Mir hends gschafft!

Von SPOX
Der VfB Stuttgart rettete sich mit drei Siegen in Folge auf Platz 14
© getty

Der VfB Stuttgart hält am letzten Spieltag in einem Krimi gegen den SC Paderborn die Klasse. Die Ruhe im Umfeld hat sich ebenso ausgezahlt wie ein plötzlicher Kurswechsel von Huub Stevens. Die Offensive verspricht noch mehr.

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Mit glänzenden Augen und breitem Grinsen winkt Antonio Rüdiger durch die Mixed-Zone in der Benteler-Arena. Er ruft keinen Kumpel aus der Kabine zu sich, er will nicht mit einem Mitspieler feiern. Rüdiger winkt Huub Stevens zu sich und nimmt den Trainer mit ausgestrecktem Arm vor laufender Kamera in Empfang. "Trainer, hey Trainer. Kommen sie bitte."

Der Niederländer schaut kurz verwirrt, dann muss er grinsen, als sein Abwehrchef formuliert: "Erst einen großen Dank an diesen Mann. Ich denke, ohne seine Hilfe hätten wir das nie geschafft." Rüdiger spricht das aus, was zur allgemeinen Meinung in Stuttgart geworden ist. Stevens hat den Verein vor dem Gang in die zweite Liga bewahrt.

Knurrer auf dem Zahnfleisch

Dank ihm heißt es auch im nächsten Jahr wieder Allianz Arena, Signal Iduna Park und Veltins Arena. Dank ihm kann der VfB für das Oberhaus planen. Man ist ihm ehrlich dankbar, dem Knurrer, der in den letzten Wochen selbst auf dem Zahnfleisch ging. Spätestens als er seine Spieler im Training als Affen bezeichnete, sollte jedem klar geworden sein, wie nah er den Abstiegskampf an sich heran ließ.

Neun Punkte aus drei Siegen hievten den VfB noch an das rettende Ufer. Neun Punkte kosteten Schlaf, Zeit mit der Familie und vor allem eines: Nerven. Nicht nur Stevens, sondern jeden Spieler, jeden Funktionär, jedes Mitglied des Trainerteams und jeden Fan. Am Ende hat es sich gelohnt. "Mir hends gschafft".

4:0-Pleite als Wendepunkt?

Zu 98 Prozent, so die Statistiker, war Stuttgart Anfang Mai abgestiegen. Zu 100 Prozent, so die selbsternannten Experten, war Stuttgart Mitte März abgestiegen. Neun Spiele ohne Sieg waren es zu diesem Zeitpunkt. Nach der 4:0-Pleite gegen Leverkusen stand die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz. "Wir müssen dieses Ergebnis akzeptieren", stellte Stevens trocken fest. Der VfB war am Tiefpunkt angelangt.

Spielerisch aber, so der Coach, habe er Fortschritte gesehen. "Einen der besten Auftritte", attestierte er dem Team bis zur 30. Minute. Reichlich wenig, um sich im eisenharten Abstiegskampf zu retten, während doch die direkte Konkurrenz immer wieder betonte, sich über den Kampf aus dem Keller befreien zu wollen.

Stevens bricht mit sich selbst

Viel zu wenig war das, was die Mannschaft Tag für Tag anbot, für die Kritiker. Der VfB stand schon als erster Absteiger fest, Stevens kurz vor der Entlassung. Die defensive Spielweise würde nicht einmal für den sprichwörtlichen Blumentopf genügen. Die Gerüchte um Alex Zorniger als neuen Trainer wurden laut.

Der Moment war gekommen für Stevens, um mit sich selbst zu brechen. Er löste den Abwehrriegel auf. Was gegen Hannover und Leverkusen seine Anfänge zeigte, resultierte in einem 3:1-Sieg über Frankfurt, zwei Wochen später in einem 3:2 gegen Werder Bremen. Reanimation geglückt, der Trainer hatte es verstanden, neue Reize zu setzen und einen Trennstrich zu ziehen.

Dutt beweist Mut

Es erfordert Mut, einen solchen Schritt als Tabellenletzter zu wagen. Nicht nur auf Trainerseite, sondern auch auf Ebene des Managements. Robin Dutt, bei seinem Amtsantritt belächelt und verhöhnt, bewies den Mut, der manch anderem im Abstiegskampf schnell verloren geht. Er stand Stevens zur Seite und ließ sich selbst von Aufsichtsratmitglied Hansi Müller, der eine Zorniger-Verpflichtung vermeldete, nicht aus der Ruhe bringen.

Er wankte auch nicht, als erneut drei Spiele ohne Sieg verstrichen. Abstieg oder nicht - auf jeden Fall mit Stevens und das mit einer Unbeirrtheit, die ihresgleichen suchte. 2:0 über Mainz, 2:1 im ersten Finalspiel gegen den HSV. Stevens und seine Mannschaft zahlten zurück. "Wir haben es nur geschafft, weil wir alle zusammengehalten haben. Der Verein und die Fans", so der Niederländer.

Ein sinnbildliches Finalspiel

"Wir haben noch ein wichtiges Spiel zu gehen", mahnte der Coach zu diesem Zeitpunkt. Die Ausgangssituation war verbessert, aber bei weitem nicht perfekt. Es folgte eine Partie, wie sie nicht symbolischer hätte stehen können für die zweite Saisonhälfte des VfB. Zittrige Knie, ein früher Rückstand.

Die Panik schickte sich an zurückzukehren. Hektische, unsichere Blicke. Bis der Gegner nachhalf. Uwe Hünemeier, an der Führung noch entscheidend beteiligt gewesen, grätschte den Ball zu Daniel Didavi - Ausgleich. Die Offensive begann, ihre Klasse auszuspielen, während die Defensive sich zumindest stabilisierte. Die Chancenverwertung trieb Fans an den Rand des Wahnsinns, die gelegentlichen Blackouts in der Hintermannschaft ebenso. Der VfB 2014/15.

Die Arbeit beginnt erst

Es hat letztlich gereicht. Der VfB spielt auch im nächsten Jahr erstklassig. Der Klassenerhalt ist eine große Chance für den Klub, den Sommer bestmöglich zu nutzen. Verstärkungen müssen her, links und rechts in der Außenverteidigung, in der Innenverteidigung und vielleicht auch im Sturmzentrum.

Die Trainerfrage gilt es zu klären, Gespräche sollen erst mit dem feststehendem Klassenerhalt geführt werden. Ob es Huub bleibt oder Zorniger kommt, der VfB hat viel Arbeit vor sich. Den gleichen Horrortrip wie in dieser Saison will niemand mehr erleben, die Nerven für eine weitere Achterbahnfahrt sind aufgebraucht.

"Ruhe und Geschlossenheit fehlt"

Auch in der Führungsebene könnte es zu Bewegung kommen. Cacau warnte vor kurzem in der Stuttgarter Zeitung: "Einiges läuft schief. Sonst gäbe es bei einem Verein wie dem VfB nicht fast schon seit Jahren Abstiegskampf pur. Deshalb muss man sich dringend Gedanken machen, was man verändern muss, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen."

Er schlug in die Kerbe, die Fredi Bobic bereits ausgewetzt hatte: "Das Problem ist, dass der Aufsichtsrat die Politik des Vereins bestimmt. Obwohl er eigentlich nur die Rolle als Kontrollorgan hat. Die Herren werden es sicher verneinen, aber Tatsache ist, dass Politik gemacht wird. Und zwar im großen Stil. Um erfolgreich sein zu können, braucht es dagegen Ruhe und Geschlossenheit - die fehlt."

Geld, Tradition, Zukunft

Ein Trennstrich muss gezogen werden. Auf einer Höhe, die den eigentlichen Ansprüchen des VfB gerecht wird. Wer nicht so hoch greifen kann oder will, sollte nicht weiter Teil des Projekts sein. Denn wenn das Team in den letzten drei Spielen etwas unter Beweis gestellt hat, dann, dass das Potenzial deutlich größer ist, als Platz 14 verspricht.

"Geld schießt eben doch Tore", hatte SCP-Coach Andre Breitenreiter trocken festgestellt. Geld oder Tradition alleine hält aber nicht die Klasse, sondern detaillierte und konstante Arbeit. Die kann der VfB jetzt einfädeln, beibehalten und gestärkt in ein neues Jahr gehen. Mit wem, wird sich zeigen. Die notwendigste Basis ist aber gelegt.

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