Viel mehr als nur Marco Reus

Von Stefan Rommel
Der eine trifft, der andere rackert: Die Gladbacher Marco Reus (r.) und Mike Hanke
© Getty

Gladbachs Rausch gegen Bremen verzückt den Betrachter, Trainer Lucien Favre und seine Spieler bleiben aber erstaunlich nüchtern. Trotzdem ist die Borussia in der Form ein Kandidat für Europa. Die Bremer Protagonisten reagieren geschockt - aber auch einsichtig.

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Die Gladbacher Fans wissen es selbstverständlich schon lange, in der 60. Minute ließen sie auch den Rest an ihrer Einschätzung teilhaben, die da lautete: "Die Nummer eins am Rhein sind wir!"

In einen etwas größeren Rahmen gepresst ist Borussia Mönchengladbach die Nummer drei. Das zumindest sagt die Bundesliga-Tabelle nach 13 Spieltagen. Eine der großen Enttäuschungen der letzten ist die spektakulärste Überraschung der laufenden Saison.

Wobei, so überraschend ist die Entwicklung am Niederrhein vielleicht dann doch nicht. Die Rückrunde unter Lucien Favre gab schon erste Hinweise auf das, was die Mannschaft heute zu leisten im Stande ist.

Defensive ist der Schlüssel

Damals wie jetzt ist ein stringent verfolgtes Defensivkonzept der Schlüssel zum Erfolg. Das mag nach einem berauschenden Spiel gegen einen direkten Tabellennachbarn auf den ersten Blick erstaunlich klingen.

Fünf Tore hat die Borussia geschossen, den höchsten Bundesligasieg seit 17 Jahren eingefahren. Dazu einen vereinsinternen neuen Rekordhalter. Dreimal in Folge hat noch kein Borusse in der Bundesliga mindestens einen Doppelpack geschnürt, kein Heynckes oder Simonsen oder Laumen. Aber ein Reus, Marco.

Und trotzdem wollte Trainer Favre nach dem Sieg über Werder Bremen nicht über seinen auffälligsten Spieler reden. "Sie müssen aufhören, über Marco zu sprechen. Das erste Tor war das wichtigste für uns - das war Patrick Herrmann!", sagt er genervt bei "LIGA total!".

Hanke redet wie der Trainer

Der Schweizer denkt im Kollektiv, die selektive Wahrnehmung der Medien sind ihm dabei ein Graus. "Das 2:0 war super. Das wissen wir von Marco. Aber Marco ist ein Teil der Mannschaft. Er ist glücklich, hier zu spielen - und Punkt!" Damit waren die Spekulationen um die Zukunft des 22-Jährigen dann für den Abend auch beendet.

Für Favre ist es aber schön zu sehen, dass seine Spieler wie er auch nach einem glanzvollen Nachmittag die sportlichen Aspekte in den Vordergrund stellen. Fast wie Musterschüler parlierten sie über die Gründe des 5:0, so wie ihr Trainer es tun würde.

"Wir haben die taktischen Vorgaben des Trainers hervorragend umgesetzt und den Sechser der Bremer immer zugestellt, so dass er das Spiel nicht eröffnen konnte. Dadurch hatten wir einige Ballgewinne, die wir vorne zu den Treffern genutzt haben", sagt Stürmer Mike Hanke.

Vom Torjäger zum Teamplayer

Hanke ist vielleicht das Paradebeispiel schlechthin für den Favre-Fußball der Borussia. In Mönchengladbach wird er der Defensiv-Stürmer genannt. Früher war Hanke mal etwas, das im Volksmund Knipser heißt. Ein Strafraumspieler, der wenig zu sehen ist im Spiel, mit einem kleinen Bewegungsradius, dafür aber in den wenigen, entscheidenden Szenen kühl vor dem Tor.

Heute ist Hanke ein Untergebener der Mannschaft. Er läuft und arbeitet in der Defensive, sein Einsatzgebiet erstreckt sich über den gesamten Platz. Dazu schafft er Räume und bereitet Treffer für die Kollegen vor. "Der Trainer verlangt viel von uns, zum Beispiel in der Rückwärtsbewegung. Aber es lohnt sich, wie man sieht", sagt er.

Dass er selbst in dieser Saison noch kein einziges Mal getroffen hat, ist dabei kein Problem für Hanke. Früher wäre er vielleicht verrückt geworden, heute erzählt Hanke gelassen und mit einem Lächeln von seiner Flaute.

Kandidat für Europa

Die Borussia findet derzeit eine außerordentlich gute Balance zwischen Offensive und Defensive. Gegen Werder spielte die Mannschaft teilweise einen Hochgeschwindigkeitsfußball auf Top-Niveau, den Toren zum 2:0 und 3:0 durch Reus gingen überfallartige Konter voraus.

Das Fundament dafür ist aber die mannschaftlich geschlossene Defensivarbeit, die erst die Ballgewinne generiert, die der Ausgangspunkt der Gladbacher Konter sind.

Wenn es vor der Partie noch Zweifel gegeben haben sollte, wie weit die Mannschaft in dieser Saison schon ist, dürfte jetzt klar sein, dass die Borussia in dieser Spielzeit ein ernsthafter Kandidat für die internationalen Plätze ist. Die Mannschaft ist eingespielt und austariert, hat überragende Einzelkönner, blieb bisher vom Verletzungspech fast gänzlich verschont.

Dante wagt sich aus der Deckung

"Nach alledem, was wir bisher in dieser Saison erreicht haben und wie das Team sich präsentiert, dürfen wir sicherlich etwas träumen. Zumindest was den UEFA-Pokal angeht, sehen wir eine gute Chance", wagt sich zumindest Dante etwas aus der Deckung.

Von zu viel Euphorie, man hätte es sich denken können, will Favre aber nichts wissen. "Der Sieg heute war verdient, aber man darf jetzt nicht übertreiben."

Bremen ordentlich bedient

Auf der anderen Seite blieb ein Gegner zurück, der gewissermaßen voll gegen die Wand gerauscht ist. Zum siebten Mal in Folge geriet Werder in einem Bundesligaspiel in Rückstand. Viermal konnte Bremen den Rückstand noch aufholen, dieses Mal gab es die volle Breitseite.

"Wir hatten vorher noch angesprochen, dass wir den Gegner nicht schon wieder einen vorlegen lassen wollten - weil irgendwann funktioniert das dann auch nicht mehr", sagt Thomas Schaaf.

"So muss ich sagen, dass wir uns heute hier eine richtig schöne Klatsche abgeholt haben. Borussia ist genauso aufgetreten, wie es eine Fußballmannschaft machen muss. Sie haben als Team zusammen gearbeitet, aber auch ihre individuellen Fähigkeiten eingebracht. Alle diese Komplimente, die ich hier verteile, muss ich meiner Mannschaft leider absprechen."

"Eine Katastrophe"

Geschäftsführer Klaus Allofs hörte sich ähnlich an. "Das war heute eine Lehrstunde dafür, wie man es machen muss, wenn man oben steht und auch dort bleiben möchte. Wenn man aber in so ein Spiel geht und so wenig einbringt, dann kann uns das nicht gefallen."

Das Defensivverhalten der Bremer war quasi kaum existent, ohne Ausnahme versagten die Gäste.

"Das war das schlechteste Spiel der Saison. Es ist eine Riesen-Enttäuschung", sagte Kapitän Clemens Fritz. "Unsere Defensivleistung war eine Katastrophe. Das gilt nicht nur für die Abwehr, sondern für alle Mannschaftsteile."

Gladbach - Bremen: Daten zum Spiel

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