Bayern-Dusel oder die Überzeugung zu siegen

Für die Bayern gab es nach dem späten Siegtreffer kein Halten mehr
© Getty

Der FC Bayern München hat die Patzer der Konkurrenz genutzt und mindestens für eine Vorentscheidung im Meisterschaftskampf gesorgt. Beim späten 2:0-Sieg in Ingolstadt zeigte der Rekordmeister einmal mehr keine Galavorstellung. Dafür standen zwei Attribute im Mittelpunkt: Charakter und Wille.

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Alle Dämme brechen. Arjen Robben reißt die Arme nach oben. Von seinen Teamkollegen ist er gar nicht einzufangen. Zielstrebig sprintet er in Richtung Außenlinie. Dort angekommen, hüpft er in die Arme seines bereits ausgewechselten Kapitäns Philipp Lahm.

Innerhalb weniger Sekunden bildet sich eine jubelnde Menschentraube, bestehend aus dem Bayern-Tross. Selbst der sonst eher kühle Carlo Ancelotti ist voll mit dabei. Die Freude ist riesengroß.

Einen derart emotional ausgelassenen Jubel zeigen die Bayern nicht alle Tage. Lediglich in ganz wichtigen Spielen, Champions-League-Viertelfinale aufwärts. Oder im Pokalfinale. Oder vielleicht noch bei einem Ligaspiel gegen Borussia Dortmund.

An diesem Samstag sind die Bayern aber nach dem Treffer zum 2:0 im Audi Sportpark nicht einzukriegen. Gegen den FC Ingolstadt.

Siege "auch für uns etwas Schönes"

"Man vergisst immer, dass Siege auch für uns etwas Schönes sind", erklärte Philipp Lahm später im Bauch des Stadions in der Mixed Zone den auffällig emotionalen Jubel: "Wenn man durch zwei so späte Tore noch drei Punkte mitnimmt, sieht man, was die Mannschaft immer leistet."

Klar, Last-Minute-Siege sind auch für abgebrühte, ans Siegen gewöhnte Spieler wie die des FC Bayern noch immer etwas anderes als eine Partie, die bereits zur Halbzeit mit 3:0 entschieden ist.

In diesem Moment waren die spät eingefahrenen drei Punkte allerdings doppelt wertvoll, wie Lahm ausführte: "Die meisten Spieler wussten, wie es in den anderen Stadien steht. Das hat uns dann nochmal zusätzlich Freude bereitet."

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Leipzig verliert, Frankfurt verliert, Dortmund verliert

Die Ergebnisse der anderen Spiele? Der Zweite, RB Leipzig, verlor 0:3 gegen dem Hamburger SV. Der Dritte, Eintracht Frankfurt, verlor 0:3 in Leverkusen. Der Vierte, Borussia Dortmund, verlor 1:2 in Darmstadt. Wie bereits in der Vorwoche hätte man also selbst mit einem Remis den Vorsprung auf die Verfolger ausgebaut. Dass durch die späten Tore von Arturo Vidal und Robben sogar ein Sieg heraus sprang, ist wohl mehr als eine Vorentscheidung im Titelkampf. Sieben Punkte beträgt der Vorsprung auf die Leipziger nun.

"Wir hätten heute auch wieder zwei Punkte liegen lassen können und den Abstand nicht wirklich vergrößern können. So haben alle Verfolger Punkte liegengelassen, nur wir haben wieder den Dreier eingefahren. Deswegen war es für die Moral und das Gefühl unheimlich wichtig", sagte Lahm und fügte mit einem breiten Grinsen an: "Es war ein Wochenende ganz nach unserem Geschmack."

Ingolstadt nicht unbedingt Bayerns Lieblingsgegner

Dass genau dieses Wochenende nach dem Geschmack der Bayern wurde, bedurfte in Ingolstadt einer ganzen Menge harter Arbeit. Die Schanzer waren bereits in den ersten drei Bundesliga-Duellen nicht unbedingt der Lieblingsgegner der Münchner. Und dieser Eindruck bestätigte sich auch im vierten Aufeinandertreffen. Der FCI war für den großen Nachbarn wieder einmal eklig. Positiv eklig.

Von Anfang an liefen die Hausherren ihren Gegner hoch an, pressten aggressiv und zwangen die Münchner so immer wieder zum Risikopass.

Schwierige Platzverhältnisse

Die Platzverhältnisse kamen dem Kurzpassspiel der Ancelotti-Elf ebenfalls nicht zugute: "Der Platz war nicht unbedingt auf ein flaches Kombinationsspiel ausgelegt, sondern schwierig zu bespielen. Der Ball ist viel gesprungen", analysierte Thomas Müller: "Wir durften hier nicht unser Spiel spielen - wir mussten ja so ein bisschen das Spiel von Ingolstadt mitspielen, weil es gar nicht anders möglich war."

Heißt im Klartext: viel Langholz, auch von den Bayern. Entsprechend war es nicht verwunderlich, dass die Gäste zur Pause lediglich bei einer Passquote von 76,3 Prozent standen. Seit dem Amtsantritt von Pep Guardiola im Sommer 2013 gab es nur ein einziges Mal eine schwächere Passquote in einem Bundesligaspiel - beim letzten Auftritt in Ingolstadt.

Systemänderung greift nicht

Ancelottis Maßnahme, Robben und Costa aus der Startelf zu nehmen und auf eine Formation ohne echten Flügelspieler zu setzen, erwies sich nicht als Kunstgriff. Im 4-4-2, je nach Spielsituation auch mal im Tannenbaum-System als 4-3-2-1 ausgerichtet, fehlte es merklich an Ideen.

Die einzige echte Torgelegenheit vor dem Pausenpfiff hatte Lewandowski - nach einem langen Hafer von Xabi Alonso. Zugegebenermaßen ein Traumpass.

In der zweiten Halbzeit stellte Ancelotti um. Erst auf ein 4-3-3 mit Müller und Costa auf den Außen, dann auf ein 4-2-3-1. Mit zunehmender Belebung der Flügel wuchs der Münchner Druck, der sich schließlich in der 90. Minute entlud. Nach einer Müllerflanke vom rechten Strafraumeck traf Arturo Vidal aus kürzester Distanz.

Die Vehemenz, mit der der Chilene das Ding ins Netz wuchtete, machte den späten Führungstreffer zum prototypischen Tor des Willens. Passend zu Vidal, der auch zuletzt bei den blutleer wirkenden Auftritten gegen Schalke und Wolfsburg zu den wenigen feurigen, motivierten - fast schon übermotivierten - Akteuren zählte. Der Mittelfeldmann war mit 119 Ballaktionen der dominanteste Spieler im Mittelfeld der Bayern. Er ist ein Spielertyp, dem die kampfbetonten Partien zugute kommen.

Am Ende stand also wieder mal ein Bayern-Sieg. 2:0, dabei hatte es bis zur 90. noch 0:0 gestanden. Die Diskussionen über fehlende Dominanz und fehlenden Glanz halten sich seit Wochen. Nicht völlig zu Unrecht. Auch das Auswärtsspiel in Ingolstadt war kein spielerisches Sahnestück. Doch die Münchner verlieren eben auch nicht. Im Gegenteil, sie gewinnen und bauen ihren Vorsprung aus.

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Dusel oder Überzeugung

"Wenn du in der 90. das Tor machst, ist es in gewisser Weise auch immer ein glücklicher Sieg, aber dennoch ist er meiner Meinung nach hochverdient", resümierte Thomas Müller.

Philipp Lahm bot gleich beide Möglichkeiten, den Sieg zu deuten, an: "Man muss sagen, dass es dann glücklich ist, Bayern-Dusel oder die Überzeugung, dass man das Spiel noch gewinnen kann."

Natürlich liegt die Trope vom Bayern-Dusel nahe. Doch dass der FCB nicht in jederlei Hinsicht immer vom Glück verfolgt ist, zeigte sich in der 83. Minute, als Robert Lewandowski die Latte traf. Alleine der Pole persönlich donnerte den Ball zum fünften (!) Mal in dieser Saison ans Aluminium. Ligahöchstwert. Für die Bayern war es der 16. Alutreffer. Mit Abstand Ligahöchstwert.

Dagegen häufte sich zuletzt wieder das Fortune, Spiele in der Endphase noch zu entscheiden. In den vier Bundesligaspielen dieses Jahres gewannen die Münchner zweimal in letzter Minute.

Druck in Schlussphase als Qualität

Genau das verstehen die Bayern allerdings als eine ihrer großen Qualitäten: dass sie am Ende den Druck noch einmal massiv erhöhen und auf den Sieg spielen können. Auch beim 1:1 gegen den FC Schalke 04 gab es in der Endphase zwei große Tormöglichkeiten, als einmal Martinez den Ball vorbei schob und einmal Nastasic vor dem freistehenden Coman klärte.

Also hat das Siegen in der Schlussphase Methode? "Man kann sich nicht darauf verlassen", warnte Manuel Neuer, der im 181. Bundesligaspiel für die Bayern zum 100. Mal zu Null spielte: "Lieber wäre es uns, wenn wir schon früher in Führung gehen und den Sieg unter Dach und Fach bringen."

Ob nun Dusel oder große Qualität - der späte Sieg zeigte vor den wichtigen Wochen mit dem Start der Champions-League-K.o.-Phase, dass die Mentalität und der Charakter bei den Bayern stimmen. Gegen Arsenal werden alleine diese Attribute nicht reichen, sie sind jedoch eine vernünftige Basis.

Und von dem gerüchtehalber zerrütteten Mannschaftsverhältnis war in der 93. Minute auch nichts zu sehen, als die Spieler eine Jubeltraube um den 2:0-Torschützen Robben und Lahm, der sich seit Dienstag auf der Abschiedstour befindet, bildeten.

Und feierten, als hätten sie die Champions League gewonnen. Oder zumindest gegen den BVB.

Ingolstadt - Bayern: Daten zum Spiel