Vorübergehender Gipfel der Geilheit

RB Leipzig feiert die vorübergehende Tabellenführung
© getty

Der 3:2-Erfolg bei Bayer Leverkusen war RB Leipzigs sechster Bundesliga-Sieg in Serie. An der Tabellenspitze löst er eine Verschiebung aus, die den Aufsteiger zumindest vorübergehend auf Rang eins spült - bei Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl lediglich eine heisere Stimme und Schnappatmung.

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Ralph Hasenhüttl stand da also nach dem Spiel an der Seitenauslinie der BayArena vor den TV-Mikrofonen und redete sich immer mehr in Wallung. Erst ging es um Stefan Ilsankers fatalen Fehlpass vor Leverkusens zwischenzeitlichem 2:1, dann über einige andere Szenen im Spiel und dann irgendwann nur mehr um das große Ganze.

Schwer war es, der Rasanz seiner Ausführungen zu folgen. Hasenhüttl redete von Sekunde zu Sekunde schneller, wurde immer heiserer und bekam am Ende fast keine Luft mehr. Irgendwann schnappte er richtiggehend nach etwas Sauerstoff, fing verlegen an zu lachen und sagte: "Es war einfach nur geil!"

Aus Leipziger Sicht lässt sich dieses Auswärtsspiel in Leverkusen besser wohl nicht zusammenfassen: Einfach nur geil. Geil war das Spiel für die Bullen und geil ist die ganze Saison aus ihrer Sicht. Dieser 11. Spieltag, er ist aber gewissermaßen der vorübergehende Gipfel der Geilheit. Tabellenführer!

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Unwirtlicher Beginn

Begonnen hat es aus Leipziger Sicht an diesem nasskalten Novemberfreitag aber so, wie man sich einen nasskalten Novemberfreitag eigentlich vorstellt. Unwirtlich. Knapp 60 Sekunden waren absolviert und schon lagen die Bullen in Rückstand.

Ein Gefühl mussten sie erleben, das sie nur aus der Bronzezeit ihrer noch so jungen Bundesliga-Geschichte kannten. Am 28. August gegen 18.40 Uhr lagen sie schon einmal in Rückstand und am selben Tag dann auch gegen 19.10 Uhr. Die Hoffenheimer Lukas Rupp und Mark Uth brachten ihre TSG damals, am 1. Spieltag, zweimal in Führung. Beide Treffer konterte Leipzig beinahe postwendend.

Dieses 2:2-Remis zum Saisonauftakt in Hoffenheim, es war der Ausgangspunkt einer wilden Reise, die nun Station machte in Leverkusen. Kampl besorgte also das frühe 1:0 für Leverkusen und schon zwei Minuten später hieß es 1:1. Nicht nachdenken, sondern handeln - Leipzigs fußballerische Idee der Rastlosigkeit funktioniert nicht nur in den Beinen, sondern auch in den Köpfen der Spieler.

Streicheleinheiten in der Pause

Anders sah es nach dem zweiten Rückstand an diesem 18. November aus. Zu einem psychologisch ungünstigen Zeitpunkt brach er über die Bullen herein, würde der geübte Stammtischredner mit erhobenem Zeigefinger anmerken, und wirklich Unrecht hätte er damit nicht. Ganz knapp vor der Pause, erst in der Nachspielzeit, besorgte Julian Brandt das 2:1 für Leverkusen.

Die Bullen mussten erstmals in dieser Saison über einen Rückstand nachdenken, ob sie denn wollten oder nicht. Es gab keine Möglichkeit, den Fehler direkt wieder gutzumachen. 15 Minuten mussten sie in der Kabine sitzen, 15 Minuten mussten sie nachdenken und sich ärgern. Trainer Hasenhüttl, der sich nach dem Abpfiff so über die Entstehung dieses Treffers echauffierte, dass er gar in Atemnot geriet, hielt seinen Zorn zu diesem Zeitpunkt aber noch zurück.

Statt über den Fehlpass von Ilsanker, auf den die Leverkusener laut dem Trainer nur so gelauert hätten, zu schimpfen, gab es Streicheleinheiten für die geknickten Spieler. "Wir mussten die Jungs in der Pause aufrichten", sagte er nach dem Spiel. Das ganze Team hätte sich außerdem noch einmal eingeschworen.

Orbans Gewissenskonflikt

Was folgte waren 45 Minuten plus ein bisschen, die Hasenhüttel genauso platt wie treffend auf den Punkt brachte: "Wir waren immer von uns überzeugt und haben nie aufgesteckt." Erst hielt Bullen-Tormann Peter Gulacsi einen Elfmeter von Hakan Calhanoglu und verhinderte so das vorzeitige K.o. seiner Mannschaft. Dann drehten die zehn Bullen-Feldspieler tatsächlich noch das Spiel. Hasenhüttl lobte eine "sensationelle Mentalität".

Schlüsselspieler war bei diesem Unterfangen einmal mehr Emil Forsberg. Eroberte ein Leipziger, der zufälligerweise nicht den Namen Forsberg trägt, den Ball, suchte er im nächsten Moment ganz automatisch den Schweden. Forsberg war meist Scharnier zwischen Offensive und Defensive. In der 67. Minute war er aber nicht nur das Scharnier, sondern auch gleich die ganze Türe. In der eigenen Hälfte kam er an den Ball, führte ihn über den halben Platz und schoss ihn dann einfach zum Ausgleich in die Maschen.

Behilflich war ihm dabei natürlich auch Bernd Leno, dem ein böser Schnitzer unterlief. Wenigstens nach dem Spiel überzeugte Leno dann und zwar mit seiner Analyse. Bei seinem Team wären mit zunehmender Spieldauer einfach die Kräfte geschwunden, Leipzig hätte dadurch die Kontrolle übernehmen können. Statt sich mit einem Remis zu begnügen, gingen die Bullen auf Sieg.

Im Vorfeld des Treffers zum 3:2 eilte Orban wegen eines Eckballs mit nach vorne, wie man es als großgewachsener Innenverteidiger eben so macht. Die Flanke brachte aber nichts ein, stattdessen kam Kampl knapp vor dem Strafraum an den Ball und versuchte einen Leverkusener Konter zu starten.

Es folgte eine Sequenz, die bei Hasenhüttel wohl ebenfalls zu Schnappatmung geführt hat. Im positiven Sinne aber. Orban blieb trotz eines inneren Gewissenskonflikts ("Ich habe kurz überlegt, ob ich zurücklaufen soll") vorne, Diego Demme attackierte energisch. Aus einer potenziellen Leverkusener Konterchance wurde Leipziger Ballbesitz am gegnerischen Strafraum. Erstmal ein Pass zu Forsberg, klar. Dann dessen Flanke und Orbans Kopf. Tor, Tabellenführer.

Momentaufnahme

Siegtorschütze Orban animierte dieser Umstand nach dem Abpfiff zu einem Floskelgeschiebe, wie es sich für einen jungen Spieler nach Erfolgserlebnissen heutzutage einfach gehört. "Stolz" sei er natürlich, weil "wir das umgesetzt haben, was der Trainer von uns verlangte". Und zwar, in "jedem Spiel das Beste aus uns rauszuholen". Die Tabellenführung? "Eine Momentaufnahme!"

Nur eine Momentaufnahme ist die Tabellenführung. Mindestens bis Samstag 20.20 Uhr kann diese Momentaufnahme nun in Leipzig genossen werden, vielleicht sogar länger. Viel wichtiger als dieses vorübergehende Prädikat ist aber die Tatsache, dass Hasenhüttl und seine Spieler jetzt wissen: Es läuft für sie nicht nur, wenn es ohnehin läuft. Sondern auch, wenn nachgedacht und reagiert werden muss.

Leverkusen - Leipzig: Die Statistik zum Spiel

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