Kommentar: Warum der FC Bayern München trotz des Meistertitels einen neuen Trainer braucht

Niko Kovac ist neben Franz Beckenbauer der zweite, der mit Bayern als Spieler und Trainer Meister wurde.
© getty

Der FC Bayern München ist wie in den sechs Jahren zuvor auch in der ersten Spielzeit unter Trainer Niko Kovac deutscher Meister geworden. Trotzdem wäre ein Neuanfang sportlich gesehen die richtige Entscheidung. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Nino Duit.

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Schon seit Mitte März darf der FC Bayern nicht mehr in der Champions League mitspielen, aber omnipräsent war dieser wichtigste aller Wettbewerbe seitdem trotzdem bei etlichen Pressekonferenzen mit Niko Kovac. Es wurde in den vergangenen Wochen zum lustigen Ritual, dass dieser verschmitzt grinsend an seine weisen Worte vom vergangenen Herbst erinnert.

Schon damals wusste er, betont Kovac stets aufs Neue gerne, dass Ajax Amsterdam ganz gut ist. Sein FC Bayern hatte in der Gruppenphase bekanntlich zweimal nur remis gespielt gegen diese Überfliegermannschaft. Damals wurden die Ergebnisse aber nicht an den Überfliegern von Ajax festgemacht, sondern den - naja - vermeintlichen Unterfliegern vom FC Bayern.

Kovac also genoss es förmlich, dass Ajax einen Titelfavoriten nach dem anderen aus dem Wettbewerb haute.

FC Bayern: Dominanter Fußball für einen dominanten Verein

Verantwortlich dafür, dass Ajax' spannende Spieler auch ein funktionierendes System ausüben, ist Erik ten Hag. Ein spannender Trainer, den auch der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern Karl-Heinz Rummenigge spannend findet. Womöglich sogar Präsident Uli Hoeneß, denn ten Hag erfüllt schließlich dessen wichtigste Vorstellung eines spannenden Trainers: er arbeitete schon mal für den FC Bayern.

Von 2013 bis 2015 trainierte der heute 49-Jährige ten Hag die Reserve des FC Bayern. Profitrainer war damals Pep Guardiola. Als Spieler unter Vertrag stand Xabi Alonso, den Rummenigge neulich namentlich als möglichen zukünftigen Bayern-Trainer nannte.

Das Trio wirkte im Klub, als der FC Bayern für eine bestimmte Art von Fußball stand. Eine Art Fußball, die zum Mia-san-Mia-Selbstverständnis dieses Klubs passt. Dominanter Fußball für einen dominanten Verein. Doch für was steht eigentlich der aktuelle Fußball des FC Bayern? Für was steht der Fußball des Niko Kovac? Das ist ein bisschen schwierig zu beantworten.

Niko Kovac ist die Defensive wichtiger als die Offensive

Vor allen anderen Dingen lebt er von Einzelaktionen seiner besten Einzelspieler. In letzter Konsequenz von den beiden Flügelstürmern Kingsley Coman und Serge Gnabry sowie Vollstrecker Robert Lewandowski.

Selten dominiert der FC Bayern unter Kovac kleinere Vereine so vollumfänglich wie früher. Klar, phasenweise, aber niemals konsequent über ein ganzes Spiel. Dabei geht es gar nicht um Ballbesitzwerte oder Passquoten, es geht um das Gefühl während eines Spiels. Es geht um die Siegesgewissheit. Exemplarisch dafür stehen die beiden Rückrundenpartien gegen die Absteiger Hannover und Nürnberg. Der FC Bayern schlingerte jeweils akut, wie schon im Herbst so oft gegen Klubs ähnlichen Kalibers.

Die damalige Krise beendete Kovac, indem er Weisungen von oben befolgte - wie oben in Form von Rummenigge später selbst fidel erzählte: Kovac wurde dringend empfohlen, seine Rotation abzuschaffen. Außerdem erhöhte Kovac von einem auf zwei Sechser und sorgte so für mehr Absicherung. Das ist überhaupt der größte Unterschied im Vergleich zu seinen Vorgängern: Kovac ist die Defensive wichtiger als die Offensive - und erwähnt das wieder und wieder und wieder.

Die Spieler kritisieren das mutlose Auftreten gegen Liverpool

Man konnte es schon im vergangenen Sommer ahnen: das passte zu seinem Ex-Klub Eintracht Frankfurt, das passt aber nicht zum FC Bayern, dem stolzen FC Bayern. Der traditionell lieber angreift als verteidigt, neben dem Platz und auf dem Platz. Dieses Selbstverständnis haben auch die Spieler. Nach dem mutlosen Auftreten und folgerichtigen Ausscheiden im Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Liverpool (dem frühesten seit 2011) sprachen das unter anderem Thiago und Lewandowksi offen aus. Erstaunlich offen.

Trotz des letztlich gewonnenen Meistertitels - dem mit Abstand unsouveränsten seit Beginn des Meistertitel-Abonnements und letztlich nur unter akuter Mithilfe des selbstzerstörerischen Rivalen Borussia Dortmund - sowie eines möglichen DFB-Pokalsiegs: die Bayern-Spieler sehnen sich nach einem Trainer, der mutloses Auftreten nicht fordert, sondern bekämpft.

Vielleicht einem Trainer wie dem, von dem Kovac schon im Herbst wusste, dass er gute Arbeit macht. Und der sich in den Niederlanden mit einem anderen aufstrebenden Trainer, der einst beim FC Bayern wirkte und nun Offensivfußball spielen lässt, ein spannendes Titelduell lieferte. Mit Mark van Bommel von der PSV Eindhoven.

Der Umbruch sollte den Trainerposten nicht ausschließen

Die Verantwortlichen des FC Bayern werden im Sommer einen der größten Kaderumbrüche der jüngeren Vereinsgeschichte vollziehen und so viel Geld ausgeben wie nie zuvor. Es wäre richtig, wenn dieser Umbruch den Trainerposten nicht ausschließen würde. Anders als im vergangenen Sommer gibt es nun auch spannende Alternativen auf dem Trainermarkt.

Der FC Bayern braucht ab Sommer einen Trainer, der aus einer Umbruchsstimmung eine Aufbruchsstimmung kreiert. Einen, der gänzlich unverbraucht ist. Der Spieler besser macht, ihnen ein identitätsstiftendes System vermittelt, ihre Potenziale ausschöpft - und nicht selbst von ihrem individuellen, längst ausgeschöpften Potenzial abhängig ist.