"Berlin ist nicht Deutschland"

Pal Dardai wurde im Jahr 1999 zu Ungarns Fußballer des Jahres gewählt
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SPOX: Und im Sommerurlaub?

Dardai: Da sind wir immer am Balaton. Früher haben wir noch Urlaube an verschiedenen Orten gemacht. Ich war dann aber mal mit der Nationalmannschaft am Plattensee und habe später die Kinder dorthin mitgenommen. Es hat ihnen so sehr gefallen, dass sie seitdem nur noch dorthin wollen. Wir schätzen das Süßwasser dort, das gefällt uns besser als am Meer.

SPOX: Sie sind jemand, der offen seine Meinung sagt und damit auch mal anecken kann. Worauf führen Sie das zurück, ist das typisch ungarisch?

Dardai: So wurde ich erzogen. Ich saß als Kind nie beim Essen und habe nur den Erwachsenen zuhören müssen, sondern wurde aufgefordert, Dinge zu erzählen und meine Meinung zu sagen. Das ist bis heute so geblieben. Ich bleibe ja respektvoll und beleidige niemanden. Fehlt das aber beim Gegenüber, kann ich auch kontern und böse sein.

SPOX: Sie tragen als Trainer zumindest gefühlt auch eine demonstrative Gelassenheit zur Schau.

Dardai: Ich habe hier schon viele Trainer erlebt und am Ende ihrer Amtszeit sahen die alle immer total gestresst aus. Das verstehe ich eigentlich gar nicht. Ich will kein gestresster Trainer sein. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich mich schon zu den Zeiten meines Vaters permanent in Stadien oder Kabinen aufgehalten habe. Ich kriege den Stress gar nicht mit, ich spüre ihn nicht. Das ging mir selbst bei meinem Debüt als Trainer der ungarischen Nationalelf so.

SPOX: Als Sie an den Stadtrand nach Seeburg gezogen sind, haben Sie dort beim Seeburger SV gewissermaßen Ihre Trainerkarriere begonnen. Wie lief das überhaupt ab?

Dardai: Ich hatte schon als Spieler den Gedanken, nach der Karriere als Trainer arbeiten zu wollen. Ich wusste aber nicht, ob ich das überhaupt kann und es mir und den Spielern auch Spaß machen würde. Und einfach blind drauflos arbeiten nur wegen des Geldes, das wollte ich nicht. Also habe ich während meiner Spielerkarriere angefangen, montags in Seeburg Kinder zu trainieren. Das müsste so gegen 2007 gewesen sein.

SPOX: Das Ganze soll ziemlich im Verborgenen stattgefunden haben?

Dardai: So ist es. Ich habe niemandem bei Hertha etwas davon gesagt und habe ohne Trainerschein oder ohne irgendetwas Trainingsspezifisches nachzulesen einfach losgelegt. Einige der Trainingsmethoden wende ich bis heute noch an. Am Anfang waren es zehn Kinder, später über 20. Ich weiß noch, wenn ich früher 90 Minuten am Samstag gespielt habe und sonntags dann Auslaufen war, bin ich nach Hause zum Mittagessen gefahren und war dann todmüde. Es standen aber 20 Fahrräder vor meiner Tür und die Kinder bettelten mich an: Pal, kommst du mit uns Fußball spielen?

SPOX: Und?

Dardai: Ich habe eine Weile lang mitgekickt. Obwohl ich eigentlich todmüde war, habe ich da mitgespielt wie ein kleines Kind. Später musste ich den Kids allerdings absagen, denn wenn wir das Training mit den Profis in der kommenden Woche aufgenommen haben, war ich immer noch kaputt. (lacht)

SPOX: Wie kam dann letztlich Ihr Einstieg bei Hertha BSC ab der Saison 2013/14 zustande?

Dardai: Ich habe zunächst meine Spielerkarriere in der U23 ausklingen lassen und nebenher meine Trainerscheine gemacht. Als Otto Rehhagel bei den Profis übernahm, sind zwei Jugendtrainer zu ihm nach oben gerutscht. Man bot mir dann an, bei Andreas Thom in der U17 als Co-Trainer zu arbeiten. Im ersten Jahr sind wir sofort Meister geworden.

SPOX: Wie ging es weiter?

Dardai: Anschließend wurde mir nahegelegt, innerhalb des Vereins zu hospitieren und mir alle Abteilungen anzuschauen. Bloß nicht ins Büro, dachte ich mir. Das ist nicht mein Leben, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich bin schließlich Jugendkoordinator geworden und habe nebenbei die U13 trainiert. Dort waren die Ergebnisse auch gut. Es hieß: Pal ist streng, aber wir gewinnen immer. (lacht) Danach wurde ich Trainer des 1999er-Jahrgangs in der U15 und mit dieser Mannschaft haben wir dann wirklich alles gewonnen.

SPOX: Und plötzlich kam ein Anruf aus Ungarn: Am 18. September 2014 haben Sie die Nationalelf übernommen.

Dardai: Mir haben alle davon abgeraten, mein Vater hat mit mir geschimpft. Er meinte, ich könne mir dort nur die Finger verbrennen. Ich habe aber sofort meinen Laptop genommen, die letzten Spiele analysiert und war überzeugt, dass ich diese Aufgabe bewältigen könne. Nach dem zweiten Spiel hat selbst meine Frau gesagt, dass es doch toll sei, wie die Spieler alles für mich geben würden.

SPOX: Anfang Februar 2015 sollten Sie die Hertha vor dem Abstieg retten, drei Monate später legten Sie Ihr Amt in Ungarn nieder. Seit Sie in der Bundesliga arbeiten, lassen Sie einen Fußball spielen, der verstärkt auf Ballbesitz denn auf Gegenpressing ausgelegt ist. Schwebte Ihnen dieser Spielstil von Beginn an vor?

Dardai: Wir sind von den einzelnen Spielerprofilen her gesehen einfach keine Pressingmannschaft. Wir pressen teilweise, aber haben insgesamt eine Spielkultur entwickelt, die uns aus unserer Sicht die größten Siegchancen ermöglicht. Das geschieht in meinen Augen vor allem über Ballbesitz. Bis zu einer gewissen Grenze kann man sicherlich Pressingfußball spielen und damit viel erreichen. Ich will aber den Ball haben und ihn nicht abgeben, dann pressen und auf ein Zufallsprodukt warten müssen. Am Ende setzt sich in der Spitze immer die Qualität der Ballbesitzkultur durch. Ich finde, das ist auch schöner anzuschauen.

SPOX: Die Umschaltmannschaften eint meistens eine Idee: Mit einem defensiven Ansatz so offensiv wie möglich zu agieren. Fällt es Ihnen schwer, sich mit einer solchen Herangehensweise anzufreunden?

Dardai: Nein, das ist der deutsche Umschaltfußball. Dass wir in diesem Jahr bisher lediglich ein Kontertor geschossen haben, hat Gründe. Solange sich in der Bundesliga keine großartige Änderung ergibt, wird der Umschaltfußball auch funktionieren. Und damit habe ich kein Problem, denn es fallen viele Tore und die Vielzahl der Spiele ist attraktiv.

SPOX: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass Sie zu einem späteren Zeitpunkt auch einmal in einem anderen Land arbeiten?

Dardai: Ich bin mit dem deutschen Fußball groß geworden und kenne ihn gut. Mich reizt kein anderes Land. Wenn überhaupt, könnte ich mir vorstellen, eines Tages noch einmal ungarischer Nationaltrainer zu werden. Momentan wäre es aber nichts für mich, nur alle zwei Monate ein Spiel zu haben. Die tägliche Arbeit halte ich für unbezahlbar.

SPOX: Wäre es denkbar, Hertha BSC als Trainer eines Tages zu verlassen?

Dardai: Es ist nicht der Plan. Ich kann nur sagen: Sollte ich irgendwann einmal nicht mehr Profitrainer sein, gehe ich sofort zurück in den Nachwuchs. Das ist der schönste Job der Welt. Dort gibt es überhaupt keinen Druck, aber dieselbe Art von Adrenalin. Im Nachwuchs würde ich jetzt auch nicht mit Ihnen zusammensitzen, sondern bereits zu Hause mit meiner Frau meiner Suppe löffeln. (lacht)

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