FC Bayern München und die Sechserfrage: Auf der Suche nach dem neuen Xabi Alonso

Von Dennis Melzer
Javi Martinez und Thiago sind zwei Kandidaten für die Sechser-Position des FC Bayern.
© getty

Niko Kovac plant, die kommende Saison vornehmlich mit einem 4-3-3-System zu bestreiten. SPOX zeigt die Optionen des Trainers des FC Bayern für die wichtige Sechserposition.

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"Es gibt immer Härtefälle", sagte Niko Kovac, dessen Miene in jenem Moment kurz von fröhlich zu nachdenklich changierte, am Mittwochmittag im Presseraum an der Säbener Straße. "Das war gegen Dortmund so, in Cottbus auch und das wird auch gegen Hertha BSC (heute, ab 20.30 Uhr live auf DAZN) so sein."

Gemeint waren damit seine Mittelfeldschützlinge. Mit Thiago, Javi Martinez, Renato Sanches, Corentin Tolisso und Leon Goretzka verfügt der Kroate aktuell über derer fünf. Ein Quintett, das sich im vom Bayern-Trainer präferierten 4-3-3-System (ein Sechser, zwei Achter) um drei vakante Positionen bewirbt. Was nach Adam Riese die Folge hat, dass stets zwei Akteure mit weniger Spielzeit bedacht werden und somit in die Kovac'sche Härtefall-Riege rutschen.

Vor dem Start in die neue Bundesliga-Saison am Freitagabend, wenn der Serienmeister in der Allianz Arena Berlin empfängt, liegt der Fokus auf der Münchner Schaltzentrale, speziell die Sechserposition wurde in der Sommerpause immer wieder diskutiert.

Die Kernfrage: Muss noch ein "echter" defensiver Mittelfeldspieler a la Xabi Alonso her, der zwischen 2014 und 2017 im Mittelfeld für Ordnung sorgte und zuletzt von Karl-Heinz Rummenigge als "bester Mittelfeldspieler, den wir in den letzten zehn Jahren hatten", gebauchpinselt wurde?

Im Idealfall schon, sofern sich noch ein adäquater Kandidat auf dem Transfermarkt finden lässt. Bis es soweit ist, verfügt Kovac über mehrere Optionen. Goal und SPOX zeigen die verschiedenen Möglichkeiten auf.

Thiago Alcantara

Der Spanier ist die A-Lösung für die Sechserposition. "Er ist unser Taktgeber im Mittelfeld, ein Spieler, der mit dem Ball alles kann. Er kann das Spiel beschleunigen, er kann das Spiel beruhigen, er denkt auf dem Platz wie ein Trainer. Was Thiago im letzten Jahr gespielt hat, war sensationell gut.", schwärmte Kovac im Juli während des FCB-Aufenthaltes in den USA. Thiago selbst äußerte sich knapp zu der für ihn angedachten Chefrolle: Er fühle sich "dort gut", spiele aber auf allen Positionen, auf denen er gebraucht wird.

Weniger gut lief es für den Edeltechniker im ersten Pflichtspiel der Saison, als er im Supercup gegen Dortmund einen rabenschwarzen Abend erwischte und unfreiwillig offenlegte, wie abhängig die Münchner von einem Thiago in mindestens Normalform sind.

Obwohl sich der 28-Jährige im Zweikampfverhalten enorm verbessert hat, bisweilen die feine gegen die harte Klinge eintauschte und in der abgelaufenen Spielzeit mit rund 62 Prozent gewonnener Duelle sogar die beste Quote seiner Mannschaft aufwies, käme seine Qualität weiter vorne besser zur Geltung.

Javi Martinez

Thiagos Landsmann ist eigentlich der Inbegriff des klassischen Sechsers, allerdings offenbar nicht der Spielertyp, der Kovac vorschwebt, stand er doch lediglich in 16 Bundesligapartien der Vorsaison von Beginn auf dem Rasen. Martinez wartet bekanntermaßen mit anderen Qualitäten als Thiago auf, ist enorm robust und kopfballstark. Eigenschaften, die besonders im Champions-League-Achtelfinale gegen die dominanten Liverpooler gefragt waren.

Vor allem im Hinspiel an der Anfield Road wusste der Baske zu gefallen, ackerte, bestritt reihenweise erfolgreiche Zweikämpfe und stopfte die vielzitierten Löcher. Das Problem: Die Münchner treffen im Bundesliga-Alltag nur selten auf Teams, die ihnen spielerisch Paroli bieten.

Im Sommer wurde gemutmaßt, dass der 30-Jährige für den abwanderungswilligen Jerome Boateng von Kovac in die Innenverteidigung beordert werden könnte. Seitdem sich allerdings herauskristallisiert, dass der Weltmeister von 2014 den Bayern erhalten bleibt und die Abwehrzentrale somit personell und nominell hochwertig aufgestellt ist, dürfte Martinez eher wieder als Option fürs Mittelfeld gelten.

Für den Saisonauftakt wird es allerdings noch nicht reichen. Der ehemalige Bilbao-Profi kämpft nach wie vor mit Knieproblemen. "Er hat noch eine kleine Trainingssperre unserer Ärzte. Er hat im Kraftbereich trainiert und wird noch individuell betreut", gab Kovac am Mittwoch bekannt.

Joshua Kimmich

Als Kovac in der vergangenen Saison sein System auf 4-2-3-1 umstellte, fand sich Kimmich einige Male auf der ihm eigentlich angestammten Position im defensiven Mittelfeld wieder. Zwischenzeitlich bildete der 24-Jährige ein Tandem mit Nationalmannschaftskollege Leon Goretzka.

Eine Konstellation, die Kovac zufolge "etwas aus der Not geboren" war, zunächst aber gar nicht schlecht funktionierte. Letztmals kam Kimmich allerdings bei der ersten und einzigen Rückrundenpleite in der Bundesliga bei Bayer Leverkusen (1:3) gemeinsam mit Goretzka auf der Doppelsechs zum Einsatz.

Im Gegensatz zu Bundestrainer Joachim Löw, der Kimmich vorrangig als Ballverteiler zwischen Abwehr und Angriff aufbietet, plant Kovac den Ex-Stuttgarter auf der defensiven Außenbahn ein. "Für meine Entwicklung ist es gut, dass ich mehrere Positionen kennenlerne", sagte Kimmich diesbezüglich im Interview mit DAZN.

Er schob jedoch nach: "Auf Dauer ist es aber das Ziel, dass man eine Position bekleidet." Es sei nämlich "schwierig, wenn das von Woche zu Woche wechselt." Sollte Kimmich bei den Münchnern tatsächlich mal wieder im Mittelfeld gebraucht werden, stünde mit Neuankömmling Benjamin Pavard ein flexibler Defensivmann als Backup parat.

FC Bayern: Vier Notlösungen auf der Sechs

Sollten den Bayern - aus welchen Gründen auch immer - sämtliche bereits skizzierten Alternativen für die Sechs wegbrechen, wären vier Spieler notfalls in der Lage, auszuhelfen. Goretzka, der Kovac zufolge "in beide Richtungen sehr gut arbeitet, der schnell ist und in die Tiefe gehen kann", wäre eine Möglichkeit.

In diesem Falle wäre der Coach aber gezwungen von seinem favorisierten System abzurücken und eine Doppelsechs zu installieren, bei der der gebürtige Bochumer den offensiveren Part gibt. Ähnliches gilt für den gefühlten Neuzugang Tolisso, der aufgrund eines Kreuzbandrisses nahezu die gesamte Saison aussetzen musste.

Wie Goretzka kommt der Franzose mit Drang nach vorne daher. Im DFB-Pokal agierte er erstmals nach seiner Verletzung wieder von Beginn an in einem Pflichtspiel, wobei ihm bei seinem Startelf-Comeback anzumerken war, dass auf dem Weg zu seinem Top-Level noch einige Meter fehlen.

Von Kovacs Systemrückkehr zu zwei Achtern könnte Sanches profitieren, der in der jüngeren Vergangenheit mehrfach mit einem Wechsel liebäugelte, nun seine Chance aber endgültig nutzen will. Auch er ist theoretisch dazu befähigt, auf der Sechs zu spielen, ist eigentlich aber für eine der beiden offensiveren Positionen vorgesehen.

Zu guter Letzt käme sogar Innenverteidiger Pavard als Sechser infrage. Der amtierende Weltmeister, der aus Stuttgart an die Isar kam, spielte bei seinem ehemaligen Arbeitgeber ein paarmal im Mittelfeld. Das hob er bei seiner Präsentation Mitte Juli in der Allianz Arena selbst noch einmal hervor.

Fragezeichen hinter Neuzugängen

Rodri hieß der absolute Wunschspieler für die Sechserposition in diesem Sommer. Nach Informationen von Goal und SPOX traf sich Hasan Salihamidzic im Mai mit dessen Berater Pablo Barquero, um einen Wechsel nach München auszuloten. Der ballsichere Stratege von Atletico Madrid entschied sich letztlich gegen ein Engagement in Deutschland und ging zu Manchester City.

Mittlerweile haben die Bayern einen anderen Iberer, namentlich Marc Roca, ins Visier genommen. Das Werben um den 22-Jährigen, der bei Espanyol unter Vertrag steht, gestaltet sich als zähe Angelegenheit, weil sich die Katalanen nicht verhandlungsbereit zeigen und auf die festgeschriebene Ablösesumme in Höhe von 40 Millionen Euro pochen.

Sollte der FCB bis zum 2. September einlenken, wäre die kleine Sechser-Baustelle dicht. "Es ist Fakt, dass wir noch jemanden brauchen", sagte Kovac am Mittwoch. In der Hoffnung, einen Spieler zu finden, der das Xabi-Alonso-Gen besitzt.

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