Wie konnte das passieren?

Von Florian Bogner
Nach dem überraschenden Titelgewinn spielt der VfL Wolfsburg erstmals in der Champions League
© Getty

Vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: der VfL Wolfsburg.

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"Papa", sagt der kleine Junge in einer fernen Zukunft zu seinem Vater, "Papa, ich mag Fußball ja wirklich sehr. Aber wie bitte konnte es dazu kommen, dass Wolfsburg damals Meister wurde?" Eine Antwort auf diese Frage sollte sich jeder Fußballfan im zeugungsfähigen Alter schon mal überlegen. Oder aber auf Armin Veh vertrauen.

Der ist nämlich in Wolfsburg angetreten, um den Sensationsmeister der Vorsaison nachhaltig in die deutsche Fußball-Elite zu bringen und damit solchen Fragen vorzubeugen. Dass Veh mit dem VfB Stuttgart bereits 2008 einen solchen Versuch frei hatte, ist bekannt. Damals schaffte er es nicht, das Niveau der Meistersaison zu halten.

Ihm daraus nun aber einen Strick zu drehen, wäre falsch. Denn die Voraussetzungen in Wolfsburg könnten besser nicht sein. Punkt 1: Die gesamte Meistermannschaft ist zusammen geblieben und wurde punktuell verstärkt. Punkt 2: Die Meisterelf spielte zwar am oberen Limit, hat aber noch weiteres Entwicklungspotenzial. Punkt 3: Ein weiteres Husarenstück erwartet in Wolfsburg niemand.

Vielmehr geht es dem Verein und dem Trainer um Nachhaltigkeit. Veh hat insofern ganz Recht zu behaupten: "Die Titelverteidigung als Ziel wäre utopisch und vermessen." Das Saisonziel heißt demnach: Zwischen Platz eins und Platz fünf ist alles im Rahmen. Das sieht auch Kapitän Josue so.

"Ich denke, ein Platz, der die Teilnahme an der Europa League oder Champions League bedeutet, ist realistisch", sagt der 30-Jährige zu SPOX, muss Veh aber in einem Punkt widersprechen: "Ich halte eine Titelverteidigung auch für sehr schwer, aber nicht für unmöglich."

Das ist neu

Neben dem Trainer gleich auch eine Handvoll neue Spieler. Dabei ist der Kader in der Breite verstärkt worden, um der Mehrbelastung durch die Champions League Rechnung zu tragen. Mit Obafemi Martins kam der von Veh geforderte gestandene dritte Stürmer mit Format und macht nun Druck aufs beste Torjägerduo aller Zeiten Edin Dzeko/Grafite.

Die beiden Stürmer haben zusammen mit Edel-Vorbereiter Zvjezdan Misimovic gleich mal ihre Verträge bis 2012 (Grafite) bzw. 2013 (Dzeko, Misimovic) verlängert, auch wenn das im Fall Dzeko nicht unbedingt heißen muss, dass dieser nicht doch irgendwann zum AC Mailand abwandert. Dafür dann aber bestimmt für ein nettes Sümmchen.

Im Mittelfeld hat der VfL in Karim Ziani einen Mann für die rechte Seite gefunden, die in der vergangenen Saison noch nicht optimal besetzt war. Ihm und Thomas Kahlenberg, der für die Halbpositionen auf beiden Seiten eine Alternative ist, bescheinigt Veh "Qualität für die Champions League".

Mit Fabian Johnson hat man zudem einen U-21-Europameister mit ins Boot geholt, der sich entwickeln darf und für alle Außenpositionen sowohl offensiv als auch defensiv in Frage kommt.

Von den "Rückläufern" aus Ausleihgeschäften (Baier, Laas, Santana, Munteanu, Saglik) haben hingegen vorerst wohl nur Daniel Baier und Jonathan Santana die Chance, überhaupt für den 18er-Kader berücksichtigt zu werden. Von den Namen her steht der Kader dennoch hinter dem des FC Bayern zurück. (Der Kader des VfL Wolfsburg)

In der Vorsaison konnte Magath aus dem Hut zaubern, wen er wollte. Schindzielorz, Madlung, Dejagah - alle verrichteten ihren Dienst nach wochenlanger Bankdrückerei formidabel und halfen dem VfL so über personelle Engpässe hinweg. Den nun besser besetzten Kader - und damit jeden Einzelspieler - bei Laune zu halten, ist eine von Vehs dringlichsten Aufgaben in der neuen Saison.

Die Taktik

Nicht nur das Privathaus hat Veh von Magath in Wolfsburg übernommen, sondern auch die taktische Ausrichtung seiner Wunschelf. Da alle Spieler geblieben sind, ist das 4-4-2 mit Mittelfeldraute aus der Meistersaison auch 2009/2010 Gesetz. Das vor allem, weil Veh mit Misimovic ein Spielmacher in Reinkultur und mit Josue ein klassischer Sechser zur Verfügung steht.

Sollte einer der beiden mal ausfallen, oder Veh das Bedürfnis nach offensiverer Ausrichtung haben, ist auch ein 4-3-3 mit Martins als dritter Spitze eine Alternative. Dann würden Schäfer und Riether noch konsequenter die Außenlinie besetzen und das Dreiermittelfeld mehr nach innen einrücken.

"Wenn der Trainer auch mal mit drei Stürmern spielen möchte, würde es fürs Mittelfeld bedeuten, dass wir noch aufmerksamer spielen und enger markieren müssen, was aus meiner Sicht kein Problem ist", sagt Josue zu den Plänen des Trainers.

Wolfsburgs Angriffsfußball fußt vor allem auf der stabilen Defensive, der bei Kontern eine entscheidende Rolle zukommt, da jeder Verteidiger in der Lage ist, den Ball schnell nach vorne zu spielen. Trotz des superb eingespielten Duos Schäfer/Gentner ist das VfL-Spiel aber nicht ausschließlich linkslastig, was auch daran liegt, dass das Mittelfeld variabel rochiert.

Vor der unumstrittenen Nummer eins Diego Benaglio hat Jan Simunek den Kampf um den Innenverteidigerposten neben Weltmeister Andrea Barzagli gegen Alexander Madlung und Ricardo Costa gewonnen. Links ist Schäfer eine echte Offensivwaffe, rechts spielte Riether zuletzt eine unterschätzte, aber nicht minder solide Rolle.

Die Meisterschaft wäre Wolfsburg wohl nicht ohne einen Josue gelungen, der als Sechser von seinem fantastischen Stellungsspiel profitiert und mit viel Laufarbeit Misimovic den Rücken frei hält.

Auf rechts sollen Wechselspiele zwischen Makoto Hasebe, Jonathan Santana und Ashkan Dejagah mit Karim Zianis Verpflichtung der Vergangenheit angehören. Und mit Thomas Kahlenberg hat man noch einen gestandenen Nationalspieler in der Hinterhand.

Der Spieler im Fokus

Obafemi Akinwunmi Martins. Der 25-Jährige blickt schon auf mehrere Jahre in der Serie A (Inter Mailand, 2002-2006) und der Premier League (Newcastle United, 2006-2009) zurück und stellte dabei stets seine ausgesprochene Schnelligkeit und einen guten Torriecher (je 28 Liga-Tore für Inter & Newcastle) unter Beweis.

Der Nigerianer besitzt, was Dzeko und Grafite nicht haben: Er ist klein, trickreich und wendig und muss sich trotz geringer Körpergröße (1,70 m) auch nicht mit seinem Kopfballspiel verstecken. Veh zeigt zudem einen weiteren Vorteil auf: "Mit ihm in der Mannschaft sind wir noch schwieriger auszurechnen, da wir jetzt auch die Möglichkeit haben, mit einem 4-3-3-System zu spielen."

Trotz aller Vorschusslorbeeren muss sich der zweitteuerste Transfer der Vereinsgeschichte erstmal auf die Ersatzbank einstellen und auf seine Chance warten. Bei der Dreifachbelastung des VfL mit Meisterschaft, Pokal und Champions League sind Einsatzminuten aber in jedem Fall absehbar.

Das Interview

Frage: Ihr Vorgänger Felix Magath hat ebenfalls alle drei Ämter ausgeführt - und wurde so erstmals in der Vereinsgeschichte deutscher Meister. Was schauen Sie sich von Magath ab?

Armin Veh: Felix Magath hat zweifelsohne Großes geleistet beim VfL Wolfsburg und gute Bedingungen hinterlassen. Aber ich habe meinen eigenen Stil und muss nichts kopieren. Ich kann auch gar keine Vergleiche ziehen, weil ich nicht weiß, wie Felix Magath hier gearbeitet hat.

Das ganze Interview mit Armin Veh zum Nachlesen!

Die Prognose

Klar, Armin Veh ist 2008 mit dem VfB Stuttgart am Druck, der Mehrbelastung, an Verletzungen und nicht zündenden Neuzugängen gescheitert. Dass sich diese Verkettung ungünstiger Umstände wiederholt, ist indes nicht zu erwarten.

Trotzdem muss sich der VfL anno 2009 erstmal auf die Favoritenrolle einstellen. Die anderen Bundesliga-Teams werden Wolfsburg nicht mehr so oft ins offene Messer laufen wie in der vergangenen Saison.

"In der letzten Saison waren unsere Gegner noch nicht so richtig auf uns eingestellt, das wird sich diesmal ändern. Unsere Gegner werden voraussichtlich defensiver gegen uns agieren, es wird insgesamt schwieriger für uns, da die Mannschaften sicher mehr Respekt vor uns haben", sagt Josue.

Der VfL hat allerdings die Zeichen erkannt und durch gezielte Einkäufe vorgesorgt. Veh will die Spieler zudem zu einer anderen Spielweise, die auf mehr Ballbesitz basiert, erziehen.

Dass er eine Wiederholung des Meisterstücks gleich als "utopisch" bezeichnete, nahm Druck von den Spielern. Deshalb ist die neue Spielzeit auch eine Art Charaktertest. Wenn man das Kind beim Namen nennen will: Der VfL hat auch 2009 ein Team, das um den Titel mitspielen kann. Insofern ist das Saisonziel (Platz 1-5) auch nicht zu hoch gegriffen.

Der VfL Wolfsburg in der Sommerpause