Am Klebstoff geschnüffelt

Dortmund gegen Bayern - der erste Titel der Saison ging an den Rekordmeister
© getty

Borussia Dortmund und der FC Bayern München zeigen im Supercup jeweils eine starke Halbzeit. Dies war für beide Mannschaften ein glänzender Schritt auf dem Weg, um sich auf höchstem Niveau weiter zu festigen - die jeweiligen Wege dorthin sind aber grundverschieden.

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Als Carlo Ancelotti unmittelbar nach dem Sieg im Supercup gegen Borussia Dortmund gefragt wurde, an welchen Stellschrauben er in den übrigen Tagen bis zum Start der Pflichtspiele in DFB-Pokal und Bundesliga noch drehen würde, hatte der Bayern-Trainer kaum Konkretes mitzuteilen.

"Die Mannschaft ist schon sehr, sehr stark", entgegnete der Italiener lapidar. Statt letzter taktischer Tüfteleien im Training dürften es vielmehr Spiele wie am Sonntagabend im Signal Iduna Park sein, die die gemeinsame Herangehensweise seines Teams in ein stringentes Gesamtbild gießen.

Tuchel verzichtet auf viele Neuzugänge

Ancelotti kommt dabei entgegen, im Moment kein schwieriges Personalpuzzle lösen zu müssen. Der neue Mann an der Seitenlinie kann auf das unter Pep Guardiola so bärenstarke mannschaftliche Gerüst zurückgreifen, das künftig zwar die Schwerpunkte im Spiel etwas anders setzen wird, an dessen grundsätzlicher Ausstrahlung aber nichts verloren ging.

Es war daher sinnvoll von ihm anzukündigen, den Supercup mit der besten verfügbaren Truppe zu spielen, selbst wenn Akteure wie der beispielsweise bei jedem Ballkontakt ausgepfiffene Rückkehrer Mats Hummels noch keine zehn Tage Training in den Knochen haben.

Zwar bestand auf der Gegenseite die öffentliche Hoffnung, die zahlreichen Dortmunder Neuzugänge und vor allem Mario Götze erstmals zu Gesicht zu bekommen. Wer jedoch spätestens auf der Pressekonferenz vor der Partie genau hingehört hat, der konnte erahnen, dass Thomas Tuchel diese Gedankenspiele nicht bedienen wird.

Suche nach dem Klebstoff

Dortmunds Trainer setzte vielmehr auf die China-Reise-Gruppe. Damit sind jene Spieler gemeint, die an diesem Montag bereits in ihre sechste Trainingswoche einsteigen und den Nachzüglern, zu denen neben Götze vor allem Andre Schürrle, Julian Weigl, Lukasz Piszczek und Raphael Guerreiro gehören, physisch noch deutlich überlegen sind.

Die BVB-Elf, die Tuchel letztlich auf den Rasen schickte, hatte die ersten Wochen nach Trainingsstart zusammen verbracht und untereinander bereits eine gewisse Verbindung hergestellt. Die rechte Seite bestand in Felix Passlack und Adrian Ramos daher auch aus einem Pärchen, das man im Laufe der Spielzeit nicht mehr häufig zu Gesicht bekommen wird.

Der große Unterschied zwischen den beiden Rivalen während der nun zum Großteil zurückliegenden Vorbereitung ist die unterschiedliche Suche nach dem Klebstoff, wie es Tuchel beschreibt. Unter diesem Begriff sind Faktoren wie physisches Top-Niveau, Eingespieltheit sowie eine gemeinsame Mentalität und Gier vereint.

Tuchel verschiedene Sommer

Ancelottis Kader kann auch in diesen Belangen auf den Erzeugnissen der Vorjahre aufbauen, im Gegensatz zur Borussia haben die Bayern keinen einzigen Schlüsselspieler verloren. In Hummels und dem noch verletzten Renato Sanches kam gar noch weitere Qualität hinzu.

Anders die Gemengelage in Dortmund: Der Weg in Tuchels zweites BVB-Jahr ist gänzlich verschieden von jenem, der im letzten Sommer begann. Damals griff das Trainerteam auf die Bande zurück, die über die Jahre unter Jürgen Klopp geknüpft wurde und kippte darüber neue taktische Inhalte aus.

Die Grundstruktur des Kaders wurde aber kaum verändert, höchstens ergänzt. Nun jedoch müssen Tuchel und Co. nicht nur acht Neuzugänge aus unterschiedlichen Ländern an eine neue soziale wie fußballerische Umgebung gewöhnen, sondern nach den Abgängen des Trios Hummels/Gündogan/Mkhitaryan auch die Rollenverteilung innerhalb des Teams beobachten und neu gedeihen lassen.

Testspiele für den BVB-Rest

Es war nicht verwunderlich, dass der Dortmunder Motor in den Testspielen nach der China-Reise stotterte. Die Trainingsgruppe, die die ersten drei Wochen gemeinsam absolvierte, strahlte in Asien bereits eine gemeinschaftliche Stärke aus, was an den guten Vorstellungen gegen die beiden Teams aus Manchester abzulesen war.

Durch den verspäteten Einstieg der anderen Hälfte der Truppe und die daraus entstandene, finale Kaderkonstellation sind diese zuvor aufgebauten Verbindungen wieder ein Stück weit gekappt worden, wie Tuchel in den letzten Tagen ausführlich erklärte.

Dortmunds Vorbereitung teilte sich praktisch in zwei Abschnitte auf, die wirkliche gemeinsame Arbeit an allen für Spiel wie Teamgeist notwendigen Prinzipien begann erst am 3. August im Trainingslager in der Schweiz. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass die Borussia am Tag nach Supercup und DFB-Pokal-Auftakt jeweils noch ein Testspiel angesetzt hat, um dem später eingestiegenen Teil der Mannschaft entsprechende Spielpraxis zu ermöglichen.

Tuchel: "Der Weg ist noch lang"

Man hätte Tuchels Aussage, auf den Supercup könne er diesmal auch verzichten, also nicht ganz für bare Münze nehmen sollen. Denn diese Herausforderung, wenn auch in Anführungszeichen nur von dem im Saft stehenden Teil des Kaders angegangen, trug dazu bei, den Faden wieder aufzunehmen und am gesuchten Klebstoff zumindest wieder zu schnüffeln - auch für die Bayern.

Das Zusammenspiel aus dem Erlebnis Heimspiel unter Flutlicht, höchster sportlicher Prüfung gegen den größten Rivalen und dem glänzenden Auftritt in den ersten 45 Minuten wird Dortmund daher ungeachtet des Ergebnisses einen Entwicklungsabschnitt nach vorne gebracht haben - und umgekehrt die Bayern auch.

"Die Aufgabe ist es, die Dichte und die Energie in unseren Aktionen zu halten, nicht zurückzuweichen und immer wieder aufzubringen über 90 Minuten", sagte Tuchel nach der 0:2-Niederlage. "Das ist eine Frage der körperlichen Fitness, der Konzentration, des Zusammenspiels. Wir haben gegen Bayern einen weiteren Schritt gemacht auf einem Weg, der aber noch lang ist."

Dortmund baut auf den Faktor Zeit

Tuchel ist davon überzeugt, dass letztlich die Zeit, das fortwährende Miteinander sowie die dann entstehende Leistungsatmosphäre die Wunden des gesamten Kaders heilen wird. Bislang gingen in gewissen Spielphasen noch zu häufig Physis wie Konzentration flöten, technische Unsauberkeiten schlichen sich daraufhin ein.

Um auch solche Phasen zu überstehen, muss sich in den kommenden Wochen in Training und Spielen eine durchgängige Stabilität entwickeln, die Tuchel auch gerne unter dem Begriff Energie zusammenfasst.

Auch wenn der Stellenwert des hiesigen Supercups häufig in Frage gestellt wird, war er gerade in diesem Jahr für beide Mannschaften wichtig, um sich auf höchstem Niveau weiter zu festigen. Nur sind die Wege zu diesem Ziel in Dortmund und München derzeit unterschiedlich.

Bor. Dortmund - FC Bayern: Die Statistik zum Spiel

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