Hertha-Trainer Ante Covic im Interview: "Ein paar graue Haare hat Hermann Gerland von mir"

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Sie haben ab 2013 sechs Jahre lang Herthas zweite Mannschaft trainiert und in diese Zeit mehrere Angebote abgelehnt, unter anderem von Dresden, Aue und Bayern II. Warum sind Sie bei Hertha geblieben?

Covic: Es war einfach nicht das richtige Angebot dabei, ich wollte keine Kompromisse eingehen. Außerdem hat es mir Spaß gemacht, bei Hertha die Talente zu entwickeln. Und wie es aussieht, hat sich das Warten ja gelohnt.

Waren Sie nicht wütend, als Ihnen 2015 der damalige U15-Trainer Pal Dardai als Hertha-Chefcoach vorgezogen wurde?

Covic: Natürlich war ich sauer. Ich wäre ja ein schlechter Trainer, wenn ich mit der Fußball-Lehrer-Lizenz in der Tasche nicht das Ziel gehabt hätte, unsere Profis zu betreuen. Und wenn man die U23 trainiert, sieht man sich natürlich als zweiter Mann im sportlichen Bereich und in der Favoritenrolle für die Nachfolge bei den Profis. Aber im Nachhinein war es ganz gut so, dass ich mich bei der U23 noch etwas entwickeln konnte.

Auch im Frühjahr, als Pal Dardais Abschied feststand, beschäftigte sich Hertha mit externen Kandidaten. Hätten Sie den Verein verlassen, wenn Sie es wieder nicht geworden wären?

Covic: Das weiß ich nicht. Der Verein hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich eine gute Chance auf den Job habe. Jetzt herrscht eine gewisse Aufbruchstimmung. Dem versuchen ich mit meinem Team gerecht zu werden, bislang läuft es ganz gut.

Sind Sie auch deshalb die richtige Wahl, weil Hertha so viele Talente wie lange nicht mehr im Profi-Kader hat, die Sie größtenteils ausgebildet haben?

Covic: Wir haben hier wirklich viele junge Spieler mit enormem Potenzial wie Maier, Mittelstädt, Torunarigha, Friede, Dilrosun oder Redan. Aber wir sind im Nachwuchs trotzdem nicht mehr die unangefochtene Nummer 1 in der Stadt. Bayern hat drei Scouts in Berlin, auch RB Leipzig hat drei, sogar Kaiserslautern hatte hier bis zum vergangenen Jahr einen Scout. Da kann man nicht davon ausgehen, dass jeder gute Jugendspieler automatisch bei uns landet.

Haben Sie umgekehrt Hoffnungen, dass die 125 Millionen Euro des neuen Hertha-Investors Lars Windhorst für hochkarätige Neuzugänge eingesetzt werden?

Covic: Wir haben hier langfristige Ziele und wollen unserer Philosophie treu bleiben, nicht nur Geld auszugeben, sondern auch aus- und weiterzubilden. Ich bin zufrieden mit unserem Kader, wir haben alle Positionen doppelt besetzt. Wenn man sieht, wie unsere Bank besetzt ist oder sich unsere topbesetzte Offensive mit Ibisevic, Kalou, Selke und Lukebakio anschaut, kann ich mich wirklich nicht beklagen. Aber die Transferperiode ist ja noch nicht vorbei. Sollte sich noch etwas ergeben, was für uns Sinn macht, dann könnten wir noch einmal tätig werden.

Herthas Ex-Kapitän Arne Friedrich hält einen Platz im internationalen Wettbewerb für möglich. Hat er Recht?

Covic: Arne ist ein Fußball-Fachmann und sieht offenbar gewisse Chancen mit unserer Mannschaft. Man darf aber nicht vergessen, dass wir mit Valentino Lazaro einen absoluten Leistungsträger verloren haben. Dazu mit Fabian Lustenberger noch einen erfahrenen Spieler. Wir haben keine 100 Millionen Euro investiert und keinen aufgeblähten Kader. Da ist Hertha seiner Philosophie treu geblieben. Jetzt müssen wir als Mannschaft das Bestmögliche rausholen und dann schauen, was am Ende dabei herauskommt.

Warum wollen Sie kein konkretes Saisonziel ausgeben?

Covic: Ich kenne keinen Sportler und keinen Trainer, der nicht das Maximum erreichen will. Was aber konkret im Mai sein wird, ist für mich im Moment nicht greifbar. Da Platz x vorzugeben, wäre für mich nur eine Floskel. Ich splitte die Saison lieber in Abschnitte mit greifbaren Zielen.

Haben Sie Sorgen vor zu hohen Erwartungen aus der Vereinsführung?

Covic: Das Gefühl habe ich überhaupt nicht, sonst hätte ich meinen Job auch nicht angetreten. Wir haben Einigkeit zwischen Trainer, Mannschaft und Management über unsere Ziele: uns Schritt für Schritt mit möglichst attraktivem Fußball weiterzuentwickeln.

Ist es richtig, dass Ihr Ansatz deutlich aktiver und offensiver als unter Pal Dardai ist?

Covic: Das wird uns nicht immer gelingen, aber das ist unser Ziel. Jeder Trainer hat einen etwas anderen Ansatz, legt einen anderen Schwerpunkt, kein Trainer ist wie der andere. Wir haben uns in den vergangenen Jahren im Umschaltspiel gut entwickelt. Jetzt geht es mir darum, dass wir im Spiel mit Ball noch mehr Gefahr ausstrahlen. Wir wollen nicht nur Ballbesitz haben, sondern mit einem hohen Ballbesitzanteil möglichst zügig nach vorne spielen und Tore erzielen. Das ist kein einfaches Vorhaben, bislang läuft es aber recht gut.

Die Hertha ist inzwischen keine graue Maus mehr, das Stadion aber trotz vier Millionen Einwohnern auch keineswegs immer voll besetzt. Haben Sie die Hoffnung, mit Ihrer offensiven Spielphilosophie wieder mehr Unterstützung zu bekommen?

Covic: Klar möchten wir auch durch attraktiven Fußball mehr Zuschauer anlocken. Aber das ist ja nur ein Baustein. Wir bräuchten aber beispielsweise auch deutlich mehr Unterstützung beim Bau eines neuen Fußballstadions, besonders aus dem Senat. Es gibt nicht viele Hauptstadtklubs, die keine eigene Spielstätte, kein reines Fußballstadion als ihre Heimat haben. Das muss sich ändern, dann gäbe es auch keine Diskussionen um ein halbleeres Stadion mehr.

Wie wichtig ist Ihnen als Herthaner ein Sieg im ersten Berliner Bundesliga-Derby seit 42 Jahren gegen Union?

Covic: Natürlich sehr wichtig. Wir waren schon immer die Nummer 1 in der Stadt und wollen auch die Nummer 1 bleiben. Deshalb sind wir es unserem gesamten Verein und unseren Fans schuldig, beide Duelle zu gewinnen, damit sie am Montag danach stolz zum Bäcker gehen können.

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