Archivar Gerd Kolbe im Interview: "Ich habe die BVB-Geschichte vor dem Untergang bewahrt"

Geld Kolbe ist Archivar beim BVB.
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SPOX: In einer Zeitung haben Sie nie ein entsprechendes Inserat aufgegeben?

Kolbe: Doch. Zu Ehren des 75. Geburtstags des BVB 1984 entschied man sich, eine Ausstellung im Stadthaus zur Vereinsgeschichte zu machen, die ich federführend bearbeiten durfte. Dafür habe ich über die Dortmunder Zeitungen nach weiteren Materialen gesucht. Es kam dann auch richtig viel zusätzlich zusammen.

SPOX: Wurden die Sachen alle geschenkt?

Kolbe: Wir haben die Leute selbst entscheiden lassen, ob sie uns ihre Exponate überlassen, sie wieder haben oder zumindest zur Reproduktion freigeben wollten. Die Ausstellung umfasste letztlich 156 Tafeln mit zahllosen Dokumenten aus allen BVB-Jahrzehnten. Ich habe monatelang mit wachsender Begeisterung bis nachts gearbeitet, damit die Präsentation so gut wie möglich wird. Der ehemalige Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker hat sie mit eröffnet und war regelrecht begeistert.

SPOX: Ohne Ihre Arbeit wäre heute vielleicht kaum etwas zur Gründungsgeschichte bekannt. Unter anderem trafen Sie den Mitgründer und späteren Vorsitzenden Franz Jacobi, als dieser bereits 87 Jahre alt war. Wie haben Sie ihn denn ausfindig gemacht?

Kolbe: Bei der Jahreshauptversammlung 1977 wurde sein Name genannt. Da hieß es: 'Unser Vereinsmitglied Franz Jacobi, der nun bei seinem Sohn in Salzgitter wohnt ...' Daraufhin wurde ich hellhörig und bin zu ihm gefahren. Es war einer meiner anrührendsten Augenblicke überhaupt zu erleben, wie enorm präsent er die Gründungsgeschichte des BVB noch im Kopf hatte und davon erzählte. Jacobi war der wichtigste aller 18 Vereinsgründer. Wir haben an zwei Tagen jeweils fünf Stunden miteinander geplaudert.

SPOX: Was war denn vor diesem Treffen von der Gründungszeit des Vereins bekannt?

Kolbe: Lediglich das, was sich in den Jahrbüchern befand. Und das war wenig genug. Vieles war, wie sich später herausstellte, inhaltlich und zeitlich nicht ganz präzise dargestellt und eingeordnet, sodass meine Recherchen genau zum richtigen Zeitpunkt kamen.

SPOX: Womit Jacobi nicht dienen konnte, war ein Exponat vom Endspiel um die Westfalen-Meisterschaft 1947. Das fehlt in Ihrer Sammlung. Damals gewann der BVB mit einem 3:2 gegen Schalke seinen ersten Titel und beendete die Vorherrschaft der Knappen im westfälischen Fußball.

Kolbe: Das ist richtig. In den 1980er Jahren war jemand bei mir, der mir eine Eintrittskarte und ein Plakat von diesem Finale in Herne anbot. Er hat einen heftigen Preis aufgerufen. Man darf nicht vergessen, dass ich jedes Jahr einiges an privatem Geld in die Sammlung steckte und die Finanzierung bei meiner Frau nicht für Jubelsprünge sorgte. Deshalb nahm ich Abstand von diesem Angebot. Ich bedauere das sehr, da zu diesem Spiel seither leider einfach nichts mehr aufzutreiben ist.

SPOX: Trotzdem komplettierte sich die Sammlung immer weiter und bildete letztlich den Grundstock des im Dezember 2008 eröffneten Borusseum im Signal Iduna Park.

Kolbe: Als ich meiner Frau vom Bau des Borusseums erzählte, jubelte sie, denn wir hatten auf einmal 100 Quadratmeter Wohnfläche zusätzlich. Zuvor hatte ich schon einiges im Stadtarchiv Dortmund einlagern können. Das hat wohl auch meine Ehe gerettet. (lacht)

SPOX: Das BVB-Archiv ist also aufgeteilt im Borusseum und in Räumlichkeiten des Stadtarchivs?

Kolbe: Richtig. Es gibt zudem eine weitere Sammelstelle bei einem Logistik-Unternehmen im Dortmunder Osten.

SPOX: Welches ist denn das in Ihren Augen wertvollste von Ihnen für das Borusseum zur Verfügung gestellte Exponat?

Kolbe: Ein Silbertablett der UEFA mit Gravur als Präsent an den BVB anlässlich des Gewinns des Europapokals der Pokalsieger 1966.

SPOX: Und das für Sie emotional wertvollste?

Kolbe: Da möchte ich kein Exponat herausheben. Sie repräsentieren alle die großartige Geschichte des BVB und schöpfen daraus ihren ganz individuellen emotionalen Wert. Der tollste aller BVB-Augenblicke für mich war, als ich unmittelbar nach dem Ende des Champions-League-Finals 1997 mit dem Mikro in der Hand auf der Public-Viewing-Bühne des Friedensplatzes vor 50.000 Menschen stand und ausrief, was alle wussten: 'Liebe Freunde, liebe Fans des BVB! Borussia Dortmund ist Champions-League-Sieger, wir sind die beste Fußballmannschaft Europas!' Diese Worte lösten einen Sturm der Begeisterung aus, der sich durch die Massen trug. Das war der Hammer.

SPOX: Haben Sie in der bald 109 Jahren Vereinsgeschichte eigentlich einen Lieblingsspieler?

Kolbe: Besonders verehrt habe ich Julio Cesar, der für mich einer der besten Abwehrspieler überhaupt war und ist. Das wichtigste Eigengewächs des BVB und für mich eine Ikone ist Max Michallek. Franz Beckenbauer hat mir einmal erzählt, dass der Max aus seiner Sicht der Wegbereiter des Liberos gewesen sei. Er hat also den Mittelläufer klassischer Prägung nach dem WM-System fast schon wie ein Libero interpretiert und aus dieser Position heraus dem gesamten BVB-Spiel viele gestalterische Impulse gegeben. Max Michallek war zudem ein sehr, sehr feiner Mensch.

SPOX: Eines noch: Das Lied "Heja BVB" wird seit 1976/77 gesungen - und Sie stecken dahinter. Erzählen Sie!

Kolbe: In einem Zug traf ich auf der Fahrt von Holzwickede nach Dortmund per Zufall einen Mann namens Karl-Heinz Bandosz. Er gab mir ein Demo-Band mit einem BVB-Lied und meinte, sein größter Wunsch sei es, die Premiere im Westfalenstadion zu feiern. Mir gefiel der Song gut, Präsident Günther aber lehnte ihn und das Bandosz-Ansinnen kategorisch ab. Ich hatte einen guten Draht zur Dortmunder Presse, machte die Kollegen scharf und lud sie zur Pressekonferenz des BVB ein. Dort lobten sie das Lied überschwänglich und veröffentlichten Artikel darüber. Unser Präsident machte rasch einen Rückzieher und plötzlich stand Bandosz tatsächlich vor einem Heimspiel singend auf dem Rasen.

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