Louis van Gaal: Nichts als die Wahrheit?

Von Stefan Rommel
Bayern-Trainer Louis van Gaal (M.) sorgt mit seiner Sicht der Dinge für Verwunderung
© Getty

Der FC Bayern München hat beim 1:1 in Nürnberg zwei wichtige Punkte leichtfertig verspielt. Trotzdem hat Trainer Louis van Gaal "eins der besten Spiele" der Bayern gesehen. Der Holländer sorgte mit einem Interview nach dem Spiel für Aufsehen - und viele offene Fragen.

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Die angriffslustigste Aktion eines insgesamt eher durchschnittlich unterhaltsamen Nachmittags lieferte Bayern-Coach Louis van Gaal.

SKY-Reporter Dieter Nickles hatte van Gaal gefragt, ob die Mannschaft gegen den Tabellen-Siebzehnten aus Nürnberg nicht vielleicht nur mit halber Kraft gespielt habe. Die Antwort des Holländers und vor allem dessen Mimik und Gestik verrieten hundertprozentige Ablehnung.

"Ich finde es unglaublich, dass Sie das sagen. Ich finde, dass Bayern München heute eines der besten Spiele gemacht hat. Aber wenn sie die Tore nicht schießen, ist das schade. Ich finde es unglaublich, dass Sie das sagen."

Van Gaal ist Fußballlehrer und er denkt als ein solcher. Er analysiert über das nüchterne Ergebnis hinaus. In seinem eigenen Mikrokosmos gibt es genügend Anhaltspunkt, die diese Einschätzung untermauern. Aber hält van Gaals Meinung den Zahlen und Fakten stand? Das Zitat des Spieltags auf dem Prüfstand.

Die Ball- und Spielkontrolle: 67 Prozent Ballbesitz hatten die Bayern, für ein Auswärtsteam ist das ein astronomisch hoher Wert. Lediglich der HSV erreichte an diesem Spieltag eine annähernd hohe Quote, allerdings wurden die 61 Prozent im Heimspiel gegen Frankfurt erzielt.

Nur bleibt die Frage, ob es der bayerischen Spielkunst geschuldet war oder doch nicht auch dem Gameplan des Club? "Haben Sie gesehen, dass Nürnberg mit elf Spielern auf eigener Hälfte steht?", fragte van Gaal zu Recht.

Nürnberg-Coach Dieter Hecking hatte seine Mannschaft ultra-defensiv eingestellt und wollte den Bayern nur zu gerne Initiative und Spielkontrolle überlassen.

Die augenscheinliche Überlegenheit der Bayern war auch der Spielausrichtung des Gegners geschuldet, nicht nur dem eigenen druckvollen Spiel. Lange Ballbesitzzeiten hatten die Bayern, aber ihr Spiel eben nicht das nötige Tempo und den Zug zum Tor.

Zwölf Torschüsse gaben die Bayern ab. Das ist ein leicht überdurchschnittlicher, aber kein Spitzen-Wert. Wobei besonders die Qualität der Torabschlüsse nicht so hoch war wie in den letzten Wochen.

Zudem sind 20 Fehlpässe in der eigenen Hälfte schon recht viel für Bayern-Verhältnisse. Dass der Club die Münchener im Prinzip erst ab der Mittellinie in Empfang nahm, macht die Quote noch eklatanter.

Die Passwege: Sehr auffällig war, dass es der Club schnell verstanden hatte, die gefährlichen Anspielpunkte der Bayern zu neutralisieren. Aus dem Zentrum auf die Außen kamen deutlich weniger Zuspiele als zuletzt an den Mann.

Van Bommel spielte kaum raus auf den Flügel, Schweinsteiger war bemüht, aber deutlich ungenauer als zuletzt. Van Bommel unterliefen zudem einige leichte Abspielfehler, die es in der Fülle zuletzt nicht gab.

Demichelis übertraf sich eine Zeit lang selbst mit haarsträubenden Fehlpässen in der Vorwärtsbewegung, auch von Badstuber kamen bis auf eine Handvoll brauchbarer Flachpässe in die Spitze keine Impulse in der Spieleröffnung. Dabei sieht van Gaal gerade seine Innenverteidiger als erste Spielgestalter seiner Mannschaft. Badstubers starker linker Fuß war zu Beginn der Saison sogar ein Kriterium für dessen Stammplatz.

In dieser Beziehung war es eines der schwächeren Spiele der Bayern, weil sie die dicht gestaffelten Nürnberger mit ihrem Passspiel kaum knacken konnten.

Die Defensivbewegung: Trotz des durchaus vermeidbaren Gegentores waren die Bayern in dieser Hinsicht bärenstark. Bei Gündogans Tor waren die Gäste deutlich in Überzahl, aber das unentschlossene Eingreifen von Gomez sowie Demichelis' Schlafmützigkeit beim Ball in die Tiefe ermöglichten dem Club diese eine Chance. Van Gaal sarkastisch: "Sie haben eine Chance bekommen und das war ein Tor. Fantastisch."

Ansonsten stimmten die Abstände zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen, selbst teilweise haarsträubende Ballverluste tief in der eigenen Hälfte (Demichelis) oder im Mittelfeld brachten überhaupt keine Gefahr für das eigene Tor, weil die Bayern unheimlich schnell umschalteten und zu jedem Zeitpunkt der Partie mit mindestens einem, eher zwei oder drei Spielern in Überzahl waren. Die Bayern gewährten dem Club nicht eine Konterchance. Allein das ist Beweis genug für eine konzentrierte Defensivleistung.

Die Zielstrebigkeit: Ein Grundproblem. Bis zur 60. Minute hatte man immer das Gefühl, dass sich die Bayern zu sehr in Sicherheit wogen. Zu groß die Überlegenheit und das Wissen um die eigenen Stärken.

Von den beiden Außenspielern Lahm und Contento kam aber so gut wie gar kein Druck nach vorne. Von Contento war das in seinem ersten Profispiel von Beginn an vielleicht nicht anderes zu erwarten, aber Lahm blieb deutlich unter seinen Möglichkeiten.

Auch Robbens Fehlen in der zweiten Halbzeit und das dadurch entstandene Vakuum - Altintop blieb sehr blass - nahm Lahm nicht als Anregung, endlich mehr nach vorne zu machen. Der bevorzugte Adressat seiner Pässe war nicht zufällig Innenverteidiger Demichelis. 20 seiner 55 Zuspiele waren an ihn gerichtet - also quer oder zurück gespielt.

Insgesamt fehlten die letzte Entschlossenheit und der Biss, die entscheidende Aktion erfolgreich abzuschließen. In Zahlen ist dies nicht zu messen, der Eindruck vermittelte sich aber dem Großteil der Beobachter. Van Gaal nicht.

Pressing und Positionsspiel: Die Raumaufteilung der Münchener war einmal mehr ganz stark. Jeder Einzelne spielt diszipliniert seinen Part, die Mannschaft erdrückt den Gegner mit ihrer Präsenz auf dem Platz. Besonders nach dem Ausgleich eroberten sich die Bayern oft tief in der gegnerischen Hälfte den Ball.

Das 0:1 war ein Lehrstück für einstudiertes Angriffsspiel. Die Lauf- und Passwege waren klar definiert und sauber ausgeführt. Leider blieb es neben Gomez' Großchance die einzigen Stafette mit großer Torgefahr aus dem Spiel heraus. Ansonsten verpufften viele gute Aktionen im Ansatz.

Van Gaals Lobeshymne auf "das sehr schöne Positionsspiel", mit dem sich die Bayern "viele Chancen herausgespielt" hätten, ist so nicht ganz nachvollziehbar. Das Positionsspiel war in Ordnung, viele Chancen spielten sich die Bayern damit aber nicht heraus.

Der Vergleich zum Florenz-Spiel: "Sie haben heute viel besser gespielt, als gegen Florenz. Aber da haben wir 2:1 gewonnen und dann sagt man nichts. Aber heute haben wir viel besser gespielt", sagt van Gaal.

Trotzdem gab es gegen einen extrem destruktiven Gegner wieder zu wenige Spielverlagerungen. "Wir haben ohne Hirn gespielt", hatte er nach dem Florenz-Spiel moniert und mehr Intelligenz gefordert.

Das war gegen den Club phasenweise schon deutlich besser, vor allem Schweinsteiger nahm den Ball oft aus dem zugestellten Raum und versuchte den Seitenwechsel.

Die Zuspiele fanden oft auch ihr Ziel, nur eben nicht schnell und druckvoll genug. Nürnberg hatte immer wieder die Chance, sich schnell zu verschieben und die gefährlichen Eins-zu-Eins-Situationen gegen Robben zu vermeiden.

Die Grundidee haben van Gaals Spieler aufgegriffen, in der Umsetzung haperte es aber noch. Oder, um es in van Gaals Duktus zu packen: Die Bayern waren noch nicht intelligent genug, um den Club nachhaltig in Verlegenheit zu bringen oder in Unordnung zu stürzen.

Van Gaal als Schauspieler: Der Holländer überrascht oft mit seinen Analysen und nicht selten steckt dahinter pures Kalkül. Seine Sichtwiese des Wolfsburg-Spiels ("Das war arrogant") vor zwei Wochen fand selbst bei seinen Spielern nicht ungeteilte Zustimmung, jetzt lobt er eine durchschnittliche Vorstellung in den Himmel.

Die antizyklische Betrachtungsweise soll der Mannschaft nach sehr guten Spielen den Blick nicht vernebeln oder aber im umgekehrten Fall eine Art Schutz bieten. Van Gaal eröffnet einen Nebenkriegsschauplatz und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich.

Zudem hat das Remis für viele den Geruch einer Niederlage. Nach 13 Pflichtspielsiegen in Folge auch nicht verwunderlich. "Bei einem Abstiegskandidaten muss man gewinnen. Für mich ist der eine Punkt wie eine Niederlage", sagte Schweinsteiger.

Van Gaal will aber erst gar nicht den Anflug eines "Negativerlebnisses" zulassen, sondern vielmehr die Dynamik der tollen Serie erhalten. Denn immerhin sind die Münchener weiter seit Anfang November ungeschlagen.

In der Beziehung ähnelt der Niederländer Jose Mourinho. Der ist ein Meister der Tarnung, stellt sich nach schwächeren Partien seiner Mannschaft mit einer ebenso kauzigen Art gerne vor sein Team. Gelernt hat Mourinho das alles schon sehr früh. Louis van Gaal ist eines seiner großen Idole.

Nürnberg - Bayern: Daten zum Spiel