Ein Unterschied wie Tag und Nacht

Von Jochen Tittmar
Der Kader von Borussia Dortmund in der Saison 2009/2010
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Borussia Dortmund.

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Es macht wieder Spaß, sagen sie in Dortmund. Vorbei ist die Zeit, in der die vereinseigene Finanzkrise mit grausamen Fußball einherging und die Seelen der zahlreichen Anhänger zermürbte.

Der BVB erblüht seit der Inthronisierung von Jürgen Klopp im Juli 2008 in neuem Glanz, wenn auch die fußballerische Renaissance die Geldnöte nicht gänzlich wegwischen konnte.

Die Leistungen im Vorjahr, als eine junge, talentierte und lernwillige Truppe auf dem Platz stand und die Vorgaben des Trainers (aggressives Verschieben gegen den Ball, hohe Laufbereitschaft, spritziges Umschalten) nach und nach mit Leben füllte, lassen die seit eh und je hohen Erwartungen im Umfeld der Borussia auch in diesem Jahr in die Höhe schnellen.

Die Vorbereitung verlief ordentlich, die Mannschaft blieb von größeren Verletzungen verschont und konnte trainingsspezifisch an dem Punkt weitermachen, an dem sie von Klopp Ende Mai in den Urlaub geschickt wurde.

"Wir sind schon viel weiter als vor einem Jahr, als sich alle erst daran gewöhnen mussten, was wir von der Mannschaft erwarteten", freute sich der Coach über die neue Intensität, mit der er konditionelle und taktische Inhalte in die Trainingsarbeit einfließen lassen konnte.

Das ist neu

Dortmund hat den Kader vor allem in der Breite verstärkt, um den seit Jahren relativ brachliegenden Konkurrenzkampf neu zu entfachen. Die Neuzugänge Dimitar Rangelov, Markus Feulner, Kevin Großkreutz und Sven Bender werden als Alternativen zur Startelf gesehen und sollen in erster Linie im Training den arrivierten Spielern Dampf machen. (Der Kader von Borussia Dortmund)

Nach dem überraschenden Abgang von Alexander Frei ruhen die Hoffnungen im Sturmzentrum auf Lucas Barrios, der bereits erkennen ließ, dass er die dringend benötigte Kaltschnäuzigkeit im Abschluss besitzt.

Dennoch wird der Argentinier Zeit für die Eingewöhnung an die physischen Anforderungen des europäischen Fußballs benötigen - eine Aufgabe, die vor allem die nicht gerade für ihre Engelsgeduld bekannten BVB-Fans auf die Probe stellt.

Die Taktik

Klopp testete das 4-4-2-System mit der flachen Vier in den ersten vier Partien der Vorsaison, sah jedoch schnell ein, dass so die Offensivqualitäten eines Tamas Hajnal nicht zum Tragen kommen und verwertbare Zuspiele auf die Angreifer fehlen.

Seitdem ist das 4-4-2 mit Raute Gesetz. Dort wird bereits von den Stürmern aktive Defensivarbeit und laufintensives Nachsetzen erwartet. Mit ein Grund, warum der nicht gerade als Torjäger bekannte Nelson Valdez seinen Platz mittlerweile zementiert hat.

Mit Mohamed Zidan und Dimitar Rangelov hat Klopp zwei gleichwertige Alternativen in der Hinterhand, die Stärken im Tempodribbling und Konterspiel einbringen können.

Im Mittelfeld herrscht ein Konkurrenzkampf, wie es ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gab: Neun Spieler bewerben sich um vier Positionen. Neben den vier "Gesetzten" (siehe Grafik) sind dies Tinga, Florian Kringe, Feulner, Bender und auch Großkreutz.

Härtefälle wird es also geben und diese werden von den Verantwortlichen bewusst in Kauf genommen. Erstes "Opfer" des Konkurrenzdrucks wurde Kringe, der für das DFB-Pokalspiel in Weiden (3:1) aus dem Kader geworfen wurde.

Auch die Formation der Viererkette ist fix besetzt, wo Klopp bei den drei Innenverteidigern Neven Subotic, Felipe Santana und Mats Hummels auf ein echtes Luxusproblem trifft.

Der lange verletzte Hummels, der seit seiner bravourösen Leistung im Finale der U-21-EM auch eine Alternative auf der Sechserposition darstellt, muss sich derzeit noch gedulden.

Einziges Problem im Kader: Nach dem Abgang von Young-Pyo Lee besitzt der BVB neben Patrick Owomoyela keinen etatmäßigen Rechtsverteidiger. Klopp wird sich im Ernstfall bei dem Trio Kringe, Yasin Öztekin und Julian Koch bedienen.

Der Spieler im Fokus

Lucas Barrios: Der Welttorjäger. 49 Tore in 53 Spielen. Davon 37 in der letzten Saison für Colo Colo, von wo beispielsweise auch Arturo Vidal nach Leverkusen wechselte. "Wir haben mit ihm schon früh Kontakt aufgenommen und ihn sehr lange beobachtet - und nicht nur seine 37 Tore bei 'YouTube' geguckt", so Klopps launischer Kommentar nach der Verpflichtung des Stürmers.

Barrios wird vor allem an den Werten von Frei gemessen, der es auf eine Torquote von 0,46 pro Spiel brachte und gleichwertig ersetzt werden will.

Dass der 24-Jährige seit seiner Ankunft am Rheinlanddamm keine vollmundigen Torversprechen abgab ("Den Fehler mache ich nicht") und sein Motto mit "trabajo, trabajo, trabajo - Arbeit, Arbeit, Arbeit" umschrieb, wird nicht nur Klopp erfreut zur Kenntnis genommen haben.

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie er auf die Umstellung auf den schnelleren, härteren und von taktischen Überlegungen geprägten Fußball in Deutschland reagiert. Auch wenn es Fans und Vereinsführung bewusst ist: Ein gewisses Restrisiko bleibt.

Das Interview

SPOX: Jürgen Klopp sprach davon, dass es ein Unterschied wie Tag und Nacht sei, wie die Mannschaft die Vorgaben des Trainers im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison versteht und umsetzt. Ist Ihnen das auch aufgefallen?

Kehl: Der Trainer meint einfach, dass wir die Art und Weise, wie er Fußball spielen will, immer mehr verinnerlicht haben. Dass wir das verstanden haben, zeigte ja auch unsere Siegesserie in der Rückrunde der vorigen Saison.

SPOX: Was gehört zum Verständnis genau dazu?

Kehl: Sehr vieles: Wie man den Gegner anläuft, wie man umschalten muss, welch hohe Laufbereitschaft man an den Tag legen muss und was für ein Aufwand betrieben werden muss, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen. All diese Faktoren haben wir in der letzten Saison sehr gut umgesetzt. Wenn wir an diesem Punkt ansetzen und uns in allen anderen Bereichen steigern, dann ist sicherlich wieder was drin.

Hier geht's zum kompletten Interview mit Sebastian Kehl

Die Prognose

Der BVB verlor vergangene Saison kein Heimspiel, besaß die zweitbeste Abwehr der Liga und stellte mit sieben Siegen in Serie einen Vereinsrekord auf. Was man sich davon kaufen konnte: Nichts.

Das unausgesprochene Ziel lautet daher auch in diesem Jahr, sich für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Dies würde im ersten Schritt die maue Finanzlage erheblich verbessern, im zweiten der Qualität des Teams zugutekommen.

Großes Plus der Borussia stellt die Eingespieltheit des Teams dar, das die unumstößlichen Prinzipien Klopp'schen Fußballs mittlerweile in sich aufgesogen hat. Ob die direkte Konkurrenz, die sich in größerem Ausmaß auf dem Transfermarkt bedienen konnte, an diesem Dortmunder Faustpfand vorbeikommt, bleibt eine spannende Frage.

Es deutet zumindest nicht viel darauf hin, dass sich Borussia Dortmund - letztes Jahr auf Rang sechs platziert - großartig verschlechtern wird.