Naiv ins routinierte Messer

Ralf Hasenhüttl und seine Leipziger waren den Bayern hoffnungslos überlegen
© getty

RB Leipzig kassiert in München die zweite Niederlage der Saison. Den Bullen wird ihre große Euphorie und Naivität zum Verhängnis, letztlich werden sie mit ihrem eigenen Stil vorgeführt. Lehrstunde ist der Begriff des Abends.

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Lehrstunde ist ein abgedroschener Begriff. Jedoch stand er am Mittwochabend jedem Leipziger in Versalien ins Gesicht geschrieben. Denn die Zahlen, die RB nach der deutlichen 0:3-Pleite in der Allianz Arena präsentierte, lasen sich nicht nur schlecht, sie gaben auch den optischen Eindruck eines einseitigen Spiels wieder, in dem der vermeintliche Außenseiter eigentlich so viel mehr erreichen wollte.

24 gegnerische Torschüsse ließen die Bullen gegen Bayern zu, sonst waren es in der Bundesliga nie mehr als 14. Mit nur vier eigenen Torschüssen, 28 Prozent Ballbesitz und 41 Prozent gewonnenen Zweikämpfen stellten die Leipziger zudem neue Tiefstwerte für den Klub in der Bundesliga auf. Die Konsequenz: In der 29. Minute gab Willi Orban den letzten Schuss auf das Tor von Manuel Neuer ab.

Muskelkater entgegen des Plans

"Ich will, dass die am nächsten Tag spüren, dass sie gegen uns gespielt haben", hatte Ralph Hasenhüttl zu Beginn der Woche selbstbewusste Töne angeschlagen. Mit "die" waren selbstredend die Bayern gemeint und spüren sollten sie den Muskelkater, den Leipzig ihnen durch große Laufarbeit aufzwingen wollte, sowie das körperbetonte Spiel der Bullen.

Doch alles, was sich der überragende Aufsteiger dieser Saison für das Highlight-Spiel in München vorgenommen hatte, trat nicht ein. Unter dem Strich liefen die Bayern mit 109,01 Kilometern im Kollektiv nicht einmal einen halben Kilometer mehr als beim uninspirierten Auftritt in Darmstadt am Wochenende und sogar mehr als drei Kilometer weniger als beim 5:0 gegen den VfL Wolfsburg. Was natürlich auch dem Spielverlauf geschuldet war. In der zweiten Halbzeit wurde das Ergebnis eher verwaltet, Hochgeschwindigkeitsfußball gab es nur noch ab und zu.

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Laufen mussten die Gäste. In 60-minütiger Unterzahl im Kollektiv sogar trotzdem mehr (109,17 Kilometer) als der Meister. Wer sich vor der Winterpause noch einmal in die Eistonne setzen musste, war damit auch geklärt. Nicht die Bayern.

Naivität wird zum Verhängnis

Was Hasenhüttls Mannschaft in dieser Vorrunde so ausgezeichnet hatte, Ballgewinne durch hohes Pressing und schnelle Kontersituationen, kam in München nicht zum Tragen. Einzig in der 4. Minute, als Yussuf Poulsen nach Timo Werners Hereingabe den Querpass im Strafraum nur um Zentimeter verpasste. "Wenn ich den treffe, dann läuft das Spiel anders, klar", befand der Däne später. An dieser Halbchance wollte aber keiner seine Spielanalyse aufhängen.

Vielmehr machte sich unter den gezeichneten Leipzigern die Gewissheit breit, Bayern nicht mit der nötigen Konsequenz bespielt zu haben. "Ich hatte ein bisschen den Eindruck, der eine oder andere war überrascht. Wenn Keita den Ball annimmt und denkt, er hat stundenlang Zeit, dann passiert eben so ein Ballverlust", kritisierte Sportdirektor Ralf Rangnick deutlich.

Neben der fehlenden Kraft nach den intensiven vergangenen Wochen war es genau diese Naivität, die RB zum Verhängnis wurde.

Euphorisch ins FCB-Messer

In der Euphorie gibt es meist zwei Szenarien: Erstens, es funktioniert alles wie gemalt. Zweitens aber, sie stürzt einem über dem Kopf zusammen. Leipzig erlebte in München Letzteres.

Carlo Ancelottis Team zeigte den Gästen deutlich auf, dass gegen einen Top-Gegner mehr dazugehört als viel Bewegung und Einsatz. Ironischerweise erzielten die Bayern ihre Tore sogar nach dem Abbild des Leipziger Offensivstils der bisherigen Saison: Schnell, dynamisch, schnörkellos. "Sie haben mit unseren Waffen geglänzt", sagte Rangnick.

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Das frustete die jungen Bullen. Das überzogene Foul von Emil Forsberg, der berechtigterweise vom Platz gestellt wurde, war sinnbildlich für den Übermut, mit dem die Gäste verzweifelt versuchten, ins Spiel zu finden. Die Selbstsicherheit der letzten Wochen bröckelte merklich, Leipzig stürzte sich Hals über Kopf ins routinierte FCB-Messer.

Erstmals Grenzen erkannt

Auf die Frage, ob der FC Bayern die erste Mannschaft sei, die Leipzig die Grenzen aufgezeigt habe, antwortete Hasenhüttl trocken: "Ja." Das Team, das im Sturm die Liga erobert hat, wurde mit einem wuchtigen Schlag wieder in die momentanen Kräfteverhältnisse im deutschen Fußball einsortiert.

Hasenhüttl selbst hatte damit am wenigsten ein Problem. Gegen einen FC Bayern auf diesem Level sei es selbst in Top-Form schwer zu bestehen, geschweige denn in der noch frühen Entwicklungsphase seiner Mannschaft. Mitgenommen wirkte aber sein junges Team, das doch im Glauben angereist war, den ganz großen Coup zu landen.

"Das war die nächste Lehrstunde"

Was sie aber geschafft hatten, sahen viele der RB-Spieler in der Enttäuschung gar nicht: Sie hatten den FC Bayern überhaupt erst dazu motiviert, eine so beeindruckende Leistung abzurufen. Das war vor allem dem Respekt geschuldet, den die Münchner vor dem aufmüpfigen Aufsteiger hatten.

Den gilt es bis zum zweiten Aufeinandertreffen im Mai zurückzuerarbeiten und dann im großen Rahmen den nächsten Schritt zu machen. Dass sich im Osten eine Mannschaft auftut, die den FCB auf Dauer "reizt", wie Karl-Heinz Rummenigge fand, dürfte mittlerweile klar sein.

"Jetzt sind wir aber erst mal froh, ein bisschen Pause zu haben. Die Rückrunde wird keinen Millimeter einfacher. Wir haben in diesem Jahr wirklich viel gelernt, auch wenn wir heute chancenlos waren. Das war die nächste Lehrstunde", befand Hasenhüttl: "Weiter geht die Reise."

Bayern - Leipzig: Daten zum Spiel