Bloß nicht überdramatisieren

Kingsley Coman, Robert Lewandowski, Thomas Müller und Arjen Robben harmonierten gegen den 1. FSV Mainz 05 gut
© Getty

Der FC Bayern München hat beim 4:0-Sieg gegen den 1. FSV Mainz 05 seine beste Saisonleistung gezeigt. Dabei reagierte der Rekordmeister auf die Kritik der schwachen letzten Spiele und griff in der Offensive zu einem alten, neuen Mittel: Flexibilität. Überbewerten wollen und sollten die Münchner den Sieg jedoch nicht.

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Überdramatisieren wollte die Situation beim FC Bayern in den vergangenen Tagen niemand. Besprochen werden wollte sie dennoch.

Das Wellen schlagende Interview von Robert Lewandowski, der Trikotwurf von Franck Ribery, die ideenlosen, zeitweise blutleeren Auftritte bei der 0:2-Niederlage in Hoffenheim und selbst beim 3:0-Sieg gegen Anderlecht. Potentiellen Sprengstoff gab es genug.

Entsprechend erleichtert blickten die Beteiligten am Samstagnachmittag drein. Nach der bisher besten Saisonleistung beim 4:0 gegen den 1. FSV Mainz 05, pünktlich zum Start der Wiesn.

Und die Aussagen ähnelten sich sehr. "Wir wollten auch eine Antwort auf die Diskussionen geben", räumte Mats Hummels nach der Partie in der Mixed Zone ein. "Wir haben uns darüber Gedanken gemacht, wie es in den vergangenen Spielen lief", stimmte Kapitän Manuel Neuer zu. "Es war offensichtlich, dass wir noch Luft nach oben hatten", führte Thomas Müller aus.

Und die Schlussfolgerungen ähnelten sich ebenfalls sehr. Bei Hummels klang das so: "Heute können wir zufrieden sein. Es war auf jeden Fall eine klare Antwort, dass wir am Dienstag keinesfalls zufrieden waren." Bei Neuer so: "Heute haben wir ein anderes Gesicht gezeigt." Und Müller: "Heute haben wir es besser auf den Platz bekommen."

Beste Saisonleistung des FC Bayern

Beinahe wirkte es, als hätten sich die Bayern auf eine kollektive Sprachregelung verständigt. Nötig war diese allerdings nicht wirklich. Zu eindeutig war der Unterschied der Leistung im Vergleich zu den beiden Partien vor sieben bzw. vier Tagen.

Die Zuschauer in der Allianz Arena, die für Münchner Verhältnisse überraschend laut und begeistert waren, sahen eine ganz andere Mannschaft. Von Beginn an gingen die Roten engagierter in die Zweikämpfe als zuletzt, zeigten eine bessere Körpersprache und pressten das tief stehende 5-4-1 der Mainzer aggressiv an. "Wir sind gleich mit der richtigen Einstellung rausgekommen", analysierte Sportdirektor Hasan Salihamidzic im Bauch der Arena.

Variablere Lösungsfindung in der Offensive

Der größte Unterschied zu den letzten Auftritten jedoch war das Offensivspiel. Bislang hatte der Meister in dieser Saison große Probleme, sich gegen Fünferketten in Abschlusspositionen zu bringen. Während das Team in Sinsheim noch eindimensional spielte, das Spiel immer wieder durch Diagonalbälle auf die Außen verlagerte, um dann Flanken zu schlagen, fanden sie gegen Mainz variablere Lösungen beim Erspielen von Torchancen.

Schlugen die Bayern vor einer Woche bei Hoffenheim noch 43 Flanken, waren es diesmal inklusive Standards nur noch 25. Stattdessen gingen die Offensivspieler immer wieder steil in die Zwischenräume der Fünferkette und bekamen den vertikalen Flachpass.

Auch nach Ballgewinn spielten die Bayern deutlich schneller und direkter in die Spitze als zuletzt. Die Offensiven bewegten sich gut, weniger schablonenhaft und sorgten damit für Verwirrung.

FC Bayern erspielt sich Chancen am Fließband

Das Ergebnis: Während große Teile des Spiels gegen Hoffenheim zwar optische Dominanz, aber das komplette Fehlen von Torchancen auszeichnete, erspielte sich der Meister gegen Mainz Chancen am Fließband.

"Wir hatten viele Chancen und sind richtig gut in die freien Räume gelaufen. Wir waren heute sehr flexibel und haben deshalb auch so gut gespielt", sagte Doppeltorschütze Robert Lewandowski. Und nutzte dabei das Zauberwort für das frischer wirkende Offensivspiel: Flexibilität.

Tatsächlich wirkte das Spiel erstmals in dieser Saison weniger ausrechenbar, einen Hauch anarchischer. Mit etwas mehr Kaltschnäuzigkeit oder Glück hätte das Resultat noch deutlicher ausfallen können als 4:0.

Müller, Lewandowski und Kimmich ragen heraus

Nach einer durchwachsenen Woche gaben die Bayern wieder Anlass für allerhand positive Schlagzeilen. Stark gespielt. Hoch gewonnen. Thomas Müller auf der Zehn mit einer überzeugenden Vorstellung samt Tor, Assist und Beinahe-Tor nach sehenswertem Fallrückzieher.

Robert Lewandowski mit dem nächsten Doppelpack, nun mit fünf Saisontoren alleinig führend in der Torschützenliste. Ein herausragender Joshua Kimmich, der mit 11,69 km mit Abstand am meisten lief, 100 Prozent seiner Zweikämpfe gewann, mit 144 die meisten Ballaktionen hatte und in einem Spiel so viele Tore vorbereitete wie in 53 Bundesliga-Spielen zuvor (drei).

Die enorme Leistungssteigerung war, so bestätigten es alle Beteiligten erneut mit einer Zunge, durch zahlreiche Gespräche innerhalb der Mannschaft möglich.

"Wir Führungsspieler stehen da in der Pflicht. Wir müssen versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Da ist es klar, dass man dann häufiger darüber spricht, an welchen Stellschrauben man drehen muss", erklärte Neuer. "Ein bisschen Gesprächstherapie haben wir schon auch gemacht", sagte auch Hummels mit einem Augenzwinkern.

Die Teamchemie, die zuletzt gestört zu sein schien, ist offenbar also wieder intakt. Vorerst.

Chancenverwertung, Unkonzentriertheiten, Einordnung des Gegners

Komplett in den Euphorie-Modus wollten die Münchner jedoch noch nicht verfallen. Verständlicherweise.

Die teilweise beinahe aufreizend nachlässige Chancenauswertung und "ein paar Unkonzentriertheiten" (Hummels), die Mainz große Gelegenheiten ermöglichten und Neuer einige starke Paraden abverlangten, veranlassten dazu, das Ergebnis nicht überzubewerten.

Außerdem waren die Mainzer an diesem Nachmittag ein dankbarer Gegner, wirkten sie doch von Beginn an überfordert. Die Sechser Fabian Frei (33 Prozent gewonnene Zweikämpfe) und Suat Serdar (44 Prozent) bekamen keinen Zugriff auf die Zentrale, die Abstände innerhalb der Fünferkette stimmten mehrfach nicht und immer wieder ließ sich diese durch die zahlreichen Vertikalpässe zu einfach aushebeln.

Hummels: "Nur ein Schritt in die richtige Richtung"

Die Probleme beim Gegner müssen in der Bewertung der Bayern-Leistung ebenso miteinfließen wie die zweifelsohne vorhandenen (deutlichen) Fortschritte in der eigenen Spielanlage.

Darüber hinaus war das nun eben "nur ein Schritt in die richtige Richtung", wie Hummels es einordnete. "Wir müssen den Schwung und den Spielwitz jetzt in die nächsten Partien mitnehmen", mahnte auch Müller an.

Denn besonders auswärts haben die Bayern in den nächsten anderthalb Wochen zwei große Prüfsteine vor der Brust. Am Dienstag gastieren sie bei stark gestarteten Schalkern und nach dem Heimspiel gegen Wolfsburg am Freitag geht es am Mittwoch drauf zu Paris Saint-Germain. Zur wohl schwierigsten Aufgabe der gesamten Hinrunde.

Pünktlich vor diesen großen Hürden hat der deutsche Branchenprimus ein Zeichen an die Liga gesendet. Für das Selbstvertrauen und die breite Brust sicherlich wichtig. Überdramatisieren wird das beim FC Bayern aber niemand, in guten ebenso wenig wie in weniger guten Zeiten.

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