Borussia Dortmund: Lucien Favre ist beim BVB der Klebstoff-Mann

Lucien Favre ist als Trainer des BVB in der Bundesliga noch ungeschlagen.
© getty

Was Lucien Favre seit seinem Amtsantritt bei Borussia Dortmund geschafft hat, ist alles andere als normal. Der BVB ist unter dem neuen Trainer noch ungeschlagen in der Bundesliga und steuert nach der aufreibenden Vorsaison überraschend auf die Herbstmeisterschaft zu. Favre ist damit vor allem auch der Hauptverantwortliche dafür, dass die zuletzt entstandenen Risse gekittet wurden und rund um den BVB ein neuer, alter Geist entstanden ist.

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Dass es eine Herkulesaufgabe würde, sich von der Ära Jürgen Klopp zu emanzipieren, dürfte bei Borussia Dortmund jedem klar gewesen sein, als sich die Wege des BVB und seines schwarzgelben Volkshelden trennten.

Seitdem sind nun über drei Jahre vergangen und die Borussia machte unter Klopp-Nachfolger Thomas Tuchel ja alles andere als eine Dürreperiode durch. Zwei Jahre verlor man unter dem heutigen PSG-Trainer kein Heimspiel, in seiner letzten Partie als BVB-Coach gewannen die Westfalen mit dem DFB-Pokal den ersten Titel nach fünf Jahren.

Das unrühmliche Ende von Tuchels Amtszeit sowie die Fehleinschätzung mit Peter Bosz, die die erste Dortmunder Trainerentlassung während einer Saison nach einer gefühlten Ewigkeit nach sich zog, ließen jedoch nach und nach große Risse entstehen. Risse zwischen Publikum und Mannschaft genauso wie innerhalb des Teams. Ausgerechnet beim selbsternannten Echte-Liebe-BVB ging die Identifikation verloren.

Lucien Favre gibt beim BVB regelmäßig den Mahner

Es war daher unumgänglich wie richtig, dass die BVB-Verantwortlichen ihre Schlüsse aus dieser emotional ernüchternden Phase zogen und im Sommer nicht nur einen Neustart ausriefen, sondern ihn auch personell sinnvoll umsetzten. Zwar blieben Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc die Entscheider, der Austausch mit und der Input von Teammanager Sebastian Kehl und Berater Matthias Sammer ließ auf dieser Ebene aber neue Kompetenzen entstehen.

Dem Kader wurde mehr Robustheit hinzugefügt, den zahlreichen Talenten erfahrene Spieler an die Seite gestellt, ein gesunder Mix hergestellt. Dass die theoretischen Überlegungen jedoch auf Anhieb auch in der Praxis zum Erfolg führten, hat vor allen Dingen mit dem neuen Trainer Lucien Favre zu tun.

Der hat mit 13 ungeschlagenen Bundesligaspielen nun den besten Start aller BVB-Trainer hingelegt. Das blendet den Schweizer aber nicht. Im Gegenteil: Favre warnt regelmäßig vor dem nächsten Gegner, zählt deren erzielte Ergebnisse auf, mahnt bei seiner eigenen Truppe zahlreiche Verbesserungen an und wirkt beim Thema Belastungssteuerung aufgrund der vielen Spiele beinahe schon resignierend.

Favre beim BVB: Mehr Orchester als Heavy Metal

Bei jeder Pressekonferenz gibt Favre zudem zu verstehen, wie eng viele Partien auch waren, die der BVB am Ende zu seinen Gunsten entschied. "Seit ich hier bin, habe ich sehr viele verrückte Spiele erlebt", sagte er kürzlich.

Damit hat er zweifelsfrei Recht, doch aus genau diesen Begegnungen gerierte sich das neue Selbstvertrauen und die vielzitierte Mentalität, die den BVB seit Wochen kaum besiegbar erscheinen lässt. So hat Favre in Dortmund eine Stimmung ausgelöst, die an die frühen Heavy-Metal-Jahre unter Klopp erinnert.

Der fußballerische Unterschied ist jedoch gravierend: Heavy Metal ist bei Favre nicht angesagt, seine Herangehensweise ist eher mit einem gut aufeinander abgestimmten Klassik-Orchester zu vergleichen.

Favres Argumente fallen auf lernwilligen Nährboden

Wie viele andere Übungsleiter wird Favre gerne als besonders akribisch beschrieben. Seine taktische Ver- und Besessenheit konnte bei seinen vorherigen Stationen auf Dauer anstrengend werden, in Dortmund fallen seine Argumente und Ideen im Moment auf den Nährboden einer lernwilligen Mannschaft.

Der kauzig wirkende Favre siezt seine Spieler allesamt und unterlegt seine Vorträge mit dem ihm eigenen Charme, so dass er auch aufgrund seines Naturells auf laute Töne gegenüber der Mannschaft meist verzichten kann.

Absicherung von Kontern, defensive Kompaktheit, effektives Pass- und Positionsspiel, Läufe in die Tiefe - Favre frisst sich regelrecht in das Studium von Videobildern hinein und beweist auch beim In-Game-Coaching ein durchgehend glückliches Händchen.

Favre besorgt den Klebstoff für einen alten, neuen Geist

Das beeindruckt die Spieler. Und kommen am Ende dabei reihenweise Siege herum, steigt die Glaubwürdigkeit des Trainers exorbitant. In der Halbzeit des Spitzenspiels gegen den FC Bayern sagte Favre seinen Akteuren, der Rekordmeister würde physisch bald Körner lassen - und dies trat dann auch genauso ein.

"Er zeigt dir, wie du verteidigen sollst, wo du richtig stehst, welchen Fuß des Mitspielers du anspielen musst", sagt mit Kapitän Marco Reus der wichtigste Spieler in Favres Konstrukt. Der ebenfalls wichtige Axel Witsel verrät: "Oft erklärt er, wie wir das Offensivspiel ankurbeln können. Er erklärt, wo er im Spielverlauf die Schwächen des Gegners sieht und zeigt uns, wo wir ihn knacken können."

So hat Favre im Handumdrehen ein neues internes Betriebsklima geschaffen, das sich auch extern im dargebotenen Fußball widerspiegelt. Dortmund hat wieder einen klar erkennbaren Plan an der Hand, man rennt und kämpft wieder füreinander.

Vor allem Favre hat somit für den Klebstoff gesorgt, damit beim BVB Mannschaft und Fans wieder eine Einheit werden konnten und ein neuer, alter Geist entstanden ist. Sehr interessant wird die Handhabe der BVB-Verantwortlichen werden, wenn die Dortmunder Hochphase mal ein Ende nimmt. Doch das hat damals unter Klopp ja auch eine Weile gedauert.

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