Interview mit den Psychologen der Schalker Knappenschmiede: "Es geht nicht nur um 'krank' und 'blöd'"

Die Sportpsychologen Dr. Tobias Hesselmann und Dr. Theresa Holst arbeiten in der Schalker Knappenschmiede.
© getty / https://twitter.com/knappenschmiede / Stefan Petri
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Was passiert, wenn ein Spieler ein Problem hat, aber lieber mit jemandem außerhalb des Vereins reden will?

Dr. Holst: Gerade im Profibereich kommt das vor. Ich kann es auch verstehen, dass anfangs ein gewisses Misstrauen besteht, weil Schalke uns bezahlt. Es ist an uns, dieses Vertrauen herzustellen. Wenn das nicht klappt, darf man nicht gekränkt sein: Wenn er die Hilfe woanders bekommt, ist das überhaupt kein Problem.

Dr. Hesselmann: Wir haben es schon erlebt, dass wir über andere Kanäle erfahren haben, dass einer von unseren Jungs sich extern Unterstützung geholt hat. Das ist sein gutes Recht, so wie sich jeder seinen Arzt aussuchen darf. Wir haben auch nicht den Anspruch, mit jedem Spieler hier arbeiten zu müssen. Es ist ein freiwilliges Angebot. Sonst sitzt jemand bei mir und hat keinen Bock.

Sind sich Nachwuchsspieler von der Persönlichkeit eigentlich alle relativ ähnlich, zum Beispiel alle extrem ehrgeizig?

Dr. Holst: (überlegt) Nein, generell kann man das nicht sagen. Ich würde sagen: Glücklicherweise gibt es das nicht. Ich finde es spannend, dass die Menschen hier so unterschiedlich sind. Wir wählen auch nicht nach Persönlichkeit aus. Was man haben muss, um oben anzukommen, ist eine hohe Eigenmotivation. Man muss sich eigene Ziele setzen und diese verfolgen wollen.

Dr. Hesselmann: Wir haben natürlich eine Selektion in der Knappenschmiede, wie in jedem anderen Leistungssport auch. Die Spieler, die am Ende bei uns in der U17, U19 oder U23 sind, haben gelernt, mit gewissen Herausforderungen umzugehen und eine Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Diese "Malochermentalität", also sich durch Training ständig weiter zu verbessern, hat man im Leistungssport automatisch drin. Im Vergleich sind die Neun-, Zehn-, Elfjährigen hier teilweise schon recht weit. Allein schon deshalb, weil sie einen Mannschaftssport machen. Aber das kann man auch nicht verallgemeinern.

Ein Spieler im Alter von 16 oder 17 Jahren kommt zu Ihnen und sagt: "Ich komme mit dem Druck nicht mehr klar." Was würden Sie tun?

Dr. Holst: Dafür gibt es kein Rezept und keine To-do-Liste - was für viele ein bisschen nervig ist. Unser Beruf ist eben sehr individuell. Man muss sich zuerst mit der Person beschäftigen: Wer sitzt da vor mir? Was stresst ihn? Welche Ziele hat er? Jeder Spieler bringt Unterschiedliches mit. Dann schauen wir, welche Ressourcen wir aktivieren können: Welche Stärken können wir stärken, damit der Spieler mit der Situation klarkommt?

Dr. Hesselmann: Die Frage ist ja auch: Wo kommt dieser Druck überhaupt her? Ist es der Trainer? Macht er sich den Druck selbst, weil er neu ist und zuvor immer Stammspieler war? Muss er daheim die Familie ernähren? Tausend Dinge können eine Rolle spielen, dementsprechend muss man immer unterschiedlich ansetzen.

Verstehe.

Dr. Hesselmann: Die grundsätzliche Idee hinter unserer Arbeit ist, dass wir uns überflüssig machen. Sowohl beim Coaching mit dem Spieler, als auch hier im Verein. Wenn irgendwann alles laufen würde und die Mannschaftseinheiten den Spielern soweit helfen, dass sie mit allen Herausforderungen umgehen können, bräuchten sie uns nicht mehr. Das wäre super, auch wenn es das nie zu 100 Prozent geben wird. Ich will ja gar nicht, dass der Spieler jede Woche zu mir kommt und auch in drei Jahren noch bei mir sitzt. Sondern ich will ihm Ideen, Denkweisen und Techniken vermitteln, mit denen er das selbst steuern kann. Auch in einem Jahr noch, wenn eine ähnliche Situation auftritt

Dr. Holst: Ich kann jedem Spieler nur empfehlen: Schaut bei dem oder der Sportpsychologin vorbei, wenn es das Angebot gibt. Es kann angenehm sein, mit jemandem zu sprechen, der außerhalb des eigenen Systems ist und eine andere Sicht auf die Dinge hat. Und auch dafür ausgebildet ist.

"Würde nie etwas weitergeben, wenn ein Spieler zu mir kommt"

Ob das Knie des Spielers in Ordnung ist, weiß der Verein. Ob der eigene Spieler große psychische Probleme hat, würde er vielleicht auch wissen wollen, bevor er ihm einen neuen Vertrag gibt. Kann es dabei zu Konflikten kommen?

Dr. Holst: Diesen Konflikt gibt es theoretisch sicher. Praktisch glücklicherweise bei uns bisher nicht.

Dr. Hesselmann: Ich sehe den Konflikt auch nicht so gravierend. Die Jungs sind hier ab einem gewissen Alter normale Arbeitnehmer, wenn man so will. Wenn ich irgendwo arbeite und psychologische Probleme habe, erfährt mein Arbeitgeber das ja auch nicht.

Weil man nicht zum Psychologen gehen würde, der vom Arbeitgeber bezahlt wird.

Dr. Hesselmann: Ja, aber deswegen ist es für mich selbstverständlich, dass ich niemals etwas weitergeben würde, wenn ein Spieler zu mir kommt - selbst wenn das die Entscheidung, ob er einen Profivertrag bekommt oder nicht, beeinflussen würde. Das ist nicht meine Aufgabe. Der Spieler kommt immer zuerst. Wenn ein Spieler keine Lust mehr hätte oder den Verein verlassen wollen würde, würde ich mich davor hüten, ihn umstimmen zu wollen.

Dr. Holst: Davon hätte der Verein am Ende ja auch nichts. Und wie schon gesagt: Bei einer solchen gravierenden psychischen Erkrankung wären wir nicht diejenigen, die den Spieler behandeln. Das ist auch ein Grund, warum ich diese Doppelrolle niemals erfüllen wollen würde.

Gibt es Spieler, die von sich aus kommen und keine Probleme haben, aber trotzdem alles mitnehmen wollen, was es an Angeboten gibt?

Dr. Holst: Da kommen wir so langsam hin. Wir wollen ja aus dieser Problemecke raus. Es geht nicht nur um "krank" und "blöd", sondern um Leistungsoptimierung und Wohlbefinden. Das geht jeden Spieler etwas an.

Gibt es zum Schluss noch etwas, das Sie klarstellen wollen? Irgendwelche Vorurteile, die sich hartnäckig halten?

Dr. Holst: Das Meiste hatten wir schon. Der wichtigste Punkt ist der Unterschied zum Psychotherapeuten. Und dass es schön wäre, wenn man erkennt, dass unsere Arbeit nicht nur mit Problemen zu tun hat, sondern auch mit dem Ausschöpfen von Potenzialen.

Dr. Hesselmann: Man geht ja auch zum Athletiktrainer, um seine körperlichen Fähigkeiten aufzubauen. Nicht nur, weil der linke Oberschenkel dünner ist als der rechte. Alles wird vom Kopf gesteuert.

Dr. Holst: Und wir können keine Gedanken lesen. Ich hatte schon das Gefühl, dass Leute kommen und denken: Oh oh, ich muss jetzt aufpassen, was ich sage. (lacht)

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