BVB mit Last-Minute-Sieg gegen Hertha BSC: Punch mit Push-Effekt

Von Jonas Rütten
In den Farben und der Sache vereint: Die BVB-Spieler feiern ihren nächsten Last-Minute-Sieg in Berlin mit dem mitgereisten Anhang.
© getty

Borussia Dortmund stellte beim Last-Minute-Sieg in Berlin jene Qualitäten unter Beweis, die ihm in der Schwächephase nach dem Rückrundenstart abhandengekommen waren - nämlich die eines guten Boxers. Zwar sind Siege nach Rückständen für den BVB nichts Ungewohntes mehr, doch der späte Knockout gegen die Hertha war dann doch etwas ganz Besonderes: einer mit Push-Effekt.

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Spricht man über einen guten Boxer, hebt man gerne seine gute Technik, seine Schnelligkeit, seine Kraft und seine Ausdauer hervor. Nicht selten ist dann auch die Rede von den sogenannten "Nehmerqualitäten". Per Definition die gefühlte Anzahl von Schlägen, die ein Boxer auf den Kopf bekommen kann, ohne zu Boden zu gehen.

Der Boxer Borussia Dortmund hat seit Beginn der Rückrunde mehr als nur einen heftigen Schwinger gegen den Kopf bekommen. Die Sieglos-Serie im Februar beispielsweise. Die 1:2-Niederlage in Augsburg. Das mit Blick auf die nackten Zahlen deutliche Ausscheiden aus der Champions League gegen Tottenham. Das bittere Aus im DFB-Pokal gegen Werder Bremen. Oder zuletzt der Verlust der Tabellenführung an den FC Bayern.

Alles Schläge auf den Kopf des Dortmunder Boxers, der zu taumeln begann und dessen Nehmerqualitäten nicht nur im Schwergewichtskampf mit dem Rivalen aus dem Süden, sondern auch in engen Kämpfen mit anderen Gegnern in ernste Zweifel gezogen wurden. Wie viele Schläge kann der schwarz-gelbe Athlet noch einstecken, bevor er zu Boden geht?

Eine Frage, die nicht wenige in den vergangenen Wochen beschäftigte. Zumal dem über 17 Runden so überzeugenden Boxer auch der "Punch" - die brutale Effizienz vor dem gegnerischen Tor - abhandengekommen zu sein schien. Doch eben dieser Punch kehrte am Samstagabend, reichlich spät um circa 20:17 Uhr zurück, als Marco Reus in der zweiten Minute der Nachspielzeit doch noch traf und die Hertha auf die Bretter schickte.

BVB-Gegentore gegen Hertha BSC: "Dumm, dumm, dumm"

Das 3:2 für den BVB war ein Punch aus der Kategorie "lucky" - zu deutsch: glücklich. Ein Wort das im Anschluss an das turbulente und hochunterhaltsame Topspiel im Olympiastadion besonders häufig von den Dortmundern gebraucht wurde. "Unheimlich glücklich" war beispielsweise der über 90 Minuten blassgebliebene Siegtorschütze Reus darüber, dass man in Dortmund Spieler habe, um verletzungsbedingte Ausfälle von Stammspielern kompensieren zu können.

Das Fehlen von Paco Alcacer, Mario Götze und besonders das von Mittelfeldmotor Axel Witsel waren die ersten Schläge auf den Kopf, die der westfälische Boxer im Duell mit der Hertha hatte einstecken müssen, noch bevor der Kampf in der Hauptstadt überhaupt begonnen hatte. Und als die Ringglocke ertönte, kassierten die Schwarz-Gelben gleich den nächsten Volltreffer: Ausgerechnet der in dieser Saison so zuverlässige und starke Rückhalt Roman Bürki patzte und Salomon Kalou bedankte sich mit dem Treffer zum 1:0 für die Berliner.

Gerade einmal vier Minuten waren da gespielt. Und so sehr man auch um die Comeback-, Nehmer- und Steherqualitäten der Dortmunder aus der Hinrunde wusste, so groß waren die Zweifel inzwischen, dass so ein früher Schwinger ohne verheerende Wirkung bleiben würde. Immerhin gingen die letzten beiden Spiele, in denen der BVB zurückgelegen hatte, auch verloren (1:2 in Düsseldorf und 1:2 in Augsburg).

Doch der BVB kam zurück. Als würden Wirkungstreffer wie der Bürki-Patzer und der unglückliche Elfmeter zum 1:2, dessen Korrektheit Lucien Favre mit den Worten "dumm, dumm, dumm" in Frage stellte, einfach abprallen. Erst durch Thomas Delaney, der einen Katastrophenpass von Valentino Lazaro abfing, durch das Mittelfeld pflügte und mit viel Fortune zum 1:1 vollstreckte. Dann durch Dan-Axel Zagadou, der sich kurz nach der Pause hochschraubte und eine Jadon-Sancho-Ecke zum 2:2 verwertete.

BVB und die Comeback-Qualitäten: 16 Punkte nach Rückstand

Der Dortmunder Ausgleich durch Zagadou kurz nach der Pause untermauerte einmal mehr die Nehmerqualitäten des BVB. Doch die restlichen 45 Minuten gerieten zu einer Suche. Der Suche nach dem verloren gegangenen Punch vor dem gegnerischen Tor.

Jacob Bruun Larsen, der erstmals die Rolle als zentraler Stürmer in einem Pflichtspiel einnahm. Christian Pulisic, der erstmals in der Rückrunde in der Startelf bei einem Bundesligaspiel stand. Und auch Sancho, der mit seiner Vorlage zum 2:2 den Assistrekord für 18-Jährige in der Bundesliga von Mario Götze aus der Saison 2010/2011 erst einstellte und später knackte. Sie alle scheiterten trotz bester Einschussmöglichkeiten - und die mangelnde Effizienz schien den Dortmundern erneut, wie schon so oft in den vergangenen Wochen, im Weg zu stehen.

Spätestens als Delaney in der 88. Minute den Ball aus 20 Metern nur an die Latte und nicht ins Tor drosch, wuchs das Gefühl, dass es dieses Mal nicht reichen würde. Trotz zahlenmäßiger Überzahl in der Schlussphase nach dem Platzverweis gegen Herthas Jordan Torunarigha (85.). Und trotz des Glücks, das Dortmund sowohl bei einem elfmeterwürdigen Foul von Abdou Diallo an Ondrej Duda (59.) als auch bei einem Pfostenschuss von Marko Grujic (57.) vor dem nächsten Niederschlag bewahrte.

Doch dann brach jene Phase an, in der die Dortmunder so gefährlich sind wie kein Team der Liga: die Nachspielzeit. Letzte Runde. Zeit für den "Lucky Punch". Sechsmal hatte der BVB in der 90. Minute oder noch später zugeschlagen. Nicht immer war das ein Knockout im klassischen Sinne, doch das siebte Mal - der 3:2-Siegtreffer durch Reus - war dafür einer aus dem Bilderbuch. Ein Punch, der den Dortmundern die Punkte 14, 15 und 16 nach einem Rückstand bescherte.

BVB vorübergehend Spitzenreiter vor dem FC Bayern

Ein Punch mit Push-Effekt, um es mit den Worten von Reus zu formulieren. "So ein Sieg in der 92. Minute gibt der Mannschaft einen unheimlichen Push", sagte der 29-Jährige. Und auch Delaney ordnete den Abend in Berlin als "mental sehr wichtig" ein. Schließlich wisse man beim BVB sehr genau, dass man mit Blick auf das Rennen um die Meisterschaft, alle Spiele gewinnen müsse, "weil Bayern kommt".

Bis mindestens Sonntagabend liegt der BVB im Schwergewichtskampf mit dem Serienchampion aber zunächst einmal wieder nach Punkten vorne. Das lag am Samstagabend in Berlin auch an den wiedergefundenen Tugenden. Und vielleicht setzt der Herausforderer aus der schwarz-gelben Ecke in dieser Saison tatsächlich noch zum Knockout an. Die beste Chance dazu bietet sich am 6. April in der Allianz Arena. "Wir wissen, es wird schwer", sagte Delaney: "Aber warum nicht alles versuchen?" Den Push dafür hat die Mannschaft und den Punch offenbar auch.

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