Noch zieht's keinem die Hose aus

Jürgen Kramny herzt Filip Kostic (r.), der das 2:0 für den VfB erzielte
© Getty

Der VfB Stuttgart feiert gegen Hertha BSC den fünften Sieg in Folge und steht erstmals seit 2013 wieder in der oberen Tabellenhälfte. Das liegt am Trainer, an dessen neuer Taktik - und auch an der neuen Mentalität, die Kramny dem Team eingepflanzt zu haben scheint.

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Als Jürgen Kramny nach dem 2:0 (0:0)-Erfolg gegen Hertha BSC bei Sky gefragte wurde, welchen Anteil seine Hose an Stuttgarts fünftem Sieg in Folge hätte, konnte sich der VfB-Trainer ein Grinsen nicht verkneifen. "Wir werden es irgendwann mal sehen, wenn es nicht mehr so läuft. Aber wenn es so weitergeht, wird sie Bestandteil des Ganzen bleiben", sagte Kramny mit einem Augenzwinkern.

Zuvor hatte sich seine Mannschaft verdient gegen den Tabellendritten aus Berlin durchgesetzt und damit auch das vierte Rückrundenspiel für sich entschieden. Die Schwaben haben sich somit zumindest vorerst den allergröbsten Abstiegsängsten entledigt. Mit nun 27 Zählern hat der VfB zwölf Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz. Letztmals hatte Stuttgart in der Saison 2009/10 nach 21 Spielen eine ähnliche Punktzahl auf dem Konto - damals waren es sogar 28 Punkte und der VfB erreichte als bestes Rückrundenteam am Saisonende noch einen Europa-League-Platz.

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Soweit mag man in Stuttgart derzeit aber noch nicht denken. "Bei aller Freude über diesen Sieg dürfen wir uns auch in den nächsten Wochen nicht ausruhen", sagte Kapitän Christan Genter nach dem Spiel.

Auch Daniel Schwaab blies ins selbe Horn: "Wir sind froh, dass wir nach der Winterpause so schnell so viele Punkte geholt haben. Wir wollen den Schwung sowie das Selbstvertrauen mitnehmen und unseren Lauf ausnutzen. In den nächsten Spielen gilt es, sich ein Polster auf die hinteren Tabellenplätze anzulegen. Wohin die Reise dann hingeht, werden wir sehen."

Mitte Dezember noch 18.

Vor noch gar nicht allzu langer Zeit sah es in Stuttgart noch ganz anders aus. Das hat man offensichtlich nicht vergessen, mag das Fußballgeschäft auch noch so schnelllebig sein. Unter Trainer Alexander Zorniger sah sich das Team akuten Abstiegssorgen ausgesetzt.

Am 16. Spieltag noch lag der VfB auf dem 18. Tabellenplatz, anschließend setzte der Umschwung ein. Zu diesem Zeitpunkt war Kramny zwar bereits seit drei Spielen im Amt, doch nur die erste Begegnung beim BVB (1:4) ging verloren. Gegen Mainz und Bremen holte der VfB jeweils ein Remis und startete mit dem 3:1-Erfolg über den VfL Wolfsburg am 19. Dezember seine bis jetzt anhaltende Siegesserie.

Zugriff nur in den entscheidenden Räumen

Kramnys Umbaumaßnahmen greifen, er stellte das zuvor von Zorniger praktizierte 4-2-3-1 auf ein 4-1-4-1- oder 4-1-2-2-1-System um. Zudem schenkte er Spielern wie Lukas Rupp oder Georg Niedermeier das Vertrauen und ließ seine Mannschaft nicht mehr so hoch, dafür aber effizient verteidigen. Hatten die gegnerischen Mannschaften unter Zornigers aggressivem und teilweise wilden Verteidigen eine Passquote von nur 69,4 Prozent, so können sie jetzt 79,9 Prozent ihrer Bälle an den Mann bringen.

Das liegt daran, dass der VfB später, aber gestaffelter angreift. Auch gegen die Hertha verteidigte der VfB clever, machte die Räume für das Berliner Aufbauspiel ab zehn Meter vor der Mittellinie extrem eng, indem Rupp und Gentner das Zentrum neben Die dicht machten. So ließ man die Gäste nicht ins Tempo kommen und ihr gewünschtes Spiel aufziehen.

Gefährlich wurde es für die Stuttgarter nur, wenn man sich einfache Ballverluste leistete und unsortiert war. Einmal geschehen in der 37. Minute, als die Hertha erstmals ihr schnelles Umschaltspiel durchziehen konnte, Vedad Ibisevic aber am glänzend reagierenden Przemyslaw Tyton scheiterte.

Eine Frage des Willens

Bis dahin aber waren die Schwaben das bessere, weil frischere Team. So absolvierte der VfB am Ende 75 Sprints mehr (262:187) als die Hertha. "Wir sind gut in die Partie gekommen. Nach den Anfangsminuten mussten wir aber auch aufpassen, dass die Berliner nicht schnell umschalten. Sie hatten durch Ibisevic dann vor dem Seitenwechsel eine Gelegenheit, die Tyton gut pariert. Nach dem Seitenwechsel haben wir den Druck erhöht und das Tor durch unsere Mentalität sowie unseren Willen erzwungen", zog Kramny das Fazit.

Sinnbildlich für diesen Willen stand am Samstag abermals Serey Die. Der Ivorer schmiss sich 86 Minuten mit allem, was er hatte, in die Zweikämpfe, hielt das VfB-Gerüst zusammen und trat in der 61. Minute zudem erstmals als Torschütze in Erscheinung. "Es ist vermutlich das erste Tor in seiner Karriere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemals schon ein Tor gemacht hat", witzelte Genter: "Es freut mich unheimlich. Er ist einer, der immer für die Mannschaft arbeitet. Jetzt wird er mal belohnt."

Nun ist so eine 1:0-Führung für den VfB ja noch keine Sicherheit für einen Sieg. Viel zu oft haben die Stuttgarter in der Vergangenheit eine knappe Führung in den Schlussminuten verspielt, man erinnere nur an das 3:4 gegen Bayer Leverkusen am 10. Spieltag. Doch auch diese Mentalität scheint sich unter Kramny geändert zu haben. Schon im ersten Durchgang agierten die Schwaben clever und warteten auf ihre Chancen.

Neue Mentalitätsmonster?

Im zweiten Durchgang kamen die Berliner zwar ab und an in Strafraumnähe, weil Pal Dardai sein Team offensiver einstellte, doch wirklich brenzlig wurde es nicht mehr. Tyton musste nicht einmal entscheidend eingreifen, weil Die und Niedermeier (80 Prozent gewonnene Zweikämpfe, 100 Prozent gewonnene Kopfballduelle) in der Abwehr alles abräumten.

Der starke Filip Kostic machte in der 84. Minute schließlich den Deckel auf die Partie und sorgte zudem dafür, dass der VfB nun seit fünf Spielen immer mindestens zwei Treffer erzielt hat.

Der Serbe ist ebenfalls zu einem entscheidenden Faktor unter Kramny geworden. Unter Zorniger hatte Kostic keine einzige Torbeteiligung, in den letzten acht Bundesligaspielen unter Kramny war er an sechs VfB-Treffern direkt beteiligt.

Das Ding mit der Hose

Der VfB Stuttgart funktioniert unter seinem neuen Coach, der mit 2,1 Punkten im Schnitt bis jetzt sogar der erfolgreichste VfB-Trainer der Bundesligageschichte ist und in acht Spielen jetzt schon sieben Punkte mehr holte als sein Vorgänger in 13 Partien. Doch abheben will in Stuttgart keiner, viel zu durchwachsen verliefen die letzten drei Jahre.

Dass es auch wieder Rückschläge geben wird, das weiß man in Cannstatt. "Wir haben in diesem Spiel das Glück erzwungen. Wenn wir so weiter spielen, werden wir auch weiter punkten. Wir dürfen den Sieg und unsere Situation aber nicht überbewerten. Es geht eng zu in der Tabelle und kann es schnell nach oben, aber genauso schnell wieder nach unten gehen", sagte etwa Timo Werner.

Der Vater des Erfolgs fasste die Geschehnisse der letzten Wochen zusammen: "Wir sind relativ bescheiden und fangen jetzt nicht an zu spinnen", sagte Kramny. Womit auch die Frage zu seiner Hose abermals beantwortet sein dürfte.

Stuttgart - Hertha: Daten zum Spiel

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