Weiter am seidenen Faden

Am 26. März wäre Roger Schmidt 1000 Tage Trainer von Bayer Leverkusen
© Getty

Bayer Leverkusen hat mit 2:6 bei Borussia Dortmund und damit fünf der acht Pflichtspiele in diesem Jahr verloren. Der schon seit längerer Zeit in der Kritik stehende Trainer Roger Schmidt kämpft um seinen Job - und sieht nach einer Änderung seiner Gangart dennoch positive Entwicklungen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Vielleicht hätte er es einfach niemals sagen sollen. Es war immerhin ehrlich und eine ernst gemeinte Antwort. Doch man hätte das Thema auch umschiffen und diplomatischer beantworten können. "Das Jahr wird besser als die vergangenen zwei Jahre", sagte Roger Schmidt Anfang Juli zum Start der Leverkusener Saisonvorbereitung. Und: "Ich sehe unser bestes Jahr kommen."

Nicht erst seit dem 23. Spieltag in dieser Saison lässt sich festhalten, dass genau das Gegenteil eingetreten ist. Bayer spielt das schwächste Jahr unter Schmidt und um genauer zu sein, auch das schwächste seit der Spielzeit 2002/2003.

Die Fakten: Elf Saisonniederlagen sind bereits jetzt eine mehr als im Vorjahr, drei Pflichtspielpleiten hintereinander liegen rund eineinhalb Jahre zurück, 38 Gegentore gab es zu diesem Zeitpunkt zuletzt 1984/1985, nach fast fünf Jahren kassierte Leverkusen gegen Dortmund in einem Pflichtspiel wieder mehr als fünf Gegentore und 17 Standardgegentreffer hat in der Bundesliga auch niemand hinnehmen müssen.

Schlussspurt wie im Vorjahr?

Fünf der acht Pflichtspiele im Jahr 2017 hat Bayer somit verloren. Das Champions-League-Aus steht unmittelbar bevor und einen internationalen Wettbewerb gibt's nächste Saison nur mit einem Schlussspurt in der Liga. Dies ist die einzige Hoffnung, um eine von Beginn an verkorkste Saison noch irgendwie zu retten - und damit kennt sich Schmidt ja eigentlich aus.

In der Vorsaison nämlich hing Schmidts Job genau wie heute am seidenen Faden. Auch damals verlor Bayer gegen Dortmund und Schmidt sorgte für wochenlange Diskussionen, als er einem Platzverweis des Schiedsrichters nicht Folge leistete. Kaum hatte Schmidt aber seine Drei-Spiele-Sperre abgesessen, gewann Leverkusen acht der letzten neun Bundesligaspiele und qualifizierte sich am Ende souverän für die Königsklasse.

Die Fußballwelt im Netz auf einen Blick - Jetzt auf LigaInsider checken!

Allerdings: Heute deutet nur wenig darauf hin, dass Schmidt mit seiner Mannschaft dieses Kunststück wiederholen wird. Eher würde es nicht mehr verwundern, sollte Bayer die Reißleine ziehen und den Endspurt mit einem neuen Übungsleiter versuchen wollen.

Andererseits muss man dem Werksklub zugutehalten, in kritischen Phasen immer wieder an Schmidt festgehalten zu haben. Nur sind diese Phasen mittlerweile zu regelmäßig geworden. Zuletzt vor dem Heimspiel gegen Frankfurt vor drei Wochen stand der Trainer unter gehörigem Druck. Der seidene Faden begleitet Schmidt schon eine Weile. Dass Schmidt auch in der nächsten Spielzeit bei Bayer am Seitenrand stehen wird, ist mittlerweile schwer vorstellbar.

Schmidt kündigt neue Gangart an

Schmidt ist in Leverkusen längst zum Sündenbock stigmatisiert. Daran trägt er mit seinem teils schroffen Verhalten eine gehörige Mitschuld. Für die Profis ein willkommenes Schutzschild, um von eigenen Fehlleistungen abzulenken. Der Kader sei schon eine Hausnummer, verkündete Manager Jonas Boldt vor der Saison. Diejenigen, die ihm angehören, blieben allerdings sehr weit hinter den Erwartungen zurück - ganz unabhängig vom Trainer.

Der hat daher unter der Woche die Zügel angezogen und eine andere Sprache angeschlagen. "Entsprechende Maßnahmen" werde Schmidt nun ergreifen und den eigenen "Führungsstil anpassen". Der Coach kämpft um seinen Job, ein bisschen auch um seinen Ruf und um eine versöhnliche Bilanz. Denn auch er wird sich gut überlegen, ob seiner Zeit am Rhein trotz Vertrags bis 2019 nicht ein vorzeitiges Ende gut zu Gesicht stehen würde.

"Ich finde schon, dass die einzelnen Spieler jetzt in der Pflicht sind. Wer's nicht bringt im Spiel und im Training, der kann bei Bayer Leverkusen nicht spielen. Wir brauchen mehr zuverlässige Spieler, die sich zu 100 Prozent in den Dienst der Mannschaft stellen. Die, die zuverlässig sind, sollen sich auf ihr Spiel konzentrieren, und die anderen sollen aus dem Quark kommen. Ganz einfach", entfuhr es Schmidt vor der Pleite beim BVB. "Da müssen jetzt einige in den kommenden Tagen mal in den Spiegel schauen", pflichtete ihm Sportchef Rudi Völler bei. "Immer nur abledern oder dankbar sein, wenn der Trainer attackiert wird, ist zu wenig."

Schmidt und das "kurzfristige Leistungsprinzip"

Blickt man nun lediglich auf die Begegnung in Dortmund, dann mutet es komisch an, wenn Schmidt nach sechs Gegentoren - noch nie gab es so viele unter seiner Leitung - von einem "sehr guten Auftritt" gerade der jüngeren Spieler spricht. Er könne mit dem Spiel leben, meinte Schmidt, "das war ein guter Schritt in die richtige Richtung".

Erlebe die Bundesliga-Highlights auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

Dies sollte man weniger mit dem bloßen Ergebnis verknüpfen, denn die richtige Richtung, das sind für Schmidt nun Fußballer voller Hingabe und Leidenschaft, die seinen Ideen folgen und versuchen, diese unnachgiebig umzusetzen.

Schmidt braucht einen verschworenen Haufen, ein festes Gerüst verlässlicher Akteure, die Eigeninteressen hinten anstellen und um Bayers bröckelndes Image kämpfen. Daher rief Schmidt auch unter der Woche das "kurzfristige Leistungsprinzip" aus und handelte entsprechend, als er die eigentlichen Stammspieler Julian Brandt und Karim Bellarabi zunächst auf die Bank verfrachtete.

Es könnte eine der letzten Patronen sein, die Schmidt noch im Köcher hat - 978 Tage, nachdem er seinen Dienst in Leverkusen antrat. Der Abstand auf Platz sechs beträgt bei optimalem Verlauf fünf Punkte, Europa ist nicht meilenweit entfernt.

"Wir dürfen nicht träumen, den Sinn für die Realität dürfen wir nicht verlieren", warnte Völler, der am Samstag wortlos das Dortmunder Stadion verließ. "Wir müssen die Distanz zu den Europa-League-Plätzen verkürzen. Platz sechs oder sieben, da müssen wir fest dran glauben. Die Qualität und Stärke, das zu erreichen, haben wir immer noch."

Roger Schmidt im Steckbrief