Warum eigentlich nicht Europa?

Werder Bremen hat das Nordderby gegen den Hamburger SV für sich entschieden
© Getty

Werder Bremens Erfolgsserie setzt sich auch beim 2:1-Derbysieg gegen den Hamburger SV fort. Die Truppe von Alexander Nouri, die in dieser Saison bereits am Boden lag, ist die Mannschaft der Stunde und kann mittlerweile personelle Rückschläge und unglückliche Spielverläufe wegstecken. Die neunte Partie ohne Niederlage in Folge war ein wichtiger Schritt in Richtung Klassenerhalt. Oder wird Europa doch noch ein Thema?

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Die Spieler in Grün und Weiß laufen mit strahlenden Gesichtern auf die Tribüne zu. In den Händen ein Banner. Ebenfalls in Grün und Weiß. Logisch. Die Schriftrolle wirft den Fans ein Wort entgegen, bei dem deren Herzen höher schlagen. Mit einer Botschaft, die ein Fan gerne liest: Derbysieger.

In den letzten Wochen, so könnte man meinen, haben sich Mannschaft und Fans ans Jubeln gewöhnt. Doch der Jubel an diesem Sonntagnachmittag ist noch einmal besonders. Schließlich war es ein besonderes Spiel. Denn Werder Bremen hat das 106. Bundesliga-Nordderby gegen den Hamburger SV - kein Duell gab es häufiger - mit 2:1 für sich entschieden.

"Dieser Sieg hat eine große Bedeutung für die Fans, uns Spieler und die ganze Stadt", frohlockte Siegtorschütze Florian Kainz hinterher.

Ein Sieg mit großer Bedeutung war es also. Und das trotz eines Spielverlaufs, der eine weniger gefestigte Mannschaft wohl früh aus dem Konzept gebracht hätte.

Widriger Spielverlauf

Bereits nach 35 Sekunden hatte Werder in Person von Max Kruse die frühe Führung auf dem Fuß, nur ein starker Reflex von Hamburg-Keeper Christian Mathenia verhinderte den Einschlag. Und fünf Minuten später stand es nach dem ersten HSV-Torschuss direkt 0:1.

Nicht gerade ein Turbostart für den SVW.

Aber: "Trotz des frühen Nackenschlags", analysierte Fin Bartels, "haben wir an uns geglaubt und sind mit dem Selbstvertrauen, was wir uns die letzten Wochen erarbeitet haben, aufgetreten. Wir haben es heute spielerisch besser gemacht als die Hamburger. Wir haben die Leistung gezeigt, die uns die letzten Wochen stark gemacht hat."

Auch Trainer Alexander Nouri war voll des Lobes für den Auftritt: "Unter dem Strich haben wir dieses Spiel völlig verdient gewonnen. Wichtig war, dass wir nach dem Rückstand nicht die Geduld verloren haben."

Tatsächlich schüttelte sich Werder nur wenige Minuten, um dann wieder die Initiative zu übernehmen.

Pressinglinie überspielt, Überzahlsituation geschaffen

Im seit Wochen erfolgreich praktizierten 3-1-4-2-System gelang es den Grün-Weißen immer wieder, die hohe Hamburger Pressinglinie zu überspielen und so Überzahl in den gefährlichen Spielfeldzonen zu kreieren. Und dadurch Torchancen. 13:6 Torschüsse stehen am Ende exemplarisch für die Überlegenheit.

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War Werder in der Hinrunde noch völlig abhängig von den genialen Momenten, die Serge Gnabry auszeichnen, wirkt das Offensivspiel seit Wochen ausgewogen. Auch ohne den Jungnationalspieler, der nach muskulären Problemen zumindest wieder einmal im Kader war.

Darüber hinaus gelang es auch, den Ausfall des zuletzt bärenstarken Thomas Delaney aufzufangen. Der Motor läuft derzeit, ein Rad greift ins andere, Leistungsträger sind zu ersetzen. Weil die Mannschaft an sich glaubt und die Geduld bei Rückschlägen nicht verliert.

Das Stichwort "nicht die Geduld verloren" passte auch auf die Phase, in der sich Werder zwar einige Gelegenheiten erarbeitete (unter anderem durch Bartels, Grillitsch und den Pfostenfreistoß von Junuzovic), diese aber nicht veredelte. Zunächst nicht zum Ausgleich. Später nicht zur Führung.

Doch Werder kam mit dem Selbstvertrauen einer Erfolgsserie: "Wir hatten die letzten acht Spiele nicht verloren. Das hat man heute gemerkt", stellte Kruse fest.

Kruse steht stellvertretend für den Bremer Auftritt

Der Angreifer war der auffälligste Offensivspieler der Bremer. Und er stand stellvertretend für den gesamten Spielverlauf: Rückschlag, Weitermachen, Siegen. Er war es, der die Führung nach wenigen Sekunden auf dem Fuß hatte und vergab. Doch er ließ den Kopf nicht hängen.

Stattdessen spielte er die meisten Pässe, war an sieben Torschüssen direkt beteiligt (vier Vorlagen, drei Schüsse), erzielte den Ausgleich selbst und bereitete eine Viertelstunde vor Schluss den Siegtreffer durch Florian Kainz vor.

Und so durfte Werder am Ende feiern. Wie zuletzt so häufig. 23 Punkte sammelten die Bremer in den letzten neun Spielen (sieben Siege, zwei Remis). In der Rückrundentabelle steht das Team von Alexander Nouri punkt- und torgleich mit Borussia Dortmund auf Platz drei. Nur Bayern und Hoffenheim haben mehr Zähler gesammelt.

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Das Team von eben diesem Nouri, der vor dem Spiel in Mainz Mitte Februar angezählt war. Ohne Zukunft. Eigentlich schon weg. Zwei Monate später ist er der Trainer der Stunde, eine langfristige Vertragsverlängerung scheint Formsache.

Wichtiger Schritt in Richtung Klassenerhalt

Durch den Derbysieg hat Werder mit nun 39 Punkten einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenerhalt gemacht.

Aber ist der Blick nach unten angesichts der Tabellensituation überhaupt noch angebracht? "Unsere Blickrichtung ändert sich nicht, wir fokussieren uns nur auf den nächsten Gegner, und der heißt Ingolstadt", sagte Nouri am Sonntag.

"Wir schauen nur auf uns und blicken weder nach oben noch nach unten. Wir wollen die 40-Punkte-Marke in Ingolstadt mindestens erreichen. Dann schauen wir mal", schlug Manager Frank Baumann in die gleiche Kerbe.

Eine wohltuende Bescheidenheit. Und ob der schwierigen, turbulenten, abstiegskampfgeprägten jüngeren Vergangenheit eine angebrachte obendrein.

Nicht alles so rosig, wie es im Nachhinein scheint

Zumal auch in der Partie gegen den HSV sicherlich nicht alles so rosig war, wie es im Nachhinein scheint. Speziell die defensive Abstimmung war das eine oder andere Mal vogelwild. So hätte es nach der Chance von Filip Kostic unter Umständen auch 0:2 stehen können. Und wer weiß, was die Partie dann für einen Verlauf genommen hätte.

Abheben ist also trotz der Serie nicht angesagt.

Die Realität ist allerdings auch: Werder steht mittlerweile auf Rang acht. Europa-League-Qualifikationsplatz sechs ist nur noch zwei Zähler entfernt. Und die Konkurrenten wie Hertha BSC, der SC Freiburg, der 1. FC Köln oder Eintracht Frankfurt hatten zuletzt nicht unbedingt eine steile Formkurve.

Zumal Werder nach dem Gastspiel bei Ingolstadt zunächst die Hertha empfängt (die zuletzt acht Auswärtsspiele in Serie verlor), um anschließend gegen Köln zu spielen. Duelle gegen Tabellennachbarn. Das Wort Europa darf im bremischen Vokabular also zumindest einmal nachgeschlagen werden. Warum denn auch nicht?

Dass die Spieler Ende Mai in Dortmund den Klassenerhalt feiern können, ist bei sieben Punkten Vorsprung und noch 15 zu vergebenen mehr als wahrscheinlich. Möglicherweise ist dann aber sogar noch mehr Grund, mit den Fans zu frohlocken. Und ein Spruchband auszufahren...

Bremen - Hamburg: Daten zum Spiel