Standardsituationen in der Bundesliga: Im ruhenden Ball liegt die Kraft

Robert Lewandowski (l.) schießt einen direkten Freistoß gegen den VfL Wolfsburg
© getty

Der Eindruck täuscht nicht: In der Bundesliga-Saison 2017/18 fallen so viele Tore nach Standardsituationen wie noch nie. Die Gründe für diesen Standard-Boom sind jedoch nur schwer zu bestimmen. Schaut man sich die einzelnen Klubs genauer an, ist ein Team nach ruhenden Bällen ganz besonders schwach - und ein anderes punktet nun schon seit Jahren mit einem herausragenden "Standard-Guru".

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Stellt sich ein Spieler in dieser Saison nach Abpfiff verschwitzt den Mikrofonen, kommen in gefühlt jedem zweiten Satz die berühmt-berüchtigten Standardsituationen zur Sprache. Manchmal geht es um die eigene Stärke bei Elfmetern, Freistößen, Ecken - vereinzelt auch mal bei Einwürfen. Viel öfter aber machen die Akteure ihrem Ärger darüber Luft, die ruhenden Bälle nicht anständig verteidigt zu haben.

"Wir haben drei Gegentore durch Standards bekommen. Das müssen wir abstellen, denn das entscheidet Spiele", sagte Bayer Leverkusens Bernd Leno schon nach dem ersten Spieltag gegen Bayern München (1:3). "Bremen ist stark bei Standards, da haben wir nicht aufgepasst", analysierte Hoffenheims Serge Gnabry. "Vielleicht sollten wir mal zum Handball gehen, damit man sieht, wie da mit dem Körper gearbeitet wird", schimpfte Leipzigs Kapitän Willi Orban nach der Niederlage gegen Freiburg. Die Liste ließe sich problemlos weiter fortsetzen.

Bei den Trainern ist es auf den Pressekonferenzen nicht anders. Julian Nagelsmann bemängelte, dass man gegen die Bayern "die Gegentore nach Standards zu einfach bekommen" habe, und auch gegen Hannover 96 hatte er Stärken bei "Standards und Umschalten" ausgemacht. RB-Coach Ralph Hasenhüttl wird von Woche zu Woche verzweifelter, zumal man bereits in der Königsklasse aufgrund chronischer Standardschwäche gescheitert war. In Leverkusen sieht es nicht viel anders aus. Spaß an den Dingern haben gefühlt nur James Rodriguez, Naldo und der SC Freiburg.

Die Frustration ist verständlich: Von einem überlegenen Gegner ausgespielt werden, vielleicht auch mal ein Konter, wenn man hinten aufmachen muss, das ist kaum zu verhindern. Aber Standards? Klar, manche Dinge kann man nicht verteidigen. Aber mit Disziplin und der richtigen Einstellung sollte auch der Effzeh vermeiden können, dass die Bayern am Fünfer frei zum Kopfball kommen.

Bundesliga: So viele Tore nach Standardsituationen wie noch nie

Nimmt man die Standardsituationen in der Bundesliga unter die Lupe, stellt sich zuallererst die Frage, ob es sich lediglich um eine gefühlte Inflation handelt. Fallen wirklich mehr Treffer nach Standards, oder verzerrt das wöchentliche Frustschieben der Leipziger - "Das zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Saison. Wir dürfen die Punkte nicht durch Standards einfach so abschenken", klagte etwa Marcel Sabitzer nach dem Freiburg-Spiel - die Realität?

Die Opta-Daten* sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache.

Standardtore in der Bundesliga - letzte 5 Jahre
SaisonTore nach StandardsTore nach ElfmeternTore nach FreistößenTore nach Ecken
2017/18 38,4%10,1%10,5%16,1%
2016/1730,1%8,1%10,4%10,9%
2015/1627,9%7,9%8,2%11,1%
2014/1532,3%6,9%12,8%10,4%
2013/1430,3%6,6%11,7%10,5%

*Alle Statistiken dieser und der folgenden Tabellen bis einschließlich 19. Spieltag (international bis zum 25. Januar)

Die Zahlen belegen: In dieser Saison fallen so viele Tore nach Standards wie noch nie seit Beginn der Datenerfassung. Während der Trend in den Jahren zuvor relativ konstant blieb, schnellt die Quote 2017/18 in die Höhe.

Dabei liegt die Bundesliga auch im internationalen Vergleich komfortabel an der Spitze.

Standardtore Top-5-Ligen 2017/2018
RangLigaAnteil der Standardtore
1Bundesliga38,4%
2Ligue 130,2%
3Serie A29,7%
4Primera Division28,3%
5Premier League27,4%

Welche Erklärungen lassen sich dafür finden? Die eine Änderung im Vergleich zu den vorigen Spielzeiten liegt auf der Hand: der Video-Beweis. Video-Beweis = mehr Fouls, die geahndet werden = mehr Standards = mehr Tore?

Vielleicht ist die Rechnung nicht ganz so einfach. 48 Mal wurde in der Hinrunde eine Entscheidung per Videoassistent korrigiert, gaben DFB und DFL in der Winterpause bekannt. Aufgesplittet in die einzelnen Entscheidungen wurde diese Zahl nicht. Dennoch wurden mehrere Elfmeter erst nach Videobeweis gegeben, gekoppelt mit der überdurchschnittlichen Treffsicherheit (82 Prozent in der Hinrunde, im Jahr zuvor nur 67 Prozent) mag das erklären, warum sich die Quote der Strafstöße immerhin um rund 25 Prozent gesteigert hat.

Bei den Freistößen lässt sich jedoch im mehrjährigen Vergleich kein Trend erkennen. Und den Löwenanteil der zusätzlichen Tore machen ohnehin die Ecken aus - hier hat sich die Quote um fast 50 Prozent gesteigert. Allein mit dem VAR lässt sich das nicht erklären. Zwar darf der theoretisch überprüfen, ob der Ball im Aus war, aber das betraf bisher nur wenige Entscheidungen - und etwaige Fouls bei Ecken im Strafraum würden ja dann wieder zu den Elfmetern gerechnet werden. Wird aus Angst vor dem Video-Referee bei Ecken in dieser Saison so viel lascher verteidigt? Das erscheint als Erklärung ungenügend.

Man darf auch nicht vergessen, dass in der Serie A der Videoassistent ebenfalls im Einsatz ist - und augenscheinlich nicht zur gleichen Entwicklung wie in der Bundesliga geführt hat.