Schon wieder das spannendste Projekt

Peter Bosz ist neuer BVB-Cheftrainer
© getty

Borussia Dortmund hat nach der Entlassung von Thomas Tuchel sowie der Ernennung von Peter Bosz zum neuen Cheftrainer einen erneuten Umbruch zu bewältigen - den dritten in Folge. Wie immer ein Risiko mit Fragezeichen, zumal die Schlammschlacht um Tuchel das Image des BVB angekratzt hat.

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Es hat sich bereits jetzt sehr viel in der Bundesliga getan. Die zahlreichen Trainerentlassungen in der Vorsaison waren schon unüblich, das Trainer-Wechsel-dich-Szenario in der vergangenen Woche ebenfalls.

Die kommende Spielzeit wird demnach für viele Vereine einen bewussten Neuanfang bedeuten. Es wird an vielen Standorten spannend und interessant zu beobachten sein, wie schnell die teils gravierenden Änderungen in den einzelnen Klubs greifen werden. Ganz egal, ob in Leverkusen, auf Schalke oder bei Borussia Dortmund.

Der Umbruch beim BVB, dem vielzitierten zweiten Leuchtturm des deutschen Profifußballs, steht jedoch noch einmal eine kleine Stufe über dem der Konkurrenz. Es ist in der dritten Saison nach der Ära Jürgen Klopp der dritte Neustart in Dortmund - und unter dem neuen Cheftrainer Peter Bosz wird bei der Borussia schon frühzeitig genug Druck auf dem Kessel sein.

Interessant rund um Boszs Verpflichtung: Bosz hat bei Ajax Amsterdam eine Situation hinterlassen, die der des BVB in den letzten Wochen rund um die Entlassung von Thomas Tuchel nicht unähnlich ist.

Ajax spielte wie Ajax spielen sollte

Bosz hatte sich bei Ajax nach anfänglicher Skepsis ob seiner Feyenoord-Vergangenheit schnell beliebt gemacht. Die Vorsaison brachte zwar erstmals seit Jahren keinen Titel ein, doch entscheidet sich die Glückseligkeit des Amsterdamer Publikums zuvorderst an der Art und Weise, welchen Fußball die eigene Mannschaft spielt.

Ajax-Fußball soll es nämlich sein: attackierend, nach vorne gerichtet, mit hoher Intensität. Bosz fügte wie schon bei Vitesse Arnheim all diese Elemente der Johan-Cruyff-Schule zusammen. Ajax spielte unter ihm wieder wie Ajax in den Augen der Fans spielen soll. Dies verstärkte Boszs Macht innerhalb des Klubs. In dieser Rasanz ein Prozess, der naturgemäß nicht jedem in einem großen Unternehmen gefällt.

Ajax besitzt in den Klublegenden und heutigen Direktoren Edwin van der Sar, Dennis Bergkamp und Marc Overmars ein sogenanntes "technisches Herz". Und dieses sich immer wieder gegenseitig unterstützende Gremium war nun im Falle Bosz letztlich darauf bedacht, die Kontrolle des Trainers nicht zu groß werden zu lassen.

Es war nicht das erste Mal, dass in Amsterdam Uneinigkeit in sportlichen Fragen bestand. Bereits 2015 ließ man in Wim Jonk den Chef der weltweit angesehenen Nachwuchsakademie ziehen. Jonk lieferte Bosz einige hochkarätige Talente, die im Vorjahr auch international für Aufsehen sorgten.

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Die Macht des technischen Herzens

Wie Tuchel hätte auch Bosz gerne weitergemacht, doch er machte umfassende Änderungen innerhalb des Trainerstabs zur Bedingung. Für Hennie Spijkerman, einem seiner Co-Trainer, sah er ebenso wenig Verwendung wie für Torwarttrainer Carlo l'Ami und Konditionstrainer Bjorn Rekelhof.

Dies scheiterte vor allem an Bergkamps Veto, der schon beim Abgang von Jonk eine Schlüsselrolle spielte. Van der Sar und Overmars schlossen sich Bergkamps Sicht der Dinge an. Die Macht des technischen Herzens zwang Bosz letztlich in die Knie und führte zu seinem abrupten Ende.

In Dortmund betonte er bei seiner Vorstellung, er wolle nicht mehr über die Vergangenheit sprechen. Was rund um Ajax derzeit los ist, zeichnet dennoch das Bild eines zerrissenen Klubs.

Angekratztes Image

Ganz so schlimm ist die Sachlage beim BVB nicht. Allerdings hat auch die Borussia für die Vorgänge in der Causa Tuchel kein Ruhmesblatt verdient.

Die untypische Unruhe, während der gesamten Saison steter Begleiter, hat sich in den Wochen rund um Tuchels Aus zu einer annähernd grotesken Schlammschlacht entwickelt. Dabei ist es inhaltlich relativ nebensächlich, wer grundsätzlich oder besonders nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus richtig oder falsch gehandelt hat. Das wochenlange Possenspiel hat dem Ansehen und der bisherigen Wahrnehmung des BVB schlichtweg nicht gut getan. Das Image ist zumindest angekratzt.

Selbstverständlich muss und wird auch über diese Geschichte Gras wachsen. Es sollte aber keine allzu kühne Prognose sein, würde man behaupten, die Dortmunder stehen für den Rest des sportlichen Jahres 2017 unter voller Beobachtung und entsprechendem Druck.

Platt ausgedrückt: Bosz muss beim BVB rasch liefern und darf keine Zweifel aufkommen lassen. Das betrifft nicht nur den sportlich-fachlichen Teil seiner Arbeit, auch Boszs Integration in den Klub sowie sein Umgang mit dem unter Tuchel kritisch beäugten Thema Fannähe werden im Blickfeld liegen.

Er kann ein unbequemer Zeitgenosse sein

Sonst droht derselbe mediale Stress, der den Schwarzgelben bereits in den letzten Monaten heftig zugesetzt hat, nicht abzuebben und die von Sportdirektor Michael Zorc zum wiederholten Male eingeforderte "Ruhe im Karton" eine Illusion zu bleiben.

Zumal wie vor jedem Umbruch ausreichend Fragen und natürlich auch der Ausgang offen sind: Welche Struktur wird der künftige Kader haben, wie schnell wird Boszs Einfluss sichtbar sein, wie viel Hektik herrscht nebenbei rund um den Verein? Eine Antwort zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht möglich, doch trotz des Wissens um die Qualität der Dortmunder Truppe können diese Fakten schnell auch ein gefährliches Gemisch ergeben.

Bosz hat bei Ajax gezeigt, dass er für seine Überzeugungen kämpfen und ein unbequemer Zeitgenosse sein kann. Dortmund ist für ihn jetzt ein unverhoffter Schritt nach oben auf dem Trainer-Treppchen. Er wird bald die stärksten Spieler anleiten, die er jemals trainiert hat.

Gesunde Portion Demut vonnöten

Diese Gruppe wäre in Teilen gerne den Weg mit Tuchel weitergegangen, für andere bedeutet Bosz der willkommene Start in eine möglicherweise bessere Zukunft. Wie der Coach diese Gemengelage moderiert, wie viele eigene taktische Inhalte er zu Beginn hinein kippt oder wie stark er auf bereits funktionierende Abläufe zurückgreift, wird für das Zusammenspiel mit seiner neuen Mannschaft entscheidende Bedeutung haben.

Beim Trainingsstart in Dortmund am 7. Juli ist unter diesen Voraussetzungen sowie nach den Stürmen der Vorsaison also auch eine gesunde Portion Demut vonnöten. Alle beim BVB tragen die Hoffnung in sich, eine ähnlich nerven- und kraftzehrende Spielzeit wie die vergangene vermeiden zu können.

Ganz egal jedoch, ob sich diese Hoffnung erfüllen wird: Das neueste Projekt Borussia Dortmund wird ohnehin weiter unter Beobachtung stehen.

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