BVB: Das wirkliche zweite Gesicht

Borussia Dortmund kassierte bereits die siebte Niederlage - so viele wie in der kompletten Vorsaison
© getty

Borussia Dortmund zeigte bei der 1:2-Niederlage im Spitzenspiel gegen den FC Bayern München 45 Minuten lang eine starke Leistung. Die nahm dann deutlich ab - weil der BVB weiterhin zu inkonstant ist und ihn die Psyche behindert.

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Um Dortmunds Niederlage im Spitzenspiel beim FC Bayern zu erklären, muss man die Worte von Sebastian Kehl interpretieren.

"Das Spiel heute ist nicht so zu bewerten wie die anderen", fing er seine Ausführungen an und meinte mit "die anderen" die sechs letzten Bundesligaspiele der Borussia.

Und: "Der Plan war, in der zweiten Halbzeit so weiter zu spielen wie in der ersten."

Vorhaben geht in die Hose

Der mit vier Niederlagen in Serie im Gepäck zum Tabellenführer gereiste BVB hatte in München aus einer taktischen Grundhaltung heraus agieren müssen, die bei den Pleiten zuletzt nicht angewendet wurde. Zwischen Bayern und Dortmund entwickelte sich ein typisches Bayern-gegen-Dortmund-Spiel.

Die Westfalen spielten wie schon beim 3:0-Sieg vor einem guten halben Jahr: Hoch verteidigend und tief attackierend in der gegnerischen Hälfte. Die Bayern fanden nicht zu ihrem Spiel und hatten keine Kontrolle über das Geschehen. Dortmunds Führung deutete sich an und ging in Ordnung - nach einer in der aktuellen Situation relativ stabilen ersten Halbzeit.

Nach dem Seitenwechsel sah es zunächst so aus, als wollte der BVB tatsächlich aus einer etwas tieferen Ordnung heraus angreifen. So gesehen ging das von Kehl angesprochene Vorhaben ziemlich schnell in die Hose. Die defensiveren Dortmunder konnten die Chancen, die der Rekordmeister bereits in den ersten 45 Minuten hatte, quasi vom Fleck weg nicht weiter eindämmen.

Dortmunds Rätsel: Die Inkonstanz

Dortmund verlor vielmehr die Kompaktheit und musste auf viele lange Bälle zurückgreifen. Aus eigenem Ballbesitz heraus wurde man so fast nicht mehr gefährlich und hatte viele zweite Bälle zu verteidigen. Bayern gewann am Ende verdient.

Es ist das wirkliche zweite Gesicht der Borussia, das sie am Samstagabend in München zwischen 19.30 Uhr und 20.15 Uhr zeigte. Nicht die Diskrepanz zwischen den Punkteständen in Champions League und Bundesliga gibt Dortmund Rätsel auf, sondern die Inkonstanz, die eigene Spielidee vollumfänglich auf den Platz zu bringen.

Bis auf die Partie gegen den FC Arsenal und das Duell gegen ein höchst einfältiges Galatasaray schaffte es der BVB in dieser Saison noch nicht, eine in vielen Komponenten konstante Leistung über 90 Minuten abzurufen. Nach dem Auftakt in die Duelle, die jetzt die eklatante Pleitenserie ausmachen, steht einer kollektiven Steigerung nun auch zusehends eine angeknackste Psyche im Weg.

Die OPTA-Heatmap zeigt den unterschiedlichen BVB-Aktionsradius in beiden Hälften

Psychisch nicht mehr befreit genug

Dinge gut oder besser zu machen heiße nicht, sie auch gut genug zu machen, sagte Trainer Jürgen Klopp kürzlich. Phasenweise sind in der Tat Verbesserungen vor allem in der Defensivbewegung auszumachen. Damit will Klopp arbeiten und versuchen, künftig weiter "draufzupacken". Doch derzeit können diese Phasen nicht auf die vollen 90 Minuten ausgedehnt werden. Das Bittere: Sie reichen noch nicht einmal für Punktgewinne aus.

Natürlich resultierte der BVB der zweiten Hälfte auch aus der zunehmenden Dominanz und Qualität des Gegners. Doch er ist genauso Ergebnis der fatalen letzten Wochen, Mut und das Vertrauen in die eigene Stärke haben abgenommen. Die Marschroute gegen die Bayern wurde auf einmal verlassen, erklärte Klopp. Warum dies so war, darüber soll noch gesprochen werden.

Man merkt den Dortmundern ihre Nachdenklichkeit und die Zerbrechlichkeit der Situation an. Zwar mehr im Dialog neben als auf dem Spielfeld, doch nach der schwierigen personellen Ausgangslage zu Saisonbeginn, den Formschwankungen Einzelner und den immer mehr werdenden sieglosen Begegnungen tritt der Großteil des Kaders mittlerweile nicht mehr befreit genug auf, um während des unerbitterlichen Drei-Tages-Rhythmus' die "vielen Baustellen" (Klopp) zuschütten zu können.

"Beschissene und verrückte Situation"

Dass der Kopf schwerer geworden ist, zeigten schon die vier letzten Partien. Und die sind alle unterschiedlich verlaufen. In München reichten die besten ersten 45 Minuten der Saison zu nichts, gegen Hannover reagierte der BVB kopflos auf den plötzlichen Rückstand, in Köln brannte es in der Defensive, gegen den HSV mangelte es an offensiver Kreativität. Dortmunds zweites Gesicht ist weniger das der Auftritte in der Königsklasse, als eher das Kopfkino, das mittlerweile angesprungen ist und Stabilität sowie Konstanz erschwert.

Ein "schlechtes Gefühl" (Neven Subotic), "beschissene und verrückte Situation" (Klopp), "verarbeiten und klaren Kopf bewahren" (Lukasz Piszczek), " eine Tabellensituation, die uns sicherlich nachdenklich macht" (Kehl) - nach solchen Aussagen fuhren die Schwarzgelben Richtung Heimat.

Die Dortmunder werden nicht müde zu betonen, weiter dranbleiben und sich baldmöglichst belohnen zu wollen. Viel mehr bleibt ihnen auch nicht übrig, die Lage wird aber natürlich immer prekärer. Mit Gladbach, Hoffenheim und Wolfsburg warten noch echte Kaliber, auswärts muss man in Paderborn, Frankfurt, Berlin und Bremen ran.

Erfolgserlebnis in der Bundesliga muss her

Die doppelte Anzahl der aktuell sieben Punkte sollte es aus diesen Spielen schon sein, wenn man nicht bis ins neue Jahr hinein im Abstiegssumpf hängen bleiben möchte. Ansonsten stünden das Trainerteam wie der gesamte Verein vor der Aufgabe, Mannschaft und Umfeld auf eine Rückrunde unter vollkommen ungeplanten Voraussetzungen vorbereiten zu müssen.

Es hat momentan den Anschein, dass nur ein Erfolgserlebnis in der Bundesliga Dortmunds Stagnation und die Blockaden der Spieler auflösen könnte. Die Art und Weise wäre wohl gänzlich egal, es sollte nur einfach mal wieder funktionieren.

Das könnte es bereits am Dienstag. Dann geht man als Tabellenführer und Favorit in den 4. Champions-League-Spieltag gegen Galatasaray. Für die Bundesliga gibt es da keine Punkte - dafür aber die Chance, Selbstvertrauen und Glauben zu tanken.

Das würde für den Moment auch in kleinen Dosen gegen das wirkliche zweite Gesicht helfen. Auch wenn das Mantra unbeirrbar dasselbe bleibt: Borussia Dortmund muss das nächste Bundesligaspiel dringend gewinnen.

Bayern - Dortmund: Die Statistik zum Spiel

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