Sandro Schwarz vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Ein Trainer sollte auch die Journalisten mitnehmen"

Sandro Schwarz ist seit Mai 2017 Trainer beim 1. FSV Mainz 05.
© getty
Cookie-Einstellungen

Was ist also in Ihren Augen der große Unterschied und Entwicklungsschritt im Vergleich zu Ihrer ersten Saison in Mainz?

Schwarz: Ganz klar unsere Spielweise, zugleich aber auch die Anerkennung der Zuschauer. Sie sehen jetzt viel deutlicher und konstanter, mit welcher Intensität wir spielen. Im Vorjahr gab es auch Phasen, in denen unser Spiel zwar ordentlich war, die Zuschauer aber nicht gänzlich zufrieden nach Hause gegangen sind, weil ihnen der letzte Kick, der Fight um jeden Zentimeter Rasen gefehlt hat. Das Training und Spiel von der ersten bis zur letzten Minute mit voller Hingabe und Vollgas über 94 Minuten zu bestreiten, steht für uns im Fokus. Und: Wir spielen Fußball. Wir wollen den Ball haben, ihn schnell spielen und bleiben dabei immer in der Aktivität unserer Spielweise. Das ist auch für mich persönlich ein großer Unterschied: Nach den Erfahrungen des Vorjahres habe ich jetzt nicht nur ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie es funktioniert, sondern auch eine Verlässlichkeit in dem, was ich von meinen Jungs bekomme.

Provokative Zwischenfrage: Ist es dem klassischen Mainz-Fan nicht vollkommen egal, welche Spielweise sein Team pflegt, solange man die nötigen Punkte holt?

Schwarz: Er kommt jedenfalls nicht mit dem Anspruch ins Stadion, jeden Gegner mit schönem Fußball an die Wand zu spielen. Die Leute in Mainz wollen in erster Linie sehen, wie aktiv wir sind, dass wir alles geben und von der Intensität und den Sprints leben. Das können Sie mir glauben. Und das ist für uns der springende Punkt: Wenn wir auf dem Feld das Gefühl haben, wir sind drin, wir sind aktiv, dann kommen auch unsere Lösungen mit Ball. Ich will auch für eine Nachhaltigkeit, für eine Art von Fußball stehen - und nicht allein für eine Art von Ergebnis.

Ist die Mainzer Entwicklung letztlich nicht ein weiterer Beleg dafür, dass es häufig schlichtweg Zeit benötigt, bevor Maßnahmen Früchte tragen?

Schwarz: In dem Thema Zeit steckt mir ehrlich gesagt zu viel Alibi-Gequatsche. Wenn es nicht läuft, auf den Zeitfaktor zu pochen, ist mir zu billig und auch keine Garantie für irgendetwas. Ich denke so nicht. Ich will, dass alle im Klub und außerhalb spüren: Die verausgaben sich in jedem Training, in jedem Spiel und sie tun tagtäglich alles für den Erfolg. Wenn dann eine Entwicklung zu sehen ist, auch unabhängig von Ergebnissen, und sie auch bei allen so ankommt, dann kommen irgendwann auch die Ergebnisse. Das ist meine tiefe Überzeugung.

Themenwechsel: Sie hatten sich Ende 2017 einmal über die Qualität der Fragen beschwert, die Sie auf Pressekonferenzen beantworten müssen. Wenn Sie sich dort selbst befragen müssten, welche Fragen würden Sie stellen?

Schwarz: Inhaltliche - und das jede Woche. Beispielsweise über den Gegner und welches Vorhaben man dagegensetzen möchte. Welche Vorstellungen hat der Trainer hinsichtlich Ballbesitz, Umschaltverhalten oder Anlaufverhalten? Ich würde auch nach der Grundordnung fragen, wüsste aber, dass es darauf wohl keine klare Antwort darauf geben wird. (lacht)

Ihre Beschwerde äußerten Sie damals in einer vertraulichen Presserunde, dennoch wurde Sie öffentlich. Wie denken Sie heute darüber?

Schwarz: Daraus wurde letztlich ein größeres Thema gemacht, als es eigentlich war. Wir haben drei Tage nach dem Spiel immer unsere Presserunden. Dort wurde diskutiert, dass Pressekonferenzen auch dazu da sind, sich inhaltlich auszutauschen, mehr in die Tiefe zu gehen und nicht immer nur oberflächlichen Kram zu besprechen. Das wünsche ich mir auch weiterhin, genau wie viele der anwesenden Journalisten. Ich will kein Versteckspiel spielen, sondern einfach mit einer großen Offenheit über Fußball sprechen.

Für viele Trainer ist das ja das Problem: Sie wollen keine vermeintlichen taktischen Geheimnisse verraten.

Schwarz: Ich glaube dennoch, dass es viel inhaltlicher geht und der Trainer dabei gar nicht bis ins letzte taktische Detail sprechen muss. Ich würde auch nicht das unter der Woche erarbeitete taktische Endprodukt für das kommende Spiel auf einer Pressekonferenz verraten. Ich würde aber auf eine entsprechende Frage die möglichen Optionen gegen diverse Grundordnungen aufzeigen, ohne dass dies oberlehrerhaft oder verkompliziert herüberkommen soll.

Wie meinen Sie das genau?

Schwarz: Wenn der Gegner beispielsweise mit einer Dreierkette spielt, könnte ich erläutern, warum es sein kann, dass wir ihm im 4-3-3 begegnen. Und zwar, weil wir dann die Dreierkette mit drei Spielern anlaufen können. Oder aber wir nehmen das 4-4-2 mit Raute, stellen die Stürmer breit und haben gemeinsam mit dem Zehner auch wieder drei Spieler, die anlaufen können. Solche Themen sind in meinen Augen ideal für eine Pressekonferenz - und damit hätte ich doch nichts Weltbewegendes verraten. Es ist viel eher meine Überzeugung, dass dann die Journalisten das nächste Spiel vielleicht noch mal aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen.

Man sieht also als Trainer den Fußball aus einem vollkommen anderen Blickwinkel und vor allem nicht aus dem, wie ihn die öffentliche Berichterstattung suggeriert?

Schwarz: Klar, wir denken die gesamte Woche über in einer völlig anderen Dimension. Deshalb sind wir in meinen Augen auch in der Pflicht. Im Idealfall sollte ein Trainer nicht nur seine Spieler, sondern auch die Journalisten mitnehmen, um ihnen zu erklären, warum man etwas macht - oder weshalb ein Fehler unterlaufen ist. Denn am Ende sind es die Journalisten, die die Trainer bewerten. Ich finde es fair, dass sie so auch die Gelegenheit bekommen zu sehen, was unser Maßstab ist.

Ist dies auch einer der Hintergedanken bei den wöchentlichen Medienrunden abseits der Spieltagspressekonferenzen?

Schwarz: Vor allem geht es um einen Austausch auf Augenhöhe und nicht von einem Podium herunter. Dieser Termin bietet den Journalisten, die täglich über uns berichten, und mir die Möglichkeit, Themen noch einmal ausführlicher und auch mal neben dem Block zu besprechen. So bekommen die Pressekollegen ein besseres Verständnis für das, was wir mit der Mannschaft vorhaben und was auf dem Spielfeld geschehen soll. Und ich bekomme ein besseres Verständnis dafür, wie sie die Dinge sehen und aufarbeiten.

Dann nennen Sie doch zum Abschluss einmal die wichtigste Frage, die man sich als Trainer bei der Gegneranalyse stellt?

Schwarz: Das ist leicht: In welchen Räumen kann man eine höhere Spieleranzahl positionieren als der Gegner? Ein Trainer denkt nicht mehr nur im Zehn gegen Zehn. Wir denken im Zwei gegen Eins, Drei gegen Zwei, Vier gegen Drei. Es geht nicht nur darum herauszufinden, wo man den Gegner zulaufen kann, sondern wo man in Ballbesitz eine Überzahlsituation herstellen kann.

Inhalt: