Sorgenfalten trotz Zwölf-Millionen-Mann

Von Fatih Demireli
Borussia Mönchengladbach belegte in der vergangenen Saison Platz 4
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Borussia Mönchengladbach.

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Vom sicheren Abstiegskandidaten zum Champions-League-Qualifikanten: Die Entwicklung, die Borussia Mönchengladbach innerhalb eines Jahres machte, ist bemerkenswert. Dabei sammelte Lucien Favres Truppe in der Vorsaison nicht nur eifrig Punkte und kämpfte zwischenzeitlich auf Augenhöhe mit Borussia Dortmund und Bayern München um die Tabellenspitze. Nein, sie spielte auch über weite Strecken sehr ansehnlichen Fußball.

Auch die früh angekündigten Weggänge von Marco Reus und Roman Neustädter taten der Euphorie nur kurz einen Abbruch. Dass man mit hohen Erwartungen in die Saison geht, ist vor allem ein Verdienst von Max Eberl.

Doch der Saisonstart verlief ernüchternd. Zwar wurde der Pokalauftakt in Aachen gewonnen, allerdings setzte es mit dem 1:3 im Hinspiel der Champions-League-Quali gegen Dynamo Kiew einen herben Dämpfer, der die Chance auf eine Teilnahme an der Gruppenphase auf ein Minimum sinken ließ.

Video: Die Reaktionen nach der Niederlage gegen Kiew

Das ist neu

Dass die Taktik Borussia Mönchengladbachs auf Marco Reus ausgerichtet war, mag so nicht ganz stimmen. Dafür lebt der Favre-Fußball viel zu sehr vom Kollektiv, als dass man von einer One-Man-Show reden kann.

Aber 18 Tore und 11 Assists in 32 Bundesliga-Spielen sprechen eine so deutliche Sprache, dass jedem in und um Mönchengladbach klar ist, was der Abgang des aktuellen "Fußballer des Jahres" bedeutet. Lucien Favre drückt es drastisch aus, wenn er sagt, dass "Gladbach sein Rückgrat" verloren hat.

Gemeint sind neben Reus auch Roman Neustädter und Dante, die nach Gelsenkirchen bzw. nach München abwanderten. Alleine schon diese drei Abgänge reichen, um ein neues Gladbach kreieren zu müssen. Quasi ohne eklatante Verstärkungen formte Favre nach der Horrorsaison 2011/12 eine Mannschaft, die eine Saison später unaufhaltsam die Spitzenplätze in Angriff nahm.

Favre hat jetzt die Aufgabe, neue Spieler in sein funktionierendes System zu installieren und Gladbach wieder zu einer funktionierenden Einheit zu formen. Aber Favre bermst die hohen Erwartungen, die nach den Transfers von Granit Xhaka (FC Basel), Alvaro Dominguez (Atletico Madrid) oder Luuk de Jong (FC Twente) aufkamen.

"Die Bundesliga ist nicht zu vergleichen mit der Schweiz oder Holland. Man wird sehen, wie die Spieler mit dem Tempo hier zurecht kommen", sagt Favre. Dominguez für Dante, Xhaka für Neustädter, de Jong (in Gemeinschaft mit Peniel Mlapa und Branimir Hrgota) für Reus. Beim ersten Hinsehen scheint sich Gladbach zumindest nicht verschlechtert zu haben, aber die Umstellung auf die Bundesliga und die Eingewöhnung ins komplexe Favre-System könnten mehr Zeit in Anspruch nehmen, als es vielen lieb ist. Erster Beweis dafür war die bittere Hinspielpleite gegen Kiew.

Zusätzlich kommt in dieser Saison die bisher nicht dagewesene Mehrfach-Belastung hinzu, wenn Gladbach auch noch Europa erobern will.

Die Taktik

Marco Reus ist weg, Luuk de Jong (und Peniel Mlapa/Branimir Hrgota) als Nachfolgelösung(en) da. Allein dieser Zustand erfordert wohl eine Systemanpassung in Mönchengladbach.

Zwar spielte Reus auch schon in der Vorsaison mehr oder weniger die zweite Spitze, aber de Jong drängt vielmehr in den Strafraum als der Neu-Dortmunder, der sich oft weit zurückfallen ließ, um in Kombinationen zu gehen oder einfach nur seine Schnelligkeit nutzen zu können. Problem dabei: de Jong ähnelt in seiner Spielanlage zu sehr den etablierten Angreifern Igor de Camargo und Mike Hanke.

"Unsere Stürmer sind sich zu ähnlich. Sie bleiben alle im Zentrum, finden nicht die richtige Position. Die richtige Mischung fehlt. In der letzten Saison haben wir fast ohne Stürmer gespielt und die Effizienz gefunden", klagte Favre nach dem Kiew-Spiel, in dem sich de Jong und de Camargo null ergänzten und wie Fremdkörper wirkten.

Daraus resultiert die spannende Frage, ob Favre weiterhin in Richtung 4-4-2 gehen wird, das den Stärken und Fähigkeiten seines Personals eigentlich am meisten entspricht, oder ob er Alternativen eine Chance gibt. In Testspielen probierte der Trainer auch schon mal ein 4-3-3 bzw. ein 4-2-3-1.

Allgemein erhofft sich Favre in der neuen Saison deutlich mehr von seinem Mittelfeldzentrum, das in der Vorsaison mit der Besetzung Neustädter/Havard Nordtveit zwar defensiv exzellent arbeitete, aber offensiv noch zu wenig Akzente setzen konnte.

Hier ist Xhaka gefragt, aber auch Tolga Cigerci, der eine gute Figur in der Vorbereitung abgab, könnte unverhofft als Nebenmann für den Schweizer in der Startelf auftauchen. Favre schätzt die Fähigkeiten des Deutsch-Türken am Ball und im Passspiel. Sowohl er als auch Xhaka könnten in einem 4-2-3-1 auf der Zehn auflaufen.

Der Spieler im Fokus

Luuk de Jong. Der Niederländer wurde schon mit Marco Reus verglichen, als der Transfer des ehemaligen Twente-Angreifers noch gar nicht perfekt war. Daran änderte sich nichts, als er erstmals im Gladbacher Trainingsshirt auf dem Platz stand und wird sich auch während der Saison nichts ändern.

Für den Niederländer blätterte Max Eberl kolportierte 12 Millionen Euro hin, so dass die Erwartungen alleine aufgrund dieser Tatsache extrem hoch sind.

De Jong ist jedoch ein ganz anderer Spielertyp als Reus: Dass sich der Niederländer nach Reus-Manier den Ball in der eigenen Hälfte schnappt, einen schnellen Doppelpass mit Juan Arango spielt und dann im Strafraum zum Abschluss geht, darf nicht erwartet werden.

Vielmehr ist er der eiskalte Knipser im Strafraum, der auf die guten Zuspiele hoffen muss und stark beim Kopfball ist. Integriert Favre de Jong erfolgreich in sein System, könnten die Gladbacher viel Freude haben mit ihrem Angreifer. Und vielleicht enden dann irgendwann auch die Reus-Vergleiche.

Das Interview

SPOX: Sie haben während der Verhandlungen gesagt, dass Sie nur nach Gladbach wollen. Warum nicht England?

De Jong: Ich denke, es ist der richtige Schritt für mich, nach Deutschland zu wechseln. Ich mag den Klub Borussia Mönchengladbach und die Art und Weise, wie sie Fußball spielen wollen - mit jungen Spielern. Sie wollen Ballbesitz-Fußball spielen, nicht einfach nur Kick and Rush. Das ist ein guter Spielstil für meine persönliche Entwicklung. Die Bundesliga ist ein größerer Wettbewerb als die niederländische Liga und ich muss dafür härter arbeiten.

Hier geht's zum kompletten Interview!

Die Prognose

Gladbach muss sich neu aufstellen. Das Potenzial, das in der jungen Mannschaft steckt, ist groß. Es sind nicht nur die teuren und guten Neuzugänge, die Lust auf mehr machen: Auch von Marc-Andre ter Stegen, Patrick Herrmann und Tony Jantschke wird der nächste Schritt erwartet. Sie klopfen sogar bei Joachim Löw an oder sind wie im Fall ter Stegen sogar schon über die Türschwelle getreten.

Aber es lauern Gefahren: Da ist die Zeit, die benötigt wurde, um die Neuaufstellung zu bewerkstelligen. Dazu die erhöhte Erwartungshaltung: Understatement ist erlaubt, aber muss sich bei Transferausgaben über 30 Millionen Euro in Grenzen halten. Und da ist noch die zusätzliche Europapokal-Belastung.

Den Fast-Abstieg und die Häme, die daraus resultierte, nutzten die Gladbacher in der vergangenen Saison als Ansporn, um es besser zu machen. Gelingt ein neuer Motivationsschub nach den Abgängen, kann die Borussia wieder eine fulminante Spielzeit hinlegen. Angriff auf Europa, heißt dann die Devise.

Der Kader von Borussia Mönchengladbach im Überblick