Hemmungslos schön

Von Stefan Rommel
Torschützen unter sich: Gentner (l.), Ibisevic (M.) und Schieber feiern im Signal Iduna Park
© Getty

Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart liefern das hinreißendste Spiel der Saison. Da stört es am Ende auch wenig, dass beide irgendwie auch zwei Punkte verloren haben.

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Reaktionen:

Jürgen Klopp (Trainer Borussia Dortmund): "Das war ein verrücktes Spiel. Ich glaube, ich habe solch ein Spiel mit so vielen Führungswechseln noch nie erlebt. Nach dem 2:0 haben wir unverständlicherweise den Faden aus der Hand gegeben. Der VfB hatte aber auch schon vor dem 1:2 Riesenchancen. Am Ende war es für mich ein Punktgewinn. Wir hatten tolle Chancen, aber der VfB hat ein super Spiel gemacht. Sie waren schwer zu verteidigen, obwohl wir richtig gut drauf waren. In dieser Form von heute gewinnen beide Mannschaften 70 bis 80 Prozent aller Bundesligaspiele. Der VfB war bisher die beste Auswärtsmannschaft hier in Dortmund in dieser Saison."

Bruno Labbadia (Trainer VfB Stuttgart): "Für solche Spiele lohnt es sich, Trainer zu sein. Es ist einfach schön, dass die Mannschaft nicht aufgegeben hat. In der ersten Hälfte ist Dortmund ein hohes Tempo gegangen, das 2:0 nach dem Seitenwechsel war ein Genickschlag. Meine Mannschaft hat aber nicht aufgesteckt, sondern einen Zahn zugelegt."

Mats Hummels (Borussia Dortmund): "Wir dürfen das 2:0 nicht mehr aus der Hand geben, haben aber nach dem 2:3 noch ein unfassbares Spiel hingelegt, sind ein hohes Tempo gegangen und bekommen dann so einen dreckigen Ausgleich. Der VfB hatte vier Torschüsse und macht vier Tore in der zweiten Hälfte. Eigentlich können wir stolz darauf sein, was wir nach dem 2:3 noch abgeliefert haben, danach hatten wir leider viel Pech."

Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund): "Das war ein tolles Spiel für die Zuschauer und für die Beteiligten auf dem Platz. Aber wir hätten früher den Sack zumachen müssen, dann wäre das Ding gegessen gewesen. Wir hätten unsere Chancen besser nutzen müssen. Für mich persönlich ist es eine gefühlte Niederlage."

Sven Ulreich (VfB Stuttgart): "Das Spiel war einfach geil! Die Mannschaft hat nie aufgegeben, und als die Chance da war, da haben wir das Spiel auch übernommen. Die Dortmunder Tore waren eines schöner als das andere, da kann man als Torwart nicht viel machen. Das wir vor 80.000 Zuschauern so ein Comeback geliefert haben, nehmen wir gerne mit nach Hause. Von diesem Spiel werden wir noch unseren Kindern erzählen."

Julian Schieber (VfB Stuttgart): "Für mich war das ein gefühlter Sieg, da wir nach dem erneuten Rückstand noch einmal zurückgekommen sind und das 4:4 geschafft haben. Wir können mit dem Punkt zufrieden sein. Auch für die Fans war das ein tolles Spiel. Der BVB war über die 90 Minuten spielerisch das bessere Team, aber wir haben super gekämpft und sind super zurückgekommen. Insgesamt war es ein schwieriges Auswärtsspiel."

Nachbetrachtung:

Stuttgarts Spieler wollten gar nicht mehr runter von dem Rasen, der das verrückteste und schönste Stück Fußball der laufenden Saison beherbergt hatte. Berauscht vom Spiel und den Fans feierten die Gäste das Erlebte, das so viel mehr wert sein könnte als ein schnöder Punkt mehr auf dem Tableau.

Für den VfB geht es nach einer Saison des Auf und Ab doch tatsächlich noch um die Qualifikation für die Europa League. Erwarten durfte man das nicht unbedingt. Aber was kann man schon erwarten? Jedenfalls keinen Freitagabend wie diesen.

Für Borussia Dortmund geht es um die Meisterschaft und so spielte die Mannschaft auch 75 Minuten lang: meisterlich, beschwingt und leicht. Dass dahinter ein unglaublicher körperlicher und mentaler Aufwand steckte, wurde in den guten Phasen des Dortmunder Spiel nicht auffällig. In der Viertelstunde Mitte der zweiten Halbzeit dafür aber umso brutaler.

Der BVB nahm sich da eine Auszeit wie noch nie in dieser Saison. Gewiss, in der Hinrunde ging eine Partie in Hannover in den Schlussminuten noch 1:2 verloren. Aber diese drei Gegentreffer gegen den VfB hatten eine andere Qualität. Sie zeigten Dortmunder Fehler, die man aus den Champions-League-Spielen kannte, aber bisher noch nicht in der Liga gesehen hatte.

Es schien, als würde der BVB alle Albernheiten einer Saison in einer Viertelstunde bündeln, nur um danach noch bissiger und leidenschaftlicher wieder zurückzukommen - und am Ende, um das Gesamtkunstwerk perfekt zu machen - alles wieder fahrlässig herzugeben.

Adrenalin pur

Für das letzte Heimspiel gegen den SC Freiburg soll es 160.000 Kartenanfragen gegeben haben, die Tickets werden jetzt teilweise verlost. "Nur" die Hälfte davon raffte sich am Freitagabend auf ins Stadion. Jeder von ihnen wird in ein paar Jahren nicht weniger zu erzählen haben als die Glücklichen, die vielleicht am 5. Mai der Meisterfeier beiwohnen dürfen.

Sehr lange hat die Bundesliga kein Spiel von solcher Wucht und Emotionalität gesehen, mit so vielen schönen Szenen, einer Dortmunder Mannschaft, die einmal mehr wie eine Dampfwalze über den Gegner rollte; aber auch einem VfB, der aus seiner Unterlegenheit das Beste machte und - man muss es nach einem 0:2-Rückstand in Dortmund so sagen - sogar an der Sensation schnupperte.

Ziemlich viele Schlagworte aus dem großen Fußballerduden wurden abgehakt: Spielwitz, Kampfkraft, Mut, Moral, Intensität, Nervenkitzel, Ekstase, Stolz, Respekt. Dass dem BVB womöglich am Ende zwei Punkte fehlen könnten, ging am Ende im Adrenalin unter.

"Für mich ist das ein Punktgewinn. Wir waren ja schon raus, deshalb bin ich zufrieden", sagte Jürgen Klopp nach dem Spiel und hatte damit gar nicht Unrecht. Das Remis rückt jetzt Dortmunds Partie gegen die Bayern am 30. Spieltag noch mehr in den Fokus - was eigentlich vorher schon völlig überflüssig war.

Bonuspunkt für Stuttgart

Und eine Gewissheit bleibt dem BVB: Abgesehen von mysteriösen 15 Minuten und dem nicht adäquaten Ergebnis ist die Mannschaft in absoluter Topform und in 24 Stunden vermutlich schon wieder fähig, noch so eine Partie abzuliefern.

Der VfB nimmt das Remis als Bonuspunkt mit nach Stuttgart. Aber viel wichtiger war das Auftreten der Mannschaft, die in dieser Saison viel gewerkelt und gerumpelt und manches Mal eher aus Versehen gewonnen hat.

Da war Leidenschaft zu sehen und das Vertrauen in die eigene Stärke. Für die entwöhnten Fans dürften diese 90 Minuten so viel bedeuten wie drei kühl eingefahrene Siege zusammen. Der VfB kann offenbar auch (wieder) anders.

Dortmund - Stuttgart: Daten zum Spiel

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