Schiedsrichter Patrick Ittrich im Interview: "Als das Smartphone eingeführt wurde, hat nichts funktioniert"

Patrick Ittrich ist seit 2003 DFB-Schiedsrichter.
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Zum Glück gibt es aber auch viele Spiele, die gut laufen. Kommt da auch mal die Faust in der Schiri-Kabine?

Ittrich: Absolut, nach einer sehr erfolgreichen Spielleitung wird in der Kabine auch mal eine Siegerfaust geballt. Ich sehe mich ja genauso als Sportler wie ein Spieler. Ich bin genauso emotional und ehrgeizig. Selbstverständlich feiern wir uns im Team für eine gute Leistung auch mal ab. Die schönsten Spiele sind die, bei denen ein Tag später keiner mehr weiß, ob sie überhaupt stattgefunden haben. Wenn aus Schiri-Sicht alles ganz geräuschlos verläuft. Es wäre ja Wahnsinn, wenn mir der Job als Schiedsrichter keinen Spaß bringen würde. Ich finde es überragend, auf dem Platz Entscheidungen treffen zu dürfen, mit den Spielern und Trainern zu sprechen. Jedes Kind träumt doch davon, eines Tages da unten auf dem Feld zu stehen. Und da stehe jetzt ich. Schon beim Warmmachen ist das ein überwältigendes Gefühl. Ich bin für jeden Tag dankbar, an dem ich dieses Gefühl erleben darf und will es am liebsten so schnell wie möglich wieder erleben.

Ist es auch überwältigend, wenn man als Vierter Offizieller bei einem EL-Quali-Spiel in Ufa eingeteilt ist.

Ittrich: (lacht) Wer kommt schon nach Ufa? Kein Mensch! Im Ernst: Für jemanden wie mich, der aufgrund des Alters keine Chance mehr hat, auf die internationale Liste zu kommen, sind solche Reisen zwar anstrengend, aber in der Tat auch schön. In Ufa stand Rangers-Coach Steven Gerrard neben mir, ein unglaublich netter Typ, das war cool. Ich bin auch mal als Vierter Offizieller beim EL-Playoff-Spiel zwischen Burnley und Aberdeen gewesen. Enges Stadion, ein bisschen wie das alte St. Pauli-Stadion, ausverkauft und zwei sehr emotionale englische Trainer an der Seitenlinie, die sich die ganze Zeit ein hitziges Wortgefecht geliefert und am Ende die Hand gegeben haben. Und ich stand dazwischen und habe sie machen lassen. (lacht) Ich mache diese Reisen wirklich gerne.

Ittrich: "Das Angehen des Schiris stört mich"

Das Verhalten der Spieler gegenüber den Schiedsrichtern ist teilweise unglaublich. Könnte man diese nicht erziehen, indem man einfach öfter die Rote Karte zückt, wenn die Spieler ständig den Schiri bedrängen und zutexten?

Ittrich: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Ich denke schon, dass es theoretisch möglich wäre, ich weiß aber nicht, ob uns das guttun würde. Wenn wir es so handhaben würden, müsste es eine generelle Marschrichtung geben und alle müssten es so machen und umsetzen. Aber ergibt es Sinn? Wir haben viele verschiedene Schiedsrichter mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten. Mit einer ganz unterschiedlichen Interpretation der Spielleitung. Es gab immer schon Schiris, die einen härteren Stiefel gefahren sind und mehr Karten gezeigt haben. Andere machen es nicht in dem Maße, weil es ihnen und ihrer Spielleitung nicht so zu Gesicht steht. Und beide Wege können richtig sein. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn wir jetzt eine allgemeine Richtung vorgeben würden, könnte das die Spielleitung stören. Im Fußball gibt es leider eine gewisse Akzeptanz für Verhaltensweisen, die eigentlich nicht in Ordnung sind. Die Frage ist, wie der beste Umgang damit aussieht. Wenn ich mit meiner Tochter, die gerade in der Pubertät steckt, etwas ausfechte, was mache ich dann? Komme ich mit Sanktionierungen oder nehme ich sie in den Arm und versuche eine andere Schiene zu fahren? Genauso gibt es im Fußball Situationen, da sage ich Spielern: "Hey, was ist mit dir denn los? Entspann dich mal.' Oft war es so, dass der Spieler dann runtergefahren ist und das ganze Spiel Ruhe herrschte. Situationsabhängig kann ein solcher Umgang für alle viel angenehmer sein, als mit den Karten zu wedeln. Nichtsdestotrotz gibt es Grenzen und eine Sache, die mich stört.

Nämlich?

Ittrich: Das Angehen des Schiedsrichters, die FIFA sagt dazu 'Mobbing of the Referee'. Wenn nach völlig klaren Entscheidungen fünf, sechs Mann ankommen und dir etwas erzählen wollen. Das stört mich. Ich habe kein Problem damit, mit dem Kapitän oder einem anderen Mannschaftsteil zu sprechen und zu diskutieren, aber es kann nicht sein, dass einen ständig fünf, sechs Mann bedrängen. Ich kann mich auch wehren, aber da müssen wir uns eine Linie überlegen, wie wir damit umgehen. Auch das Verhalten an der Seitenlinie muss teilweise überdacht werden. Bei der Thematik könnte uns helfen, dass wir ab der neuen Saison auch Trainern und allen Offiziellen Karten zeigen können. Dadurch wird das Verhalten der Trainer mehr in den Fokus rücken.

Wie würden Sie die vergangene Saison hinsichtlich des VAR einordnen? Am Ende war man ja nur noch genervt von dem Thema.

Ittrich: Es ist schwer, die Saison als Ganzes zusammenzufassen, weil es ganz unterschiedliche Phasen gab. Es gab teilweise verbesserungswürdige Phasen, dann lief es aber auch über weite Strecken richtig gut. Der Verlauf ähnelte einer Sinuskurve, aber insgesamt würde ich die Saison schon als gut bezeichnen. Wir dürfen nicht vergessen, wie sehr die Diskussion um den Video-Assistenten am Ende von der Handspielproblematik überlagert wurde. Andere Vergehen haben keinen interessiert - Hauptsache irgendwo gab es wieder eine Handspiel-Thematik. Die VAR-Diskussion ist im Grunde zu einer Art Handspiel-Diskussion geworden. Generell müssen wir alle begreifen, in welchem Stadium wir uns befinden. Wir sind immer noch in einer Phase, in der es nicht perfekt laufen kann. Wann wurde das Smartphone eingeführt?

Patrick Ittrich
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Patrick Ittrich

Ittrich über "Hand ist Hand": "Das will doch niemand"

So richtig kam das im Jahr 2007.

Ittrich: Als das Smartphone eingeführt wurde, hat nichts funktioniert. Das war ganz schlimm. Es hat diverse neue Modelle gebraucht, bis die Technik wirklich top war. Wenn heute irgendwelche Updates kommen, klicken wir drauf und fertig. Wir meckern da null. Nur bei der größten Revolution in der Fußball-Geschichte wird erwartet, dass von Anfang an alles perfekt läuft. Das geht aber nicht. Das ist unmöglich. Es braucht Zeit. Und wir brauchen eine Akzeptanz für das Ermessen des Schiedsrichters auf dem Platz. Es wird immer ein Ermessensspielraum bleiben.

Es sei denn, man sagt beim Handspiel Hand ist Hand.

Ittrich: Aber das will doch niemand. Ich habe mein Leben lang Fußball gespielt. Bei uns im Hinterhof war es immer so, dass es Handspiel war, wenn einer den Ball absichtlich weggefaustet hat. Sonst nie. Alles andere war ein normaler Bewegungsablauf. Aber das ist meine persönliche Meinung.

Die Handspielregel wird modifiziert. Was ändert sich dadurch?

Ittrich: Die neue Regelung schafft insofern Klarheit, dass ab sofort in der Regel alles oberhalb der Schulter ein Handspiel ist, egal ob Absicht vorliegt oder nicht. Außerdem haben wir Klarheit, dass bei der unmittelbaren Torerzielung keine Hand involviert sein darf, auch hier wieder unabhängig von der Absicht. Im neuen Regelwerk wurden außerdem weitere Kriterien geschaffen, welche die Handspielauslegung enger eingrenzen. Bei einigen anderen Situationen liegt es im Ermessen des Schiris, insofern werden wir sicherlich weiter Diskussionen haben, daran wird sich nichts ändern. Ich finde es müßig, darüber zu diskutieren. Die Regeln werden gemacht, wie sie gemacht werden. Im Endeffekt ist es mir ehrlich gesagt auch relativ egal. Ich muss als Schiedsrichter das umsetzen, was im Regelbuch steht. Ich muss als Polizist auch auf Demos gehen und Teilnehmer schützen, denen ich vielleicht gar nicht so wohlgesonnen bin. Es ist aber meine Aufgabe. Wir müssen die Regeln allesamt so akzeptieren, wie sie sind und können nicht ständig sagen, dass wir es aber gerne anders hätten. Da muss ein Stück Ruhe einkehren und wir Schiedsrichter müssen daran arbeiten, dass wir eine noch stärkere Einheitlichkeit gewährleistet bekommen. Daran arbeiten wir im Moment.

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