"Ralf Rangnick ist total schlau"

Lars Kornetka arbeitet in Leverkusen auch mit Roger Schmidt zusammen
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SPOX: In Leverkusen fungieren Sie aktuell als Co-Trainer Analyse, sind deutlich näher an der Mannschaft und können auf einen Mitarbeiterstab zurückgreifen. Wie gehen Sie heute während der Partien vor?

Kornetka: Mein Kollege Simon Lackmann sitzt neben mir und taggt das Spiel live nach quantitativen Inhalten, so dass wir die Möglichkeit haben, etwa alle Tore, Freistöße, Eckbälle oder Spielaufbauszenen in jeweils einzelnen Clips zu sehen. Da ich in den meisten Fällen an den Matchplänen des Trainerteams mitarbeite, weiß ich, mit welchen Vorgaben wir ins Spiel gegangen sind. Darauf kontrolliere ich das Geschehen. Die ersten 20 Minuten lasse ich immer erst auf mich wirken, dann kommt die Herangehensweise des Gegners hinzu: Entspricht sie unserer Annahme, was kann uns weh tun, worin liegen Gefahren oder unsere Möglichkeiten, müssen wir etwas korrigieren? So wird je nach Situation entschieden, welche Punkte ich dem Trainer in der Halbzeit vorstelle und zu welchen Spielsituationen und ob wir überhaupt der Mannschaft einen Clip zeigen.

SPOX: In dieser Saison spielt Bayer nicht international, hat also selten englische Wochen. Wie viele der kommenden Gegner bereiten Sie dann vor, wie sieht der Ablauf mit Ende des letzten Spiels aus?

Kornetka: Am Tag nach dem Spiel gibt es vor der Mannschaft die Nach-Analyse der Partie, die der Cheftrainer übernimmt. 70 bis 80 Prozent von dem, was ich über den kommenden Gegner wissen muss, erarbeite ich mir am Tag darauf. Wieder einen Tag später kommt der inhaltliche Feinschliff. Da sammelt man auch mal Informationen von Leuten, die bereits gegen den nächsten Gegner gespielt haben oder den Trainer gut kennen. All dies kommt quasi in einen Topf und daraus entsteht dann die Quintessenz der Analyse. Grundsätzlich ist diese Saison natürlich weniger stressig, da einfach mehr Zeit zur Verfügung steht - das ist purer Luxus, wenn man zuvor jahrelang alle drei Tage ein Spiel hatte.

SPOX: Wie konsumieren die Spieler ihre persönlichen Analysedaten?

Kornetka: Wir arbeiten mit mehreren Tools und Plattformen, über die wir vereinsintern alle Videoszenen und Daten innerhalb von Sekunden hochladen können. Die Spieler bekommen das dann über eine App auf ihr Handy, bei der wir auch sehen können, ob sie wirklich davon Gebrauch machen. Wir setzen dies nicht nur als Lernhilfe ein, um in bestimmten Spielszenen besser zu reagieren, sondern auch motivational. Dann schneiden wir persönliche Highlight-Szenen für einen Spieler zusammen, um ihn zu bestärken.

SPOX: In der Saison 2013/2014 arbeiteten Sie beim FC Bayern unter Pep Guardiola. Der sagt, er benutze die Videoanalyse, um den Spielern seinen Plan erklären zu können und leichter in ihre Köpfe zu kommen. Ohne Videoanalyse ginge das heutzutage also gar nicht mehr?

Kornetka: Doch, aber man spart damit extrem viel Zeit und potenziert die Inhalte. Wir nutzen die Videoanalyse auch manchmal, wenn wir eine vielleicht sogar auf den Gegner gemünzte Trainingsform geplant haben und damit vorab erklären, weshalb wir diesen Inhalt jetzt gleich auf dem Platz trainieren. Bringt man bei den Spielern die Erkenntnis für eine Sache unter, wachsen bei der Ausführung auch gleich Bereitschaft und Qualität.

SPOX: Inwiefern spielt für Ihren Job Ihre eigene Idee vom Fußball eine Rolle oder reicht es, nach den Parametern des Cheftrainers zu analysieren?

Kornetka: Die gemeinsame Überzeugung für eine Spielidee muss vorhanden sein. Als ich 2014 die Anfrage erhielt, nach Leverkusen zu wechseln und Co-Trainer mit dem Schwerpunkt Analyse zu werden, war es in erster Linie für mich sofort interessant, weil ich mit Roger Schmidt zusammen arbeiten konnte. Ich wusste aus seiner Zeit in Salzburg, dass Roger dieselbe Spielidee verkörpert, wie auch ich sie präferiere und dass er das Pressing noch extremer betreibt als bis dahin alle anderen zuvor. Das war innovativ und spannend. Ich hatte meistens Glück, dass ich mit meinen Chefs schnell auf einer Wellenlänge lag.

SPOX: Wie wurde der FC Bayern auf Sie aufmerksam?

Kornetka: Ich hielt einen Vortrag über meine Arbeit, als anschließend ein Headhunter der Bayern auf mich zukam und sagte, er wolle sich mit mir austauschen. Anfangs hielt er sich noch bedeckt, so dass ich dachte, er sei nur ein interessierter Fußballfan. Ein paar Tage später eröffnete er mir, dass Matthias Sammer mich gerne kennenlernen würde. Dieses Treffen war dann schon außergewöhnlich. Sammer zeichnete einen enorm attraktiven möglichen Werdegang für mich auf, ein super Konzept. Allerdings stand damals Pep Guardiolas Wechsel nach München noch nicht fest. Als ich hörte, Guardiola geht auch zu den Bayern, freute ich mich sehr.

SPOX: Welche Aufgabe hatten Sie dann in München?

Kornetka: Ich war nominell für die erste Mannschaft zuständig. Nach meiner Ankunft waren dort aber schon vier oder fünf Analysten am Werk - nur für die Profis. Zudem kam auch noch die siebenköpfige Entourage aus Spanien. Es gab einfach zu viele Köche und letztlich zu wenig Arbeit für alle. Ich habe mich dann eher darum gekümmert, Pep Guardiola den deutschen Markt und die ihm unbekannten Gegner vorzustellen. Ich versuchte auch, seine Ansätze in den Nachwuchs zu transportieren. Es war ein tolles Jahr, in dem ich viel lernen konnte. Mir war aber auch schnell klar, dass es nicht auf das hinauslaufen würde, weshalb ich eigentlich nach München gekommen war.

SPOX: Können Sie Guardiolas größte Stärke beschreiben?

Kornetka: Er erkennt während der Partien sehr schnell, was nicht so gut klappt und reagiert dann umgehend darauf. Er hat sein Spiel immer sehr akribisch auf den Gegner vorbereitet und dessen Schwächen extrem gut analysiert. Nach dem Motto: Das sind unsere Optionen und Räume gegen diesen Gegner. Er ist wirklich ein Perfektionist und schafft es eigentlich fast immer, die Mannschaft so vorzubereiten, dass ihr der Matchplan während des Spiels sofort bewusst ist. Die Spieler erkennen relativ schnell, was er meint und wie es funktionieren muss. Kluge Spieler sind für Pep Guardiola sehr wichtig, weil sie in der Lage sind, seine Ideen schnell zu verstehen und umzusetzen.

SPOX: Als Sie in München unterschrieben, wurden Sie als "Peps Super-Auge" betitelt. Wie gefiel Ihnen das?

Kornetka: Die Schlagzeile entstand, nachdem mein Wechsel in einer winzigen Meldung eines Boulevardblattes verkündet wurde. Damals war Sommerpause und alle wollten Informationen über Guardiola. Da man an ihn aber nicht herankam, bauschte man diese Nachricht auf, ohne mit mir gesprochen zu haben. Dann schrieben das alle voneinander ab. Mir gefiel es deswegen nicht, weil ich mit niemandem gesprochen hatte. Auch nicht mit Guardiola, aber vor allem nicht mit meinen künftigen Kollegen. Die bekamen das dann groß aufgemotzt von der Presse serviert - und das war unangenehm. Der einzige Witz daran war, dass ich mich damals mit einem entzündeten Auge herumplagte. (lacht)

SPOX: Wenn Sie jetzt auf Ihre Anfänge von vor zehn Jahren zurückblicken, wie sehr hat sich Ihre Arbeit im Vergleich zu heute verändert?

Kornetka: Sie ist eigentlich ähnlich, nur deutlich schneller und detaillierter. Man nimmt nun das Training permanent auf, die am Trainingsgelände installierten Kameras kann ich von meinem Rechner im Büro aus steuern. Früher stand man mit der Kamera in der Hand selbst auf dem Platz oder brauchte für alles DVDs, deren Inhalt dann erst noch langwierig gerendert werden musste, bevor man damit arbeiten konnte. Es gibt jetzt auch viel mehr und besser ausgebildete Mitarbeiter. Dadurch ist die Qualität der Arbeit deutlich gestiegen. So kann man jetzt sehr detailliert und eher individual- sowie gruppentaktisch arbeiten. Die Sensibilität der Trainer für das Thema ist inzwischen viel ausgeprägter. Dazu kommen die externen Datenanbieter. Deren Daten sind mit den Jahren immer genauer und ergiebiger geworden. Und wir haben gelernt, sie besser zu nutzen.

SPOX: Ohne den Mut der Hoffenheimer Führungsriege von 2007 wäre Ihr Werdegang vielleicht vollkommen anders verlaufen. Schließen Sie in der Zukunft eine erneute Zusammenarbeit mit Rangnick aus?

Kornetka: Ich bin kein Romantiker und weiß, dass sich im Fußball die Situation schnell ändern kann. Und ausschließen kann man nichts. Aber Rudi Völler und Jonas Boldt haben mir immer ihr Vertrauen entgegengebracht und momentan fühle ich mich bei Bayer total wohl. Es war schließlich mein ausdrücklicher Wunsch, hierher zu wechseln.

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