marotten mies finden, aber er bleibt wenigstens authentisch - auch in seiner Spielphilosphie. Mou's Inter spielt einen teilweise grässlichen Ball, ist in Italien aber trotzdem weitgehend konkurrenzlos. So blöd es klingt: das nervt Mourinho. Er liebt das Psycho-Spielchen, wenn ein Gegner auf Augenhöhe ist. Der AS Rom und Milan holen auf, aber Mourinho können sie nicht aus der Reserve locken.

Die Serie A mag zu Mourinhos fußballtaktischen Kalkül passen, das Drumherum tut es nicht. In die Bundesliga wird er nicht kommen, in England war er schon. Dorthin muss dieser Mann zurück oder - noch besser - nach Spanien zu Real Madrid oder dem FC Barcelona. Profifußball besteht zu einem großen Teil aus Show, die die Protagonisten liefern sollen. Auf diesem Feld ist Mourinho einzigartig.

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