Frischekur unterm Sauerstoffzelt

Von Für SPOX in der Allianz Arena: Florian Bogner
Bayern Münchens Torschütze Hamit Altintop (l.) feiert mit Ze Roberto den 2:1 gegen Gladbach
© Getty

Der 2:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach hat den FC Bayern München sicherlich nicht zum Meisterschaftsfavoriten aufsteigen lassen. Dennoch förderte das Spiel drei Erkenntnisse zu Tage: Die Bayern haben wieder das Publikum im Rücken, die Mannschaft versteht, was der Trainer fordert und - am wichtigsten - setzt es auf dem Platz auch um.

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Manchmal gewinnt man das Publikum mit etwas Ungewöhnlichem. Diesmal war dieses "Ungewöhnliche" Hermann Gerland gewesen. Fünf Minuten vor Spielschluss war die Stimmung plötzlich kurz vorm Überborden - und dabei war der Ball nicht mal im Spiel.

Gerland war es, der die Südkurve in Ekstase versetzte. Der Co-Trainer war während einer Verletzungspause wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und im weiten Bogen an den Fans vorbei über den Platz gelaufen, um Philipp Lahm eine Getränkeflasche zu bringen. Und die Menge tobte.

Der Sinn dieser Aktion war fragwürdig, das Ergebnis einzigartig: Die Kurve feierte wieder, die Leute hatten ihren Spaß. Und Uli Hoeneß dürfte sich auf der Bank insgeheim selbst auf die Schulter geklopft haben, genau die richtigen Trainer für die Feuerwehrmann-Aktion verpflichtet zu haben.

"Die Mannschaft ist in guten Händen"

Hinterher schritt der Bayern-Manager sichtlich entspannt durch die Mixed-Zone, beantwortete bereitwillig alle Fragen und war sogar zu Scherzen aufgelegt. "Ich habe ihn gefragt, ob er ein Sauerstoffzelt braucht", sagte der Schelm Hoeneß zu Gerlands Aktion.

Etwas ernsthafter brachte der Manager Hoeneß dann etwas auf den Punkt, was man ihm sofort abnahm und was die Überschrift des Trainerwechsels von Klinsmann zu Heynckes/Gerland sein könnte: "Wir haben das Gefühl, dass die Mannschaft in guten Händen ist." Und dass sie es vorher eben nicht war.

Doch was hatte sich groß geändert? Fünf Tage hatten Heynckes und Gerland Zeit gehabt, das Team auf Mönchengladbach vorzubereiten. Viel ändern konnten sie nicht, nur ein paar Einzelgespräche führen und der Mannschaft eine klare Marschroute an die Hand geben. Gegen die defensiven Borussen lautete diese: Mit zwei Stürmern vorne drauf gehen, kompakt bleiben und das Spiel dominieren.

Kompaktheit + Laufbereitschaft = Dominanz?

Bei Kapitän Mark van Bommel stießen die Coaches damit auf breite Zustimmung. "Der Trainer will, dass man den Raum kleiner macht, dass in der Offensive die letzte Linie mit nach vorne rückt, gleichzeitig aber alle auch defensiv arbeiten. Das habe ich schon immer gesagt", meinte der Holländer hinterher.

In der Praxis bedeutete das vor allem für das von van Bommel geleitete Mittelfeld eine Umstellung. Eine echte Raute war es nicht, was die Bayern da spielten. Bei Ballbesitz setzte sich aber immer ein Spieler ins offensive Mittelfeld ab - meist Ze Roberto -, der Rest rochierte permanent unter großem Laufaufwand. Das Ergebnis in Halbzeit eins: totale Dominanz bei nahezu 70 Prozent Ballbesitz.

Wenn ein Spieler aus der Mitte nach vorne stößt, bedeutet das im Umkehrschluss mehr Verantwortung für die beiden Außen, die bei Ballverlust einrücken müssen. "Schweini und Hamit haben das sehr gut gemacht", befand van Bommel. Kein Zufall, dass Schweinsteiger und Altintop auch die beiden Bayern-Torschützen waren.

Van Bommel beißt sich auf die Lippen

Ein Treppenwitz, dass ausgerechnet Schweinsteiger und Altintop zuletzt gegen Schalke nicht in der Startelf standen. Den Ex-Trainer zu kritisieren, kam den Spielern allerdings nicht in den Sinn. Zumindest bissen sich einige auf die Zunge.

"Es ist schwer, darüber zu reden", meinte van Bommel - der vermeintliche Chefkritiker. "Man kann und darf nicht vergleichen. Man kann nur über den aktuellen Trainer sprechen. Und wenn wir das umsetzen, was er will, dann können wir den Gegner so dominieren, dass er phasenweise nicht an den Ball kommt."

Ein klares Zubrot für die These, Klinsmann habe die Mannschaft in den letzten Wochen nicht mehr erreichen können. Diesmal machte die Mannschaft zumindest über weite Strecken des Spiels den Anschein, als ob sie verstanden hätte, was der Trainer sehen will.

Heynckes hebt den Zeigefinger

"Manchmal kann man machen, was man will - die Dinge funktionieren einfach nicht. Deswegen bin ich jetzt hier", meinte Heynckes in Hinblick auf seinen Vorgänger.

Ein Anfang sei gemacht, mehr nicht, befand der notorisch nüchterne Interimscoach nach seinem Premieren-Sieg: "Die Spieler waren lebendig, sehr spielfreudig. Das war ansatzweise gut, aber es gibt noch einiges zu verbessern."

Die eklatante Abschlussschwäche - diesmal in persona Luca Toni - zum Beispiel. Oder den Umstand, dass sich die Defensive immer wieder zu krassen individuellen Fehlern - diesmal Hans-Jörg Butt vor dem Elfmeter für Gladbach - hinreißen lässt.

Die Bayern sind noch nicht stabil. Das Spiel nach vorne wirkte in vielen Situationen weiter überhastet, die Fehlerquote im Passspiel war dementsprechend hoch. Neben den verpassten Möglichkeiten war dies ein Grund, warum Zuschauer, Spieler und Trainer auch gegen einen klar unterlegenen Gegner bis zum Schluss zittern mussten.

Die wahren Prüfsteine kommen erst

"Eins ist klar: Wir müssen uns weiter steigern, um unser Ziel zu erreichen", hob Heynckes deshalb auch mahnend den Zeigefinger. Das Ziel heißt in der offiziellen Version weiter: direkte Qualifikation für die Champions League, die Meisterschaft ist vorerst kein Thema.

Ebenso klar ist, dass auch unter Klinsmann Spiele gegen Mannschaften auf dem Niveau von Gladbach (Karlsruhe, Bielefeld) knapp gewonnen wurden. Die gegenseitigen Liebesbekundungen sollten also noch nicht zu forsch hinausposaunt werden.

Mit Cottbus wartet nächsten Samstag noch einmal ein Abstiegskandidat auf die Münchner. Die restlichen Spiele geht es gegen Teams aus der oberen Tabellenhälfte. Bis dahin kann Heynckes noch viel mit der Mannschaft arbeiten, dann wird sich auch zeigen, ob die bayerische Seele wieder vollständig hergestellt ist.

"Er hat auch Ahnung!"

Seinen Einstand als Feuerwehrmann hat Heynckes jedenfalls genossen.

"Mir macht es Spaß, mit der Truppe zu arbeiten und man sieht auch, dass es den Spielern Freude macht, mit mir zu arbeiten. Das ist eine Genugtuung", sagte der 63-Jährige, auch wenn er nach Gerlands Show-Einlage nicht der vom Publikum gefeierte Mann war.

So gehörte van Bommels Schlusswort auch dem rasenden Hermann: "Er ist nicht nur sehr beliebt", sagte der Holländer, "sondern er hat auch noch Ahnung vom Fußball. Das vergessen einige manchmal." Gerlands Sprint ums halbe Feld wird man in München jedenfalls nicht so schnell vergessen.