Es ist Vorsicht geboten!

Von Stefan Rommel
Trainer Thorsten Fink (r.) und der Hamburger SV stehen vor einer schwierigen Saison
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Der Hamburger SV.

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Die letzte Saison wurde beinahe zum Desaster, am Ende rettete sich der HSV noch auf Rang 15. Jetzt will der Klub vom ersten Spieltag an erst gar nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben. Dafür wurde ein sanfter Umbruch im Kader bewerkstelligt.

Das ist neu

Auf dem Papier hat der HSV zwei knallige Zugänge zu verzeichnen. Ex-Nationalkeeper Rene Adler (von Bayer Leverkusen) und Artjoms Rudnevs (von Lech Posen) sollen die Qualität des Kaders merklich stärken.

Adler hat in der Vorbereitung schon gezeigt, dass er nach langwierigen Verletzungspausen wieder auf dem Weg zu alter Stärke ist und ein Gewinn für den HSV werden kann - obwohl die Position des Torhüters nach Jaroslav Drobnys gelungener Rückrunde eigentlich nicht die dringlichste Baustelle dargestellt hat.

Rudnevs, mit 22 Toren zuletzt Schützenkönig der polnischen Liga und immerhin rund 3,5 Millionen Euro teuer, soll vorne drin Paulo Guerrero ersetzen, der für fünf Millionen nach Brasilien abgewandert ist. Der Lette hatte in der Vorbereitungsphase aber noch einige Probleme, sich anzupassen.

Dazu kommen Rückkehrer Maxi Beister (von Fortuna Düsseldorf) und Milan Badelj von Dinamo Zagreb. Der wird allerdings erst ab frühestens Ende August zum HSV stoßen. Davor darf er noch mit dem abgebenden Verein die Qualifikation zur Champions League spielen.

Im Hintergrund hat sich Sportdirektor Frank Arnesen von seiner viel gerügten Strategie losgesagt, er sehe sich nur bei seinem Ex-Klub Chelsea nach Spielern um. Waren es damals fünf Akteure, die er von einem Verein loseiste, hat sich Arnesen diesmal breiter gefächert positioniert. Unter anderem holt Arnesen den umworbenen Hakan Calhanoglu an die Elbe.

Arnesen hat das letzte Jahr viel lernen dürfen und müssen, sein Portfolio aufgebessert und wichtige Kontakte geknüpft. Allerdings muss Arnesen auch weiter für die finanziellen Verfehlungen der Vergangenheit büßen.

Nicht eben reibungslos war das Verhältnis zu Trainer Thorsten Fink, besonders in Transferangelegenheiten. Arnesen, der den weitsichtigen Blick für den Verein haben muss, wollte den Umbruch radikaler als Fink, der nicht jeden Abgang so unterschrieben hätte.

Die finanzielle Lage des Klubs macht die Arbeit für beide aber schwer. Der HSV ist deutschlandweit wohl der Klub mit dem größten schlummernden Potenzial. Das wird vorerst auch so bleiben.

Die Taktik

Fink hat ein 4-2-3-1 installiert. Das grundsätzliche Vorgehen mit den beiden hochstehenden Außenverteidigern bei eigenem Ballbesitz soll bestehen bleiben, einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler holt den Ball tief in der eigenen Hälfte ab und gestaltet den Spielaufbau. Unter anderem deshalb auch Finks vehemente Forderung nach einem spielstarken Sechser, den er mit Badelj bekommen haben dürfte.

"Wir wollen die Zuschauer begeistern, wollen schneller und weniger zurückspielen", gibt Fink das Ziel aus. In der Theorie hört sich das vielversprechend an. Die Umsetzung in die Praxis bereitet aber immer noch einige Probleme.

Bei Ballverlust ist das Gros der Mannschaft weit aufgerückt, der Gegner wird förmlich zu Kontersituationen in Gleich- oder Überzahl eingeladen. Rudnevs ist nach einer mäßigen Vorbereitung im Ranking hinter Marcus Berg gefallen, der vorne die einzige Spitze geben soll.

Mit Beister (rechts) und Jansen (links) soll das Flügelspiel schneller werden - wenn schon in der Kreativoffensive im Mittelfeld ein Loch klafft. Tolgay Arslan soll da Abhilfe schaffen. Mehr als ein paar Tore in Testspielen hat der Youngster aber bisher nicht vorzuweisen.

Neben den harten Fakten setzt Fink besonders darauf, dass seine Mannschaft wieder bei Null anfangen darf. "Wir arbeiten jetzt länger zusammen, können Dinge einstudieren", sagt Fink und hofft: "Ohne den Druck des Abstiegskampfs können wir wieder befreiter aufspielen."

Das setzt allerdings einen mehr oder weniger gelungenen Start voraus. Eine ähnliche Anfangsphase wie in der abgelaufenen Saison würde Finks Gedanken schnell ad absurdum führen.

Der Spieler im Fokus

Rene Adler hat sich eine Luftveränderung verschrieben. In Leverkusen war früh klar, dass es für ihn an Bernd Leno kein Vorbeikommen mehr geben würde. Also kam der Kontakt mit dem HSV schon sehr früh zustande, der Wechsel wurde bereits im Frühjahr realisiert.

"Ich bin geil darauf, ein Teil des HSV zu sein", sagt Adler. Er gilt als Hoffnungsträger einer neu formierten und strukturierten Mannschaft, der Führungspersönlichkeiten wie David Jarolim oder überdurchschnittliche Spieler wie Mladen Petric, Paulo Guerrero oder Gökhan Töre abgehen.

Adler sieht den HSV als Chance für einen Neustart und man darf es ihm abnehmen, dass er seinem neuen Klub nicht nur aus Pflichtbewusstsein ein "enormes Potenzial" bescheinigt. Dem 27-Jährigen ist aber auch bewusst, dass es keine einfache Saison werden könnte. Also nutzt er seine natürliche Autorität schon in den ersten Spielen und geht neben Kapitän Heiko Westermann lautstark voran.

Für Adler, der innerhalb von zwei Jahren komplett aus dem Fokus der Nationalmannschaft verschwunden ist, ist der HSV gleichzeitig auch eine neue und vielleicht letzte Chance, noch einmal ins jugendhafte Treiben in der Torhüterfrage einzugreifen.

Das Interview

SPOX: Sie sprechen wie ein Leader. Genau die Rolle, für die Thorsten Fink Sie vorgesehen hat. Wie sehr freuen Sie sich über die positiven Aussagen des Trainers?

Michael Mancienne: Es gab positive Aussagen? Das wusste ich gar nicht. Ich bin noch dabei, Deutsch zu lernen, und verstehe daher keine deutschen Berichte. Ich sollte wohl noch schneller lernen, um die Artikel lesen zu können. Ich weiß natürlich, dass mich der Trainer schätzt und mir eine wichtige Rolle zutraut. Das gibt mir sehr viel Selbstvertrauen. Ich werde mich für den Coach zerreißen!

SPOX: Zweitligist Wolverhampton, trainiert von Stale Solbakken und mit Ambitionen auf die Premier League, soll fünf Millionen Euro für Sie geboten haben. War das verlockend?

Mancienne: Ich liebe den HSV, die Fans, die gesamte Stadt. Jeder ist gut zu mir. Daher fühle ich mich Hamburg moralisch verpflichtet. Ich wäre sogar in die Zweite Liga mitgegangen, wenn wir letztes Jahr abgestiegen wären. Warum sollte ich also wechseln?

Hier geht's zum kompletten Interview mit Michael Mancienne!

Die Prognose

Es gab Sommerpausen, da hat der Hamburger SV einen Gegner nach dem anderen vom Platz gefegt - und dann zum Start der Pflichtspielsaison doch nur mittelmäßige Leistungen abgerufen. Die Fallhöhe ist diesmal garantiert nicht gegeben. Zwei sportlich unbedeutenden Turniersiegen stehen einige Testspiele mit fragwürdigen Vorstellungen gegenüber.

Besonders auffällig dabei, dass das Offensivspiel enorm stockt. Tomas Rincons Verletzung zwingt Fink, seinen Kapitän Westermann ins defensive Mittelfeld zu ziehen. Wahrlich keine optimale Lösung. Einige Spieler und auch Trainer Fink haben sich über die negative Stimmung im Umfeld und in den Medien beschwert. Vielleicht auch zu Recht - allerdings hat die Mannschaft bisher auch keinen Anlass dazu gegeben, übermäßig optimistisch zu sein.

Dem Team fehlen trotz Adler und Westermann Spieler, die vorangehen. Marcell Jansen kann so einer sein, muss das in dieser Saison aber auch zeigen. Mit unkonventionellen Maßnahmen (Trainingscamp in der Wildnis) will Fink die Kommunikation und das Wir-Gefühl innerhalb der Mannschaft stärken. Der Grat zwischen nützlicher Methode und Hokuspokus ist da durchaus schmal.

Immerhin haben die Störfeuer von außen, besonders durch Investor Klaus-Michael Kühne, verflüchtigt. Trotzdem bleiben Zweifel, ob der Hamburger SV schnell die Kurve bekommen und die Saison ruhiger absolvieren kann.

Viele Dinge sind ungewiss: Funktioniert das Offensivspiel? Kann sich die Defensive stabilisieren? Werden die Abgänge kompensiert? Finden Fink und Arnesen öfter eine Wellenlänge? Ein Großteil der Fans hat den Ernst der Lage offenbar erkannt und ihre früher traditionell hohen Ansprüche nach unten geschraubt.

Dem HSV steht eine schwierige Saison bevor. Läuft alles gut, ist ein Platz im gesicherten Mittelfeld drin. Von mehr sollten nicht einmal kühne Optimisten träumen. Kommt aber wieder einiges zusammen, so wie in der letzten Saison, kann es ganz schnell wieder Richtung Abstiegskampf gehen. Es sollte große Vorsicht geboten sein.

Der Hamburger Kader

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