"Die haben den Fußball doch nicht verstanden"

Marcell Jansen spielte jahrelang für den HSV
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SPOX: Gefühlt gibt es beim HSV seit Jahren immer einen Sündenbock, der sich nach jedem Spiel stellen musste: Einst war es Heiko Westermann, zuletzt Rene Adler und zu Ihrer aktiven Zeit eben auch Sie. Wie haben Sie diese Rolle gesehen?

Jansen: Irgendjemand muss immer seinen Kopf hinhalten, aber in diesem Zusammenhang sehe ich mich nicht als Opfer. Ich übernehme gerne Verantwortung. Aber natürlich hinterlässt so eine Entwicklung Spuren. Rein sportlich gesehen hat mich der Absturz gar nicht so schlimm getroffen, immerhin war ich weiterhin Nationalspieler. Emotional hat mich das aber sehr beschäftigt, weil der HSV für mich nicht nur ein Arbeitgeber war und ich den Verein wieder nach oben bringen wollte.

SPOX: Woran scheiterte das Vorhaben letztlich?

Jansen: Es war sicherlich nicht hilfreich, dass es auf nahezu keiner Ebene Konstanz gab. Die Verträge wurden mit dem Verein eingegangen, aber die Verantwortlichen wechselten häufig und im Zweifel musste ein Manager Spielerverträge ausbaden, die sein Vorgänger ausgehandelt hatte. Ich wünsche dem Verein, dass er das Schritt für Schritt in den Griff bekommt. Die Stadt hat es verdient.

SPOX: Sie selbst haben Ihre aktive Karriere 2015 mit 29 Jahren beendet, weil Sie kein anderes Wappen küssen wollten. Wann haben Sie für sich selbst entschieden, dass es das als Fußball-Profi war?

Jansen: Der HSV ist ein geiler Verein und ich habe bei jedem meiner Vereine volle Identifikation vorgelebt. Ich wusste, dass ich diese Emotionalität bei keinem neuen Verein mehr aufbauen konnte. Alle meckern über den Trend, dass es im Fußball nur noch um Geld geht und ich habe die Mechanismen einfach ignoriert. Ich war ablösefrei, hatte Top-Angebote aus dem Ausland, aber habe nirgends unterschrieben.

SPOX: Hätte Sie die Auslandserfahrung nicht gereizt?

Jansen: Ich bin dankbar für zwölf überragende Jahre. Fußball-Profi ist einer der besten Berufe überhaupt. Aber am Ende war der Reiz nicht mehr groß. Ich wollte einen neuen Impuls setzen und ein neuer Trainer mit einer neuen Taktik wäre kein Reiz gewesen. Meine Leidenschaft hat sich mehr und mehr zu meinen Projekten verlagert. Da hatte ich das Gefühl, Menschen zu helfen und selbst davon die nächsten Jahrzehnte leben zu können. Und zwar nicht finanziell, sondern dass ich jeden Morgen weiß, warum ich aufstehe. Wenn es ums Geld gegangen wäre, hätte ich natürlich weiter spielen müssen, aber seit meiner Kindheit habe ich ein sehr gesundes Verhältnis zu Geld.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Jansen: Ich komme aus einfachen Verhältnissen und meine Eltern haben mir vorgelebt, wie man jeden Tag mit einem Lächeln früh morgens in die Arbeit gehen und ganz normal seinen Job erledigen kann. Ohne Neid auf die anderen und ohne das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich habe immer gedacht, dass wir reich wären, obwohl wir das faktisch nicht waren. Ist mir doch scheißegal, ob ich 1000 Euro brutto verdiene oder Geld ohne Ende habe. Mein Beruf muss mir Spaß machen. Wenn Nachwuchskicker davon reden, dass sie Millionär werden, kann ich nur den Kopf schütteln. Die haben den Fußball doch alle nicht verstanden. Fußball ist ein Sport, den liebt man und dann schaut man, wie weit man kommt.

SPOX: Es ist interessant, dass Sie diese Formulierung treffen. Rudi Völler hatte Ihnen ja genau das vorgeworfen.

Jansen: Rudi Völler war ein Einzelfall, weil er die Hintergründe überhaupt nicht kannte. Wir haben das aus der Welt geschafft, aber letztlich war mir auch egal, was Rudi Völler denkt. Was soll ich denn machen? Soll ich nach China gehen und dann bin ich glücklich, weil ich viel Geld verdiene?

SPOX: Fußballspieler verdienen das Vielfache von anderen Arbeitnehmern. Wie schwierig ist es, bei diesen Summen auf dem Boden zu bleiben?

Jansen: Arroganz im Fußball ist eine Schutzfunktion. Das Geld verändert die Spieler selbst nicht, aber das Umfeld verändert sich. Das haben auch meine Eltern bemerkt, als mehr Geld da war und plötzlich der Nachbar, der jahrelang deutlich mehr Geld hatte, Sprüche geklopft hat. Die Sozialkompetenz geht oft verloren. Viele Eltern himmeln die Spieler an, weil sie jetzt viel Geld verdienen und die Familie finanziell mittragen. Dabei kann er nur gut kicken. Das ist ein Geschenk, aber er ist immer noch der kleine Hosenscheißer. Die Eltern sind die Eltern und wenn da das Verhältnis nicht stimmt, beeinflusst das die Entwicklung des Spielers. Das Fußball-Geschäft hat nichts mit dem realen Leben zu tun.

SPOX: Das müssen Sie erklären.

Jansen: Das ist nicht negativ gemeint, sondern ein Fakt. Schon in der Jugend wirst du wie ein Superstar hofiert. Eine gewisse Sonderbehandlung ist auch wichtig, damit du dich auf den Sport konzentrieren kannst. Aber die Realität beginnt erst nach der Fußball-Karriere. Viele sind auf diese Erfahrung nicht vorbereitet und finden nicht mehr ihre wahre Identität. Dabei ist dieses Leben viel länger als diese zehn bis 15 Jahre als Fußballprofi. Der Profifußball entscheidet nicht über dein Leben.

SPOX: Wie schwer fiel Ihnen selbst der Abschied vom Profi-Fußball?

Jansen: Allein körperlich fiel mir die Umstellung schwer. Ich habe meinen Körper jahrzehntelang auf Leistungssport getrimmt, das ist ja nicht nur gesund. Wenn man dann plötzlich aufhört, ist das ein Schlag für den Körper. Da müsste man sich trotzdem regelmäßig bewegen, das habe ich zeitlich nicht geschafft und mich oft scheiße gefühlt. Als ich mich intensiv mit den Themen Ernährung und Lebensstil auseinander gesetzt habe, wurde es besser.

SPOX: Wäre eine Rückkehr in den Profifußball denkbar?

Jansen: Es gibt aktuell zwar keinen Plan, aber das würde ich nicht ausschließen. Entscheidend wäre für mich, dass es zu mir passt und ich mich zu 100 Prozent mit den Aufgaben identifizieren kann.

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