Ernüchterndes Erwachen

Von Daniel Reimann
Martin Harnik (r.) vergab kurz vor Schluss die Riesenchance zum Ausgleich gegen den SC Freiburg
© Getty

Vom kurzzeitigen Aufwind geblendet, wähnte sich der VfB Stuttgart auf der richtigen Fährte. Doch die Pleite gegen Freiburg beweist: Altbekannte Probleme bestehen weiter. Es fehlt an Führungsqualität und Entschlossenheit. Und nun versagt auch noch Bruno Labbadias größter Trumpf. Die Aussichten sind düster.

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Benfica Lissabon ist kein gutes Pflaster für deutsche Vereine in der Europa League. Nicht nur, weil vor einem bzw. drei Jahren sowohl Hertha BSC als auch der 1. FC Nürnberg gegen Benfica im Sechzehntelfinale ausschieden. Sondern vor allem, weil beide Klubs in derselben Saison den Gang in die Zweitklassigkeit antraten.

Anno 2011 befindet sich der VfB Stuttgart nun ebenfalls in akuter Abstiegsgefahr und trifft im Europa-League-Sechzehntelfinale auf - Benfica Lissabon.

Doch diese Anekdote für Abergläubische ist nicht der einzige Grund, weshalb die Aussichten für den VfB spätestens nach dem ernüchternden 0:1 gegen Freiburg düsterer denn je erscheinen.

Von Euphorie geblendet

Nicht die Tatsache, dass Stuttgart gegen den Tabellensechsten knapp verlor, sorgt für Verwunderung. Die Art und Weise hingegen, wie die Niederlage zustande kam, ist beängstigend.

Beflügelt durch die Euphorie über den späten Ausgleich beim alles überragenden BVB schien die Mannschaft gegen Freiburg zu glauben, dass man den richtigen Weg eingeschlagen habe.

Vor dem Spiel wähnten sich die Schwaben noch im Aufwind. Doch auf dem Platz schien das Team zu glauben, dass durch die vier Punkte, die man gegen Mainz und Dortmund ergattern konnte, vieles von alleine seine Gang gehen würde.

Dabei beschwor ein realistischer Trainer Bruno Labbadia nach dem hart erkämpften Dreier gegen Mainz noch: "Wir dürfen uns nicht blenden lassen." In der Mannschaft scheint diese Warnung allerdings nicht angekommen zu sein. Und sogleich wurde klar: Die alten Probleme bestehen weiter - vier Punkte hin oder her.

Alte Probleme und neue Rückschläge

Besonders nach dem Führungstor der Gäste wurde wie schon die gesamte Saison über eine Führungsfigur schmerzlich vermisst. Kapitän Christian Gentner, zweifacher Deutscher Meister und deutscher Nationalspieler, war ein Schatten seiner selbst.

In der ersten Hälfte lief kaum ein konstruktiver Angriff über Gentners rechte Seite. Seine Präsenz auf dem Platz: gleich null. Bezeichnend war der bemitleidenswerte Auftritt in der 53. Minute, als ihm der Ball im SC-Strafraum vor die Füße fiel, er aber überhastet und planlos verstolperte.

Doch nicht nur Gentner erwischte einen schwachen Tag. Christian Träsch, einer der besseren VfB-Akteure der letzten Wochen, mied zumeist harte Zweikämpfe. Gleiches gilt für Nebenmann Zdravko Kuzmanovic.

Der zur Halbzeit eingewechselte Timo Gebhart, der in Dortmund nach seiner Hereinnahme Schwung und Tempo in die Partie brachte, sorgte schließlich für eine fast lachhafte Steigerung des ängstlichen Stuttgarter Zweikampfverhaltens. Bei gefühlt jeder zweiten Berührung segelte er theatralisch zu Boden, bis ihn selbst Schiedsrichter Dr. Jochen Drees nicht mehr ernst zu nehmen schien.

Labbadias letzter Trumpf - Tragödie statt Ausgleich

Nicht nur im Kampf gegen den Ball, auch bei den eigenen Offensivbemühungen offenbarte Stuttgart altbekannte Mängel: Gegen tief stehende Gegner - Freiburg hatte stets mindestens acht Mann hinter dem Ball - hängt der VfB-Sturm in der Luft.

Ciprian Marica und Pawel Pogrebnyak konnten quasi nie per Steilpass bedient werden, meist blieben die Bälle am überragenden Abräumer Cedrik Makiadi hängen. Die grusligen Flanken von Cristian Molinaro waren nicht leichter zu verwerten.

Labbadia reagierte, doch auch sein bewährter Trumpf stach nicht. Im Gegenteil: Der eingewechselte Martin Harnik, bereits neunmal als Joker erfolgreich, wurde zur tragischen Figur des Nachmittages, als er kurz vor Schluss unmittelbar vor dem leeren Tor nur den Außenpfosten traf.

Düstere Aussichten und psychologischer Nachteil

Was bleibt, ist ein nicht zu unterschätzender psychologischer Nachteil. St. Pauli feierte einen Befreiungsschlag, Gladbach wittert nach dem Dreier in Frankfurt wieder Morgenluft im Abstiegskampf. Stuttgart hingegen stellte sich durch Harniks verpasste Riesenchance in letzter Minute fast selbst bloß.

Von den derzeit abstiegsgefährdeten Teams kann einzig Werder Bremen von einer ähnlich prekären Lage sprechen - Abwärtstrend inklusive.

Damit ist die unmittelbare Perspektive für Stuttgart so düster wie zu schlimmsten Hinrundenzeiten. Am kommenden Spieltag steigt in Gladbach der Abstiegsgipfel, den die Borussia nach dem überlebenswichtigen Dreier in Frankfurt womöglich deutlich selbstbewusster angehen kann als Stuttgart.

Auf den VfB warten in den nächsten vier Spieltagen drei Auswärtsspiele (Gladbach, Leverkusen, Frankfurt). Dort können die Schwaben auch nur auf einen Bruchteil der Fans setzen, die gegen Freiburg mit einer beeindruckenden Choreographie Rückendeckung demonstrierten und ihr enttäuschendes Team über 90 Minuten anfeuerten. Die zart aufkeimende Hoffnung auf Besserung hat sich der VfB Stuttgart durch sein ernüchterndes Auftreten selbst zerstört.

Stuttgart - Freiburg: Daten zum Spiel