Die Leiden des Anti-Mkhitaryan

Zeigte gegen Wolfsburg sein bis dato bestes Spiel im Dress des BVB: Ciro Immobile
© Getty

Beim 2:2 gegen den VfL Wolfsburg liefert Neuzugang Ciro Immobile in seinem 19. Pflichtspiel für Borussia Dortmund die bislang beste Partie ab. Die Mannschaft und ihr Stürmer sind zwar noch weit vom Ideal entfernt, nähern sich aber zart an. An Adrian Ramos ist Immobile vorbeigezogen.

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Reaktionen:

Jürgen Klopp (Trainer BVB): "So wie Ciro Immobile habe ich hier seit ewigen Zeiten keinen Stürmer spielen sehen. Er hat seine absolute Qualität im Strafraum, und die hat er heute unter Beweis gestellt. Er hat ein Tor schön vorbereitet, eines stark erzielt, und er hatte zwei weitere gute Szenen, in denen Benaglio bei der einen eher angeschossen wurde, bei der anderen parieren musste. Hoffen wir einfach, dass er sich heute nicht komplett verausgabt hat und noch ein bisschen was im Köcher hat."

Ciro Immobile (Stürmer BVB): "Wenn wir mit dem Messer zwischen den Zähnen spielen, dann können wir jedem Gegner weh tun."

Nachbetrachtung:

Dass Borussia Dortmund die Weihnachtsferien über im Abstiegskampf stecken wird, hat sich in den letzten Wochen immer weiter angedeutet. Auch das 2:2 gegen den VfL Wolfsburg bringt den BVB tabellarisch kaum weiter.

Nach dem Armutszeugnis in Berlin stimmte vor heimischem Publikum immerhin wieder die kämpferische Leistung, dazu arbeitete die Borussia gegen einen selbstbewussten und spielstarken Gegner defensiv ordentlich dagegen. Doch man kommt auch nicht umher, festzustellen: Dortmund ist mittlerweile um Klassen schwächer als noch in der Vorsaison.

Trainer Jürgen Klopp freute sich nach dem letzten Heimspiel des Jahres zwar, dass seine Mannschaft eine Art Lebenszeichen von sich gegeben hat. Der BVB wankt in immer veränderter Formation auf der Suche nach Stabiliät jedoch durch die Liga, dass es einem graust, wenn man gedanklich die Blaupause des Dortmunder Spiels vor ein, zwei Jahren darüber legen würde.

Starke Zweikampfquote

Die aus Dortmunder Sicht beste Nachricht der Gegenwart war an diesem Abend: Ciro Immobile hat gegen die Niedersachsen sein bislang stärkstes Spiel im BVB-Dress abgeliefert. Der Neuzugang gab sechs Torschüsse ab, setzte sich in 61 Prozent seiner Zweikämpfe durch, schoss ein Tor selbst und bereitete das andere vor.

Dass der 20-Millionen-Euro-Mann dazu einen Anlauf von 18 Pflichtspielen benötigte, lässt die Kritik, die sich der Italiener sowie die Vereinsverantwortlichen für den Transfer in den letzten Wochen anhören mussten, sicherlich nicht abrupt verstummen. Doch es sind Episoden wie diese, die für einen Klub im Tabellenkeller ein paar Fünkchen Hoffnung auf Besserung versprühen.

Man hat dem Stürmertypen Immobile bereits viele Charakterisierungen verpasst. Ein Angreifer alter Schule sei er, der zu häufig mit dem Kopf durch die Wand wolle und zu selten an der Ballzirkulation seiner Mannschaft teilnehme.

Verbissen und emotional

Dies ist für den Großteil seiner Darbietungen bestimmt nicht verkehrt. Doch von Spiel zu Spiel merkt man, wie sich die Mannschaft und ihr neuer Stürmer näher kommen - wenn auch die Schritte aufeinander zu winzig sind.

Lange Schläge in Richtung Robert Lewandowski, der die Bälle festmachen kann und seine Mitspieler aufrücken lässt, das ging jahrelang prächtig - aber mit diesem verinnerlichten Mittel versuchte es der BVB zu häufig, wenn Immobile auf dem Feld stand.

Dann wirkt Immobile mit seiner Emotionalität auf negative Weise verbissen. Dieses Bild hat sich jetzt hauchzart verändert. Die Zuspiele auf Immobile ermöglichen ihm nun häufiger, sich am Umschaltspiel zu beteiligen und dennoch seine unbestrittenen Stärken im Strafraum auszuspielen.

Immobile als Anti-Mkhitaryan

Doch dem 24-Jährigen gelang es zusammen mit seinem neuen Team viel zu selten, daraus Kapital zu schlagen. "Die Stürmer sind nicht das Problem und sie waren es auch nicht. Sondern wir haben insgesamt dafür gesorgt, dass es so aussieht wie es aussieht", sagte Klopp noch vor der Partie.

Immobiles Bewegungsablauf kommt im heutigen Fußball sicherlich unkonventionell daher. Er geht weite Wege, sucht dabei aber immer den direkten Weg zum Tor und den Abschluss und tut dies auch in scheinbar aussichtslosen Situationen.

In dieser Disziplin ist er so etwas wie der Anti-Mkhitaryan: Immobile macht sich keinen Kopf um vergebene Chancen oder gescheiterte Dribblings, seine "Torgeilheit" (Klopp) zwingt ihn förmlich dazu, es immer weiter zu versuchen.

Was es braucht, ist eine sinnvolle Balance zwischen seinen Instinkten und der Spielweise des neuen Arbeitgebers zu finden.

Teaminterne Verschiebungen

In einem Interview mit der "FAZ" erzählte Klopp von einer Episode aus dem Sommer-Trainingslager, die zeigt, welche Probleme Immobile beseitigen muss: "Als ich Ciro nach zwei, drei Wochen gefragt habe, was er glaube, wo er sich am meisten verbessern müsse, hat er geantwortet: Ich muss die Chancen besser nutzen. Ich habe ihm gesagt, das kann man grundsätzlich immer tun, aber das ist nicht dein Thema. Du musst dich zum Spiel öffnen, du musst einfach wissen, was um dich herum los ist."

Immobiles Integration in das Umschaltspiel der Dortmunder dürfte auch nach der guten Leistung gegen Wolfsburg noch andauern. Gegen Wolfsburg hat er aber den bislang größten Satz nach vorne gemacht.

Damit verbunden sind teaminterne Verschiebungen: In vier der letzten sechs Pflichtspiele stand Immobile in der Startelf - und nicht Adrian Ramos. Der Kolumbianer schaffte es gegen die Wölfe nicht einmal in den Kader, die Gründe dafür blieben allerdings unausgesprochen. Immobile scheint ihm gegenüber nun aber die Nase deutlich vorne zu haben.

Kein Sieg mit Immobile in der Startelf

Der zentrale Fakt bleibt allerdings: Sowohl mit Ramos als auch mit Immobile bekommt Dortmund in dieser Saison keine offensive Durchschlagskraft zustande. Innerhalb kurzer Zeit kamen zuletzt einige Gerüchte auf, wonach der BVB über Zukäufe in der Winter-Transferperiode nachdenken würde. Die Verantwortlichen wiegeln aber ab.

Die Lage ist weiterhin ernst, der Borussia fehlen Tore und Punkte. Am Samstag reist Dortmund als auswärtsschwächstes Team der Liga zum Tabellenletzten nach Bremen. Wie schon gegen Wolfsburg ist dort nun erst recht ein Sieg Pflicht, auch wenn der BVB auf einen vollkommen anders sortierten Gegner treffen wird.

Immobile muss dort beweisen, dass er mit einem Aufwärtstrend in die Winterpause gehen möchte. Noch mehr als die Lernwilligkeit merkt man ihm an, wie er geradezu nach der Anerkennung lechzt, die er nach Partien wie am Mittwochabend bekommt.

Das Selbstvertrauen könnte den bisherigen Höchststand in seiner Zeit beim BVB erreicht haben. Aber: Dortmund hat noch kein Spiel mit dem Italiener in der Startelf gewonnen.

Dortmund - Wolfsburg: Daten zum Spiel