Wundertüte Werder

Von Stefan Rommel
In der Liga lief es im letzten Jahr nicht für Werder, dafür holte man den DFB-Pokal
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Werder Bremen.

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Der König ist tot, es lebe der König. Werder Bremen im Jahr eins nach der Überfigur Diego ist im Prinzip wie eine kleine Wundertüte.

Die Kaderplanung ist noch nicht ganz abgeschlossen, die Mannschaft zeigt aber schon jetzt gute Ansätze. Allerdings sind auch die alten Leiden wieder zu erwarten.

Das ist neu

Werder hat sein Herz verloren. Drei Jahre lang bestimmte Diego über das Wohl und Wehe des Teams. Jetzt ist der Brasilianer gen Turin entschwunden und Bremen steht wieder einmal vor einem mittelschweren Umbruch.

Bereits nach dem Abgang von Le Chef Johan Micoud stand Werder vor einem ähnlichen Problem. Die Lösung kam von der Ersatzbank des FC Porto und hieß Diego. Diesmal leisteten sich die Hanseaten zwar Marko Marin, der Nationalspieler ist aber nicht als Diego-Double gedacht. (Der Kader von Werder Bremen im Überblick)

Vielmehr soll Mesut Özil, der bereits in der vergangenen Saison einige Male in der Offensivzentrale wirbelte, den Brasilianer so gut es geht ersetzen - ohne ihn dabei zu kopieren. Durch die Rückholaktion von Tim Borowski von den Bayern bietet sich Coach Thomas Schaaf eine weitere schwungvolle Option für den offensiven Mittelfeldpart.

Im Sturm kehrte Boubacar Sanogo aus Hoffenheim zurück und versucht den gefühlten 100. Neuanfang. Und Marcelo Moreno nicht zu vergessen: Der Bolivianer war bereits vor zwei Jahren auf Werders Zettel, entschied sich dann aber für Donezk und wurde in der Ukraine todunglücklich. Von der Ersatzbank weg holte sich Klaus Allofs seinen Wunschspieler an die Weser. Die Geschichte hört sich irgendwie bekannt an...

Ein offenes Thema ist immer noch die Zukunft von Claudio Pizarro. Der Peruaner ist fürs erste zurück in London, soll aber schon bald nach Bremen zurückkehren. "Wir haben die Dinge mit Claudio besprochen. Da werden wir eine Regelung finden", sagte Allofs. Bisher will Chelsea aber noch zu viel Geld.

Die Taktik

Das 4-4-2 ist wie bei fast keinem anderen Verein der Liga in Stein gemeißelt. Seit zehn Jahren lässt Schaaf im klassischsten aller Systeme spielen und wird auch in der kommenden Saison nicht davon abweichen.

An und für sich ist die Raute ebenso gesetzt. Dort können Özil oder aber auch Borowski den Part von Diego hinter den Spitzen einnehmen. Allerdings versuchte sich Schaaf bereits in der letzten Saison in entscheidenden Spielen ohne Diego mit einer etwas defensiveren Variante - einem Mittelding zwischen Raute und Doppelsechs, ähnlich wie bei der Nationalmannschaft.

Dann wäre - wie im Pokal bei Union Berlin - Borowski in der Zentrale der vorgezogene Spieler und Özil und Marin wirbeln auf den Halbpositionen. Der große Vorteil: Werder ist durch Marin und Borowski im Mittelfeld variabler aufgestellt, die Last der Spielgestaltung verteilt sich endlich auf mehrere Schultern.

Die Viererkette ist wie gehabt. Das ist zum einen ein Vorteil, weil die Automatismen längst eingeimpft sind. Zum anderen ist es aber ein Stück weit verwunderlich, dass Bremen auf den Problemzonen der Außenverteidiger (recht und links) nicht personell nachgebessert hat.

Gerade im Rautensystem sind offensivstarke Außenverteidiger ein wichtiger Bestandteil. Mit Sebastian Boenisch oder Clemens Fritz ist das Potenzial zwar da - abrufen konnten es beide in der vergangenen Saison auf Grund von Formschwächen und Verletzungen aber nicht.

Der Spieler im Fokus

Auch wenn es keiner so gerne hören mag, aber nach Diegos Abgang und seinen überragenden Leistungen bei der U-21-Europameisterschaft wird Mesut Özil gezwungenermaßen im Rampenlicht stehen.

Die Vergleiche werden unfair und teilweise auch recht hanebüchen daherkommen, aber damit wird der 20-Jährige leben müssen.

Es wird Özils schwerstes Profijahr bis dahin werden, aber der Ex-Schalker hat trotz seines juvenilen Alters schon mehrfach bewiesen, dass er mit Verantwortung und Druck gut umzugehen vermag. Und mit Torsten Frings und Borowski hat er zwei erfahrene Spieler neben sich, die ihm helfen.

Apropos Borowski: Dessen Rückkehr geht in der öffentlichen Wahrnehmung etwas unter. Dabei steht auch für den (Ex?-)Nationalspieler eine einschneidende Saison an.

Nach dem Debakel bei den Bayern wird es Boro zu Hause allen zeigen wollen und unter Umständen sogar noch auf den Zug zur WM aufspringen.

Die Prognose

Nach einer extrem turbulenten Saison mit etlichen Skandälchen - vor allem abseits des Platzes - steht Bremen vor einem Umbruch. Der brigt Risiken aber auch große Chancen. Werder wird sich schnell von Diego emanzipieren, dafür ist die Mittelfeldreihe trotz des Abgangs des einstigen Stars zu gut besetzt.

Im Umfeld ist es ruhig, großen Druck verspürt niemand. Dafür war die letzte Bundesliga-Saison zu ernüchternd. Allerdings ist das Anspruchsdenken in Bremen doch immer noch recht hoch.

Insofern ist Bremen sogar die Wundertüte der Liga: Die letzte Saison hat gezeigt, dass die Konkurrenz den Abstand zum etatmäßigen CL-Teilnehmer Bremen verringert hat beziehungsweise schon an Bremen vorbeigezogen ist. Dieses Missverhältnis gilt es schnell zu begradigen, ansonsten wird der Abstand in den kommenden Jahren immer größer werden.

Das Potenzial dazu hat Werder. Kommt jetzt noch ein Top-Stürmer - eventuell ja Pizarro - ist ein Platz im internationalen Geschäft allemal drin. Mehr allerdings nicht.